«Es ist ein Statement, sich älterwerdend auf die Bühne zu stellen.»

Drei der vier Damen der Frauenband erzählen in ihrem Atelier in Kleinbasel vom Arbeitsprozess, vom Dranbleiben und dass es heute fast wieder ein bisschen zugeht wie in den Achtzigern

Foto: Iris Beatrice Baumann

«Alleine denken ist kriminell» ist ihr Motto, professioneller Dilettantismus ihr künstlerisches Konzept und Feminismus dabei Ehrensache: Die für ihre schrägen, multimedialen Performances bekannte Frauenband Les Reines Prochaines funktioniert seit 1987 als Kollektiv, wobei die Mitglieder immer wieder gewechselt haben. Nur Muda Mathis ist seit den Anfängen dabei. Für ihre Schweiztour haben die vier legendären Künstlerinnen Muda Mathis, Michèle Fuchs, Sus Zwick und Fränzi Madörin gleich einige gute Gründe: Ihr frischgetauftes Album Blut (SMZ 2/2013, S. 22), ihr neues Liveprogramm Syrup of Life und ein Dokumentarfilm über ihr Schalten und Walten (Regie: Claudia Willke).

Auf Ihrem Album gibt es das wunderbare Lied «Ach was würde ich gerne». Was würden Sie im Moment gerade gerne tun?
Muda Mathis: Jetzt wäre ich gerne am Meer in der Sonne, unter Palmen.
Michèle Fuchs: Da wäre ich auch und dann würden wir uns zufällig treffen und Fisch essen.
Sus Zwick: Und zwischendurch würden wir dann auch mal ein Konzert geben.
Fuchs: … das wäre dann unsere Südseetour.

Wenn ich – wegen dieser verlockenden Südseetour erst recht – Mitglied der Reines Prochaines werden wollte: Wie sähe Ihr Bewerbungsverfahren aus?
Mathis: Wir würden bestimmt kein Casting machen, ganz im Gegenteil: Sie müssten Ihre spezifischen Talente einbringen, sie vehement vertreten und würden dann nach und nach in unser Leben hineinwachsen.
Fuchs: Sie könnten aber auch mit einer konkreten Idee kommen, die sollte Drive haben und sowohl exotisch, als auch bescheiden sein. Grundsätzlich sind wir sehr neugierig auf das, was wir noch nicht haben.

Sie sprechen gerade von typischen Kriterien für eine Idee. Gibt es dabei eine Verpflichtung gegenüber der langen Reines-Prochaine-Geschichte?
Fuchs: Es gibt eigentlich keine Begrenzung an Themen und Ideen, aber eine Begrenzung unserer Fähigkeiten. Innerhalb dieses Rahmens haben wir uns bestimmte Medien angeeignet. Da wir so viel miteinander entwickeln, haben wir über die Zeit eine gemeinsame Sprache gelernt. Ich schaue immer zu Muda, denn sie ist unsere grosse Denkerin.
Mathis: Sehr gut!

Les Reines Prochaines ist im bewegten Geist der Achtzigerjahre entstanden. Gab es damals einen Umgang mit Kunst und Musik, den Sie heute vermissen?
Mathis: Es ist eher so, dass ich Ähnlichkeiten sehe zwischen den Achtzigern und heute. Jetzt wird Zusammenarbeit wieder grossgeschrieben und politisches Handeln auch. Die Achtziger waren ideologisch, mit der grossen Kelle haben wir Hoffnungen geschöpft und andere Lebensformen probiert. Erst jetzt, wo wieder Anzeichen dafür zu beobachten sind, merke ich, was ich an der Zwischenzeit eigentlich vermisst habe. Vielleicht hängt das aber auch schlicht und einfach mit den Lebensphasen zusammen. Mit 20 ist man rebellisch und mit 40 wird man dann eben häuslich.

Worin äussert sich denn bei Les Reines Prochaines die Häuslichkeit?
Mathis: Sie äussert sich bestimmt in einer Art Kontinuität und Professionalität. Wir ändern nicht immer wieder den Bandnamen. Wir zerschlagen nicht immer wieder das Produkt. Wir entziehen uns nicht, sondern wir bleiben dran. Die Neunziger waren richtig scheisse und langweilig. In den Nullerjahren war es dann so, dass wir irgendwie als komische Weiber registriert wurden und zum Mobiliar gehörten. Der Babybonus war dann weg.
Zwick: … und jetzt haben wir den Altersbonus und alles ist wieder tipptopp.

