Christoph Gallio «liest» Gertrude Stein

Christoph Gallio hat den Zyklus aus Kürzestgedichten «Yet Dish» von Gertrude Stein zum Schimmern und Schmelzen gebracht.

Gertrude Stein 1934 in Billignin, Frankreich. Foto von Carl Van Vechten / wikimedia commons

Wenn Musik ein Sport wäre, würde dieses abenteuerlustige, rasante und nicht zuletzt auf verbaler Ebene herausfordernde Album Rekorde brechen. Es enthält nämlich nicht weniger als 69 Stücke – dies bei einer punkigen Gesamtdauer von 36 Minuten und 24 Sekunden. Der kürzeste Beitrag dauert 7 Sekunden, der längste geradezu elefantöse 1’41”.

Nun, der Badener Komponist und Saxofonist Christoph Gallio ist noch nie den Weg des geringsten Widerstandes gegangen, was gerade in den Werken des seit 1988 in diversen Zusammenstellungen existierenden Ensembles Day & Taxi für viele erhebende, überraschende Erlebnisse gesorgt hat. Daran ändert sich hier nichts, und doch ist alles anders. Seit über dreissig Jahren beschäftigt sich Gallio insbesondere auch mit den Werken der in Pennsylvania geborenen Autorin und Kunstsammlerin Gertrude Stein (1874–1946), zu deren Kreis später in Paris Picasso, Hemingway, Scott Fitzgerald und Matisse gehörten. Ihr schriftstellerisches Werk zeichnet sich vor allem durch den musikalischen, oft repetitiven Aufbau der Sätze aus, deren Bedeutung sich selten mit den üblichen Mitteln sprachlicher Erkenntnis umzingeln lässt. Genau: «Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose.»

Kürzestlyrik, Knappestkomposition

Bei Yet Dish handelt es sich um eine lange, postum veröffentlichte Folge von Kürzestgedichten. Es fehlt an dieser Stelle der Platz, die steinschen Theorien zu Worten und ihrer Bedeutung – oder unserer Vorstellung von ihrer Bedeutung – darzulegen. Die Feststellung soll genügen, dass diese Minigedichte in jedem Ohr bestimmt ganz andere Assoziationen und Gedankengänge auslösen. Zum Beispiel XLII: «A jell (sic) cake/A jelly cake/A jelly cake.» Oder XLV: «Copying Copying it in.»

Gallio hat jedem einzelnen eine vom ersten bis zum letzten Ton hochkonzentrierte, in ihrer Konstruktion und klanglichen Beschaffenheit eigenständige (will heissen: von den Worten inspirierte und ihnen gleichzeitig eine neue Dimension verleihende) Kurzkomposition auf den Leib geschneidert, welche den Worten auf den Zahn fühlt und die Konturen klingen lässt. Helfen tun ihm dabei die leise an Dagmar Krause gemahnende französisch-bernische Sängerin Sonia Loenne, der Kontrabassist Vito Cadonau und der Schlagzeuger Flo Hufschmid. Der Gesamteffekt der glasklar geschliffenen Miniaturen ist ein kaleidoskopartiges Schimmern, in welchem sich die Worte breitmachen wie Honig im Tee.

Christoph Gallio’s Stone Is A Rose Is A Stone Is A Stone – Yet Dish, Gertrude Stein. Sonia Loenne, voice; Christoph Gallio, soprano & alto saxophone; Vito Cadonau, double bass; Flo Hufschmid, drums & percussion. Hat Hut Records

 

 

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