Richard Flury – ein Romantiker?

Chris Walton hat Leben und Schaffen des Solothurner Komponisten Richard Flury (1896–1967) nachgezeichnet. Neben der ausführlichen englischsprachigen Biografie ist auch eine kurzer deutscher Abriss mit Werkverzeichnis erhältlich.

«S isch immer e so gsi» – das musikalische Motto Solothurns meinte Chris Walton beim Schreiben seiner lesenswerten und auf umfangreichen unveröffentlichten Materialien fussenden, englischsprachigen Richard-Flury-Biografie selbst zu hören (S. 102/3). Seine Lebenserzählung des in Biberist geborenen, in Basel, Bern und Wien ausgebildeten Komponisten, die mit einem vollständigen Verzeichnis des umfangreichen Œuvres und einer CD mit einer gelungenen Auswahl an historischen Aufnahmen und Neueinspielungen ausgestattet ist, hat sich denn auch grundlegend mit dessen selbstverordneten musikalischen Anachronismen auseinanderzusetzen.

Es dauert gute 200 unterhaltsame, reich bebilderte und strikt chronologisch gehaltene Seiten, bis Fleisch an die schon im Buchtitel genannten Romantizismen des 1896 geborenen Komponisten kommt. Ein wohltuend unterstrichener Blick von aussen auf die Deutschschweiz (Wie schmeckt Mehlsuppe? Was haben der Table Mountain und der Weissenstein gemein?) mündet in eine argumentative Herleitung des Romantikers Flury aus einem nie überwundenen Komplex der Provinzialität und konstatiert eine herbeidefinierte geistige Zuflucht, zu der sich durchaus Alternativen geboten hätten. Starke Passagen finden sich in der Verortung dieser interessanten Komponistenfigur im Schweizer Bildungs- und Musikausbildungssystem (Flury wirkte als Orchesterleiter und Kantonsschullehrer in Solothurn), auch im Vergleich mit seinen Schweizer Berufskollegen, die, im Gegensatz zu Flury, im Alter allesamt nahezu ganz verstummten (S. 95, 113).

Waltons auktoriale Perspektive, die über das Gut und Schlecht der Musik abschliessend urteilen möchte, befragt diese in letzter Konsequenz selbstisolationistisch veranlagte Figur nicht grundlegend und versetzt das Buch in ein Fortschrittsdenken, gegen das sich der Komponist gerade stellte. So werden die «modernsten» und kürzesten Werke der 1920er-Jahre mit Tendenzen in die Atonalität und Gebrauchsmusik als die besten und auch heute noch aufführenswert beschrieben.

Den besonders im Alterswerk ausgeprägten Romantizismen in der Tiefe nachzugehen, hätte wohl auch eine deutlichere Auseinandersetzung mit Flurys – wohl nicht körperlich vollzogener (S. 189)– Vorliebe für blutjunge Mädchen bedeutet, die mit einigen unangenehmen Stellen im Briefwechsel mit seinem Lehrer Ernst Kurth (S. 124) und in den Widmungen, vor allem seiner Lieder und Kammermusik, als Inspirationsquelle belegt sind. Es hätte bedeutet, eine Diskussion seiner Religiosität (mit Exkommunion nach der Scheidung und Wiederaufnahme nach Zölibatsgelübde) nicht zu scheuen, um seine geistlichen Kompositionen (und eine Verklärung dieser Mädchen in die Madonnenrolle hinein) zu verstehen. Vermutlich war dies alles nicht einfach umzusetzen bei einem Buch, das in enger Zusammenarbeit mit dem Sohn aus zweiter Ehe und mit Unterstützung der Familienstiftung entstand. «S isch immer e so gsi».

In der Kleinen Reihe der Zentralbibliothek Solothurn sind ein 30-seitiger biografischer Abriss und ein verkürztes Werkverzeichnis in deutscher Sprache erschienen:
Chris Walton: Richard Flury (1896–1967). Ein Schweizer Romantiker, Kleine Reihe Band 5,
41 S., Fr. 20.00, Zentralbibliothek Solothurn, 2017, ISBN 978-3-9524247-2-8

 

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Chris Walton: Richard Flury. The life and music of a Swiss romantic. 328 p., £ 25.00, Toccata Press, London 2017, ISBN 978-0-907689-44-7

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