«Wo bist du João Gilberto?»

Der Dokumentarfilm von Georges Gachot über den brasilianischen Bossa-Nova-Sänger Gilberto ist ein gut gemachter Nostalgie-Streifen. Allerdings verweigert er sich dem heutigen Brasilien.

Still aus dem Film «Wo bist du João Gilberto?» © Georges Gachot

Der französisch-schweizerische Regisseur Georges Gachot hat einige bemerkenswerte Filme realisiert, die ganz nahe an Legenden der Música Popular Brasileira heranführen. Maria Bethânia, Nana Caymmi und Martinho da Vila hat er porträtiert und dabei – wie in seinem exzellenten Feature über die sonst kamerascheue Pianistin Martha Argerich – eine ungekünstelte, intime Nähe zu diesen Protagonisten geschaffen, die viel zum Verständnis ihrer Musik beiträgt. Ausgerechnet diese Stärke kann er im Film Wo bist du João Gilberto? nicht ausspielen. Schuld daran ist einerseits die Konzeption des Filmes selber, daneben aber auch die eher zweifelhafte künstlerische Bedeutung des Sängers, dem die Suche gilt.

Gachot enthält dem Publikum Gilberto, der sich bewusst vor der Öffentlichkeit versteckt, mehrfach vor. Zum einen nähert er sich ihm bloss indirekt, indem er die Suche eines andern nacherzählt: Der verstorbene deutsche Journalist Marc Fischer war mit einem Versuch gescheitert, dem Bossa-Nova-Pionier nahezukommen, und hatte darüber ein Buch geschrieben. Der Film zeichnet denn auch nach, wie Gachot Fischers Recherchen nachzuvollziehen versucht, womit bereits zwei Abwesende den direkten Zugang zum Phänomen Gilberto versperren. Hinzu kommt eigentlich noch eine dritte: Gilbertos Tochter Bebel, die während der Dreharbeiten offenbar Kontakt mit ihrem Vater hatte, aber ebenfalls Phantom bleibt. So muss man über lange Strecken bloss Reisebanalitäten mitverfolgen, Telefonate, die zu nichts führen, Gespräche, die keine Resultate zeitigen, auch mit Gilbertos Ex-Frau Miúcha. Ein wenig – zu wenig – erfährt man über die Bossa-Nova-Kultur aus episodischen Begegnungen mit Grössen des Stils, vor allem Marcos Valle und Roberto Menescal, in denen dann auch mal – ebenfalls zu wenig – von der Musik selber die Rede ist.

Man nähme dies alles in Kauf, hätte João Gilbertos Versteckspiel tatsächlich eine tieferliegende ästhetische Bedeutung, die Licht auf eine höchst fruchtbare Epoche der brasilianischen Musikgeschichte werfen würde. Nun gilt João Gilberto zwar als einer der Väter des Bossa Nova, entscheidend geprägt wurde der Stil hingegen von andern, unter zahlreichen weiteren vor allem Tom Jobim und Vinicius de Moraes sowie etwa Marcos Valle, Roberto Menescal, Carlos Lyra oder Edu Lobo. Im heutigen Brasilien selber, wagen wir zu behaupten, wird João Gilberto keineswegs die Verehrung entgegengebracht, die er beim in die Jahre gekommenen bildungsbürgerlichen europäischen Jazz- und Weltmusik-Publikum geniesst. Den meisten Brasilianern dürfte es herzlich egal sein, wo und weshalb er sich in Rio mutmasslich in einem Hotelzimmer verkriecht.

Vor allem mit Blick auf die zur Zeit höchst brisante politische und künstlerische Situation Brasiliens irritiert diese Suche nach Gilberto, die wie eine Art Realitätsverweigerung wirkt: Während im Land alles bachab zu gehen scheint, verbeisst sich Gachot in einen irrelevanten Nebenaspekt einer längst vergangenen goldenen Epoche der Música Popular Brasileira. Wo bist du João Gilberto? wird so zum zwar durchaus gut gemachten, streckenweise auch stimmungsvollen Nostalgie-Streifen – allerdings mit falschem Thema zur falschen Zeit.
 

Der Film ist ab dem 13. September im regulären Kinoprogramm.

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