Jazznachwuchs in der Schweiz

Vom 15. bis zum 23. Oktober 2019 tourte der Schweizer Jazznachwuchs im Rahmen des Swiss Exchange Festival DKSJ durchs Land: Die besten Jazzstudierenden aus fünf Schweizer Musikhochschulen konzertierten in Basel, Bern, Lausanne, Luzern und Zürich. Ein Einblick in die junge Jazzszene der Schweiz.

MvO — Laurence Desarzens ist seit über 30 Jahren in der Schweizer Musikszene tätig: als Programmverantwortliche der Roten Fabrik, des Moods (Zürich) und der Kaserne Basel. Seit 2016 leitet sie die Abteilung Pop und Jazz an der Haute École de Musique de Lausanne, HEMU. Das Swiss Exchange Festival DKSJ unterstreicht aus ihrer Sicht primär den Kooperationsgedanken, deswegen wurde auch der Verein Direktor*innen-Konferenz Schweizerischer Jazzschulen DKSJ gegründet, der den Austausch unter den verschiedenen Hochschulen ermöglicht. Jedes Jahr steht eine andere Musikhochschule im Fokus, im 2019 war es die Hochschule Luzern – Musik. Unter dem Label DKSJ präsentieren die fünf Jazzabteilungen der Schweizer Musikhochschulen jedes Jahr das gemeinsame All Star Project. Zehn ausgewählte Studierende erarbeiteten unter der Leitung des irischen Bassisten und Komponisten Ronan Guilfoyle während drei Probetagen dessen Arrangements der Musik von Jack Bruce sowie seine Kompositionen, welche zu Ehren des 100. Geburtstages von Thelonious Monk entstanden sind. Das Programm präsentierten sie an fünf Konzerten in den Städten der beteiligten Musikhochschulen. Die Studierenden sammeln so einerseits Erfahrungen mit anderen Institutionen, andererseits kommen sie aber auch mit anderen Künstlern und Performern in Kontakt. Für Laurence Desarzens entsteht aus dieser Zusammenarbeit ein Atelier-Geist, der sehr wertvoll für alle Beteiligten ist. Am Ende geht es primär um eines: um die Förderung des Jazz-Nachwuchs in der Schweiz, weswegen das Projekt DKSJ auch in den kommenden Jahren weiterverfolgt werden soll, 2020 steht beispielsweise das Thema «Frauen im Jazz» im Vordergrund. Dieses Projekt unter dem Namen «Jazzlab» wurde vom Verein Helvetiarockt sowie den Jazzabteilungen der HKB Bern und der HEMU gemeinsam mit dem Cully Jazz Festival initiiert.

Sprungbrett

Florentin Setz studiert zurzeit Master of Arts in Music – Pedagogy an der Zürcher Hochschule der Künste ZHdK. Von Bernhard Bamert wird er im Hauptfach Jazzposaune unterrichtet, daneben vertieft er sich bei Ruven Ruppik in indischer Rhythmik und wird von Chris Wiesendanger am Klavier unterrichtet. Als nächsten Schritt will er den Pädagogik-Master im nächsten Jahr abschliessen und während den letzten beiden Jahren noch möglichst viel vom Angebot der ZHdK profitieren und lernen. Ob er nach dem Pädagogik-Master noch einen anderen Master machen will, weiss er noch nicht. Sein Ziel ist klar: sich als freischaffender Musiker in der Schweizer Musikszene als Posaunist, Bandleader und Dirigent zu etablieren. Dabei hofft er, möglichst viele Konzerte mit seinen Projekten spielen zu dürfen und seine eigene Musik einem breiten Publikum präsentieren zu können. Dazu bietet das Swiss Exchange Festival DKSJ eine wunderbare Gelegenheit. Aus diesen einmaligen Gelegenheiten können manchmal Bands entstehen, die über mehrere Jahre miteinander musizieren und sich gemeinsam entwickeln. Klar also, dass er das Swiss Exchange Festival DKSJ als Sprungbrett für seine eigene Band «MEDEA» sieht. Ihm gefällt die Idee sehr gut, dass jeweils ein Bachelor-Projekt einer Schweizer Jazz-Schule in einer anderen Schweizer Stadt präsentiert wird, denn so kann man Netzwerke knüpfen und lernt die Musik anderer Künstler kennen.

