Toggenburger Orgelgeschichte
Markus Meier blickt in seinem Buch auf ein geografisch eingeschränktes Gebiet, stellt seine Betrachtungen zu den Haus- und Kirchenorgeln in dieser Region aber in einen weiten gesellschaftlichen und religionspolitischen Rahmen.

Wer kennt sie nicht, die schmucken, oft bunt bemalten Hausorgeln, die im späteren 18. und frühen 19. Jahrhundert in so manchem Toggenburger Bauernhaus in der Firstkammer standen? Das akribisch recherchierte und umfassend dokumentierte Buch des Musikers, Musikwissenschaftlers und Orgelbauers Markus Meier widmet sich daher selbstverständlich zum einen der Geschichte und dem Kontext des dortigen Hausorgelbaus.
Dieser kann sich während rund 75 Jahren entwickeln und führt v. a. bei den Instrumenten der Familie Looser zu einem fast standardisierten und perfektionierten Instrumenten-Typus (ein Werkverzeichnis mit annähernd 100 Instrumenten findet sich im Anhang). Meier beleuchtet zum anderen aber auch den kirchlichen Orgelbau der Gegend und stellt aufschlussreiche Querbezüge her, welche diesen u. a. auf die Orgelbautradition in Vorarlberg und im Bodenseeraum zurückführen.
Orgeln und Konfessionen
Mit seinem Buch gelingt es Meier, sein auf den ersten Blick vielleicht eher «lokal» anmutendes Thema in einen Kontext gesellschaftlicher, konfessioneller und religionspolitischer Verhältnisse zu stellen, der weit über das Toggenburg (das, so der Autor, «bedeutendste Spannungsgebiet der konfessionell gespaltenen Eidgenossenschaft») hinausreicht.
Dessen Kirchen werden in nachreformatorischer Zeit zunächst oft durch beide Konfessionen paritätisch genutzt, verbleiben aber unter Kontrolle des St. Galler Fürstabts, wodurch das reformierte Orgelverbot gewissermassen «mit katholischem Segen» umgangen werden kann. Zeitgleich mit dem Wiedereinzug der Orgel in der Kirche erhält auch die Hausorgel innerhalb der alltäglich-häuslichen Familien-Andachten im Geist des Pietismus eine wichtige Rolle (ein Bezug zwischen der Hausorgelkultur und dem zwinglianischen Orgelverbot ist also erwiesenermassen falsch). Das Aufkommen des Fortepianos verdrängt dort schliesslich die Hausorgeln; diese werden jedoch an manchen Orten – zumindest als Übergangslösungen – in Kirchen transferiert.
Fazit
Ein allen Orgelinteressierten wärmstens zur Lektüre empfohlenes Buch, das ein wichtiges Kapitel der kirchlichen und weltlichen Orgelgeschichte unseres Landes vor ihrem konfessionellen Hintergrund gemäss dem neuesten Forschungsstand dokumentiert. Es bleibt zu hoffen, dass angesichts der mannigfaltigen Aktivitäten rund um die Toggenburger Hausorgelkultur auch einmal eine Publikation zu den überlieferten, nach wie vor grösstenteils unveröffentlichten Notenmaterialien und dem gespielten Repertoire folgen könnte!
Markus Meier: Geächtet, geliebt und geduldet – Die Orgel im nachreformatorischen Toggenburg, 400 S., Fr. 48.00, Chronos, Zürich 2025, ISBN 978-3-0340-1796-1 (E-Book kostenlos)
