Konzerthäuser könnten mehr Publikum gewinnen

Martin Tröndle, Forscher der Zeppelin Universität in Friedrichshafen, hat Nichtbesucher von Kulturinstitutionen und deren Motivationen erforscht. Die gewonnenen Erkenntnisse überraschen.

Foto: Thomas Bjornstad / Unsplash (s.unten),SMPV

Tröndle hat die weltweit erste umfangreiche Studie zur Nicht-Besucherforschung vorgelegt. Als Nichtbesucher gelten in der Studie Personen, die weniger als einmal in den vergangenen zwölf Monaten eine Opern- oder Theatervorstellung oder ein Konzert mit klassischer und zeitgenössischer Musik besucht haben.

Mit seinem Team befragte Tröndle in einem ersten Schritt in Berlin und Potsdam 1264 Studierende zu Freizeitverhalten, Bildungsherkunft, Kunstaffinität und Besuchsbarrieren für Kulturveranstaltungen. In einem zweiten Schritt wurden rund 80 Teilnehmende der ersten Studie, die sich als Nichtbesucher herausgestellt hatten, zu Aufführungen der Deutschen Oper Berlin, der Neuköllner Oper und der Schaubühne Berlin eingeladen. Vor und nach der Vorstellung wurden sie befragt.

Die Ergebnisse der Studie zeigen laut Tröndle folgende Faustregel auf: Je näher die Kunst den jungen Menschen ist, desto eher besuchen sie Kultureinrichtungen. Nähe müsse dabei als vieldimensionaler Begriff verstanden werden: Er impliziere Nähe zur Kunst durch die Sozialisation im Elternhaus, durch Wissen über Kunst, durch eigene künstlerische Tätigkeiten, durch den Kontakt mit Kunst in der Schule, im Freundeskreis und beim Besuch von Kultureinrichtungen, durch den eigenen Musikgeschmack und Freizeitpräferenzen sowie durch das Angebot und das Ambiente der Kulturorganisationen.

Erstmalig zeigt die Studie differenziert den Zusammenhang von eigener künstlerischer Tätigkeit und dem Besuch einer Kultureinrichtung sowie die Effekte von Bildung und sozialer Herkunft. Auch die Bildung der Eltern hat auf den Besuch von Oper, Theater, Ballett und klassischem Konzert einen klaren Effekt, am grössten ist er, wenn ein Elternteil Geisteswissenschaftler, der andere Kunst- oder Kulturwissenschaftler oder Künstler ist. Weiter zeigt die Studie, dass das Spielen eines Instrumentes zwar einen positiven, aber keinen durchschlagenden Effekt auf den späteren Besuch hat.

Zeit sei nicht der Hauptfaktor, der über einen Kulturbesuch entscheide. Die Möglichkeit, eine Kultureinrichtung in Begleitung mit jemandem Vertrauten zu besuchen, ist ein ausschlaggebendes Moment. Wesentlich für die Entscheidung junger Menschen seien zudem die persönliche Empfehlung und das Internet; das klassische Tageszeitungs-Feuilleton dagegen habe fast keinen Einfluss mehr. Lediglich 25 Prozent der Probanden nahmen Kultureinrichtungen und ihr Angebot überhaupt bewusst wahr – bei 75 Prozent seien Kultureinrichtungen mit ihren Kanälen nicht in deren Lebenswelt verankert.

Für Tröndle geht es mit Blick auf die Akzeptanz und Attraktivität von Kultureinrichtungen daher nicht darum, Barrieren abzubauen, sondern darum, Nähe aufzubauen. Kulturpolitik und Kultureinrichtungen sollten ein Interesse entwickeln, zumindest einmal im Jahr jeden Nichtbesucher in ihr Haus zu locken.

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