Grenzen der Jazz-Szene

Hannes Wittwer absolviert seit diesem Herbst den Masterstudien-gang Musikpädagogik (MA Music Pedagogy) im Profil Jazz mit Hauptinstrument Schlagzeug. Sein Fernziel besteht darin (ähnlich wie bei vielen jungen Musikerinnen und Musikern aus seinem Umfeld), eine teilzeitige Unterrichtstätigkeit wahrnehmen zu können und im Übrigen an seinen künstlerischen Projekten als Komponist, Bandleader oder als Sideman arbeiten zu können. Für ihn besteht zudem die Möglichkeit, dass er sich irgendwann auch in journalistische, wissenschaftliche oder transdisziplinäre Gefilde des Kulturbereichs wagt, da er auch hier Interessen hat – doch vorerst haben die pädagogische und künstlerische Tätigkeit klar Priorität. Für das diesjährige Swiss Exchange Festival DKSJ konnte Hannes Wittwer ein Panel organisieren, gestalten und moderieren. Eingeladen waren mit Andrina Bollinger und Philipp Hillebrand eine Absolventin und ein Absolvent der ZHdK-Jazz-Abteilung, die über Themen wie «Dinge, die es im Musikbusiness nach Abschluss des Studiums zu beachten gilt» oder«Chancen und Gefahren eines Jazzstudiums» referiert haben. Im Anschluss daran gab es eine Diskussionsrunde mit den beteiligten Gästen. Für Wittwer ist das Swiss Exchange Festival DKSJ wichtig, um die Vernetzung der Schweizer Jazzhochschulen zu verbessern und zu festigen. In seinem Umfeld und in Eigenerfahrung beobachtet er, dass Studierende der einzelnen Hochschulen, auch innerhalb der überschaubaren Deutschschweiz, insgesamt eher selten den Sprung in andere Städte wagen, sei es für Konzerte, Masterclasses, Panels, Jamsessions etc. Der Röstigraben scheint auch hier sehr stark präsent zu sein. Obwohl er einzelne Kontakte aus der Romandie pflegt, weiss er kaum, was «dort so abgeht», wie er sagt. So ist es auch für Studierende aus der Romandie schwierig, in der Deutschschweiz Konzerte zu ergattern – und umgekehrt eben auch. Es ist für Hannes Wittwer nicht leicht, Gründe zu finden, wieso es auch in der kleinen Schweiz, wo man eigentlich in ein bis zwei Stunden in allen grösseren Jazz-Städten sein könnte, alle in ihren «eigenen Gärtchen» werkeln. Ein Grund könnte sein, dass die meisten Jazzszenen, insbesondere Zürich, schon ein so grosses (Über-)Angebot an Curricula, Kultur und Möglichkeiten haben und so mit sich selbst beschäftigt sind, dass am Ende des Tages nicht mehr viel Zeit bleibt, sich auch noch mit Baslern oder Bernerinnen zu vernetzen. Ob hier die sozialen Medien eher eine förderliche oder hinderliche Rolle im Networking und Austausch haben, darüber kann Wittwer nur spekulieren. Hier ist also die Direktor*innen-Konferenz DKSJ ein wichtiges Standbein, um Menschen zusammenzubringen und die einzelnen Jazz-Szene-Grenzen etwas aufzuweichen. Doch die Bereitschaft zum Austausch muss nicht nur von «oben», sondern auch von der Studierenden-Basis kommen, und hier besteht seiner Ansicht nach definitiv noch Aufholbedarf.

Zusammenarbeit, Vernetzung

Tom Arthurs ist seit Anfang 2018 in Bern und geniesst die reiche Vielfalt des Schweizer Musiklebens, von den Festivals «Zoom In» und «Jazzwerkstatt» in Bern bis hin zum Musikfestival Bern, «unerhört» in Zürich und «earweare» in Biel. Er