Am Anfang war der Käse

Seit sechzehn Jahren serviert die Zürcher JazzBaragge ihre wöchentlichen Livesessions. Jetzt präsentiert sie sich der ganzen Welt mit einem neuen Gesicht.

Foto: JazzBaragge

Jeden Mittwochabend verschwindet das Auditorium des Jazzclubs Moods in Zürich hinter einem schwarzen Vorhang. Davor wird ein Teppich ausgerollt und darauf kommen die Instrumente, die wie ein roter Faden durchs Programm führen: Klavier (dann und wann Gitarre), Kontrabass und Schlagzeug. Die Stimmung eines Raumes ist die wichtigste Voraussetzung für eine wohltemperierte Jamsession. Und hier stimmt sie – unterstützt von einer wohlbestückten Bar – ohne Zweifel. Der Raum wirkt intim genug, um das Gefühl zu vermitteln, man bewege sich unter lauter Freundinnen und Freunden. Aber er ist auch gross genug für ein Publikum, dessen Applaus nicht klingt wie ein gerupftes Huhn: «Wenn wir 150 Leute haben, sind wir gerappelt voll», meint Dave Feusi, ein Mitbegründer und Präsident der JazzBaragge: «Und letzte Woche hatten wir das.»

Seit Februar 2016 ist die vom Verein JazzBaragge organisierte Livesession im Moods daheim. Jetzt fühlt man sich wohl genug, dass man sich der Welt präsentieren kann. Dank einer eleganten neuen Homepage dauert die Reise zur JazzBaragge nur noch so lang wie ein Mausklick. Der Eintritt ist so erst noch frei. Jede Session wird in voller Länge live gestreamt und Teile davon archiviert. Davor, dass Jazzfans künftig lieber zu Hause hocken, um den Abend am Computer mitzuverfolgen, braucht niemand Angst zu haben. Dank der erstklassigen Bild- und Soundqualität bekommt man zwar den Eindruck, dass hier viel Gutes passiere. Aber man spürt auch, dass dieses Gute viel besser wäre, wenn man selber dabei wäre. «Es ist, wie wenn man Platten mit experimenteller Musik bekommt», sagt Vorstandsmitglied Nicole Johänntgen: «Es ist ein Teaser. Man weiss, dass man live dabei sein muss, um die Musik richtig zu erleben.»
 

Auf der Suche nach dem passenden Club

Nach einem Fehlstart im Jahr 1999 stiessen Dave Feusi und Peewee Windmüller auf die Chäsbaragge in der Brunau. Hier wurde vom Donnerstag bis am Sonntag Fondue serviert, während dem Rest der Woche stand der Laden leer. Der Ort war ideal für die idealistischen Pläne der beiden Initianten, und so gründeten sie im Januar 2001 die «JazzBaragge». Am Anfang programmierten sie am Montag und Dienstag Bands und luden am Mittwoch Musiker zur Jamsession ein. Die Bands zogen nicht. So blieb noch der Jam. Knapp ein Jahr hielt man es aus in der dampfenden Käseglocke. Dann wurde auch hier das Geld knapp.

Auf der Suche nach neuen Synergien trat die Jazzschule Zürich auf den Plan. Diese führte an der Waldmannstrasse 12 ihren eigenen Klub, und hier quartierte sich nun auch die JazzBaragge ein. Die Verbindung hielt vierzehn Jahre lang – bis die Jazzschule zur Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) ins Toni-Areal zog. Der Versuch, die JazzBaragge im neuen Musikklub Mehrspur der ZHdK anzusiedeln, schlug fehl: «Der neue Klub sah schon auf den Plänen gross und kalt aus», sagt Feusi. «Einen Jam kann man nicht vor 500 Leuten machen.» Da traf die willkommene Einladung vom Moods ein. «Ganz wichtig war uns, dass es niemandem darum ging, Geld zu machen», sagt Feusi. «Es geht einzig und allein darum, Musikerinnen und Musiker zusammenzubringen und Jungen die Möglichkeit zu geben, Kontakte zu schaffen und ihr Metier zu erlernen.»
 

Der Sound geht um die Welt

Die Umbauzeit im Moods war ideal für die Akklimatisierung der JazzBaragge. Rundum herrschte Aufbruchstimmung, dazu passte es, dass der Mittwochabend sich erst an die neue Umgebung gewöhnen musste. Dabei taten sich dank der neuen audiovisuellen Möglichkeiten des Moods gänzlich neue Perspektiven auf. Allerdings ist es nicht das erste Mal, dass die Jamsessions live gestreamt werden. Zehn Jahre früher schon hatte der in Frankreich gestartete und in Engelberg weitergeführte Digital Broadcast Channel (DBC-TV) Kameras in der JazzBaragge aufgestellt. Und weil der Firmengründer ein grosser Fan der Alternativ-Spielwelt Second Life war, hatte die Session dort sogar ihr permanentes Digital-Zuhause. Natürlich ist die Bild- und Klangqualität heute im Moods ungleich besser. «Wir mussten zuerst noch ausprobieren», sagt Feusi. «Bald merkten wir, dass zu viele Mikrofone und Kameras herumstanden. Sie störten die Zuschauer und lenkten die Musiker ab. Jetzt sind es nur noch zwei Overheads, dazu der Sennheiser-Kopf und Mics für Bass und Klavier, manchmal Gitarre. Das funktioniert gut. Es gibt einen authentischen Klang. Man hört alles, aber es ist keine Studioaufnahme.» So geht der Sound der JazzBaragge nun wieder um die ganze Welt. Vorläufig aber sind die Ziele noch nicht so weit gesteckt. «Wir konzentrieren uns noch auf die Schweiz», erklärt Johänntgen. «Es geht uns darum, den Austausch unter den Musikern zu fördern, sie vielleicht zu animieren, ähnliche Sessions einzurichten. Das ist schon genug Arbeit. Aber es erscheinen schon jetzt manchmal Musikerinnen und Musiker aus Deutschland, Frankreich und anderen Ländern. Letzte Woche war einer aus Palermo da, der hatte auch schon von uns gehört.»

Die Technologie ist brandneu, das Konzept seit sechzehn Jahren unverändert. Ein Basis-Trio spielt ein Set, das 30 bis 45 Minuten dauert. Dann wird die Session eröffnet. Alle dürfen mitmachen. «Jeder muss selber erkennen, was er sich zutrauen kann», sagt Feusi. Damit die Dynamik frisch bleibt, wird das ebenfalls speziell für diese Veranstaltung zusammengestellte Kerntrio alle zwei Wochen ausgewechselt: «Nichts darf zur Gewohnheit verkommen», erklärt Feusi, «sonst ist die Session tot.»
 

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