Ist denn das Älterwerden politisch?
Zwick: Es ist auf jeden Fall ein Statement, sich älterwerdend auf die Bühne zu stellen.
Mathis: Der weibliche Körper kann sich der Politisierung fast nicht entziehen. Und dann sind wir auch noch Dilettantinnen. Und dann entsprechen wir auch nicht den Schönheitsnormen. Und so weiter …
Fuchs: Aber neben dem äusserlichen Altern ist es ja auch ein innerlicher Reifeprozess. Da man die Dinge nun mit Erfahrung belegen kann, ist man eingeladen, Klartext zu sprechen. Und schön ist, dass man damit viel weniger in Frage gestellt wird.

Das klare Benennen zieht sich auch durch Ihr neues Album «Blut» und damit meine ich nicht nur den Wechseljahr-Gesang auf die letzte Monatsblutung. Sie finden wieder zu politischen Aussagen zurück. Wogegen begehren Sie auf?
Fuchs: Ja, das plumpe Anklagen macht total Spass! Wir haben Bezüge zu Pussy Riot und ein Anti-Konsum-Lied. Da heisst es: «Sei kein Konsument und kein Gast. Sei kein Kunde, sei ‘ne Wunde im grosskapitalistischen System». Das singen wir dann im Konzert, haben ein reines Gewissen und freuen uns über die verkauften CDs (lacht). So läuft das.

Musikalisch bleiben Sie sich treu und lassen weiterhin Trash-Pop und Kabarett, minimalistischen Folk und polyglotten Tango aufeinanderprallen. Inwiefern steckt die Schweiz in Ihrer Musik?
Fuchs: Gute Frage … Wir sind auf jeden Fall irgendwie von der Schweiz beeinflusst, denn wir könnten eben nicht so einfach Balkanmusik machen. Schweizerisch sind sicher die Instrumente, die wir auswählen. Wir wollen unsere Herkunft nicht verleugnen, haben aber auch keine enge Verknüpfung zur traditionellen Musik.
Mathis: Ich war in meiner Kindheit bei der Dorfmusik, aber da war es nicht die Musik, die mich beeinflusst hat, sondern eher die Erfahrung des Zusammenspiels.

Was ist denn Ihre Grundlage für die Entstehung eines Liedes?
Fuchs: Manchmal nehmen wir uns existierende Lieder als Inspiration. Beim Spielen und Improvisieren entwickelt sich das Lied dann so weiter, dass das Original nicht mehr zu erkennen ist. Das ist unser Weg des Kreativen.

Ihre Programme sind meistens abgeschlossene Einheiten. Wie ist Ihr Bezug zu früheren Liedern, müssen die nach einer Tour dann in der Schublade landen?
Zwick: Wenn ich die Lieder von früher höre, finde ich die meistens prima.
Fuchs: Eigentlich wollten wir immer ein Repertoire. Aber das ist nicht so leicht: Erstens können wir manchmal ein Lied einfach nicht mehr reproduzieren. Das war im Moment der Aufnahme alles so lässig hingespielt, dass man es nie wieder so hinbekommt. Und zweitens waren ja immer andere Bandmitglieder dabei und wir können in der jetzigen Formation deren Part nicht übernehmen.

In Ihrem Publikum gibt es viele junge Frauen. Fühlen Sie da eine Art Vorbildfunktion?
Fuchs: Naja, wir sind eher etwas zwischen Identifikationsfiguren und Projektionsflächen.
Mathis: Vorbild ist, wenn überhaupt, das geistige Projekt der Reines Prochaines und nicht wir als Menschen mit unserer konkreten Biografie. Wenn die Leute uns kennenlernen, entmystifiziert sich dann das Bild sehr schnell. Aber da wir etwas stark Erzählerisches in unseren Texten haben, ist die Projektionsfläche sehr gross. Da gibt es dann die tollsten Vorstellungen, die in unsere Texte hineininterpretiert werden.

Zum Beispiel?
Mathis: … dass wir zu viert in einem Bett schlafen.

Konzerte
27. April: Bern, Reitschule, Frauenraum
1. Juni: Zürich, Rote Fabrik, im Rahmen des Festivals Okkupation

www.reinesprochaines.ch
 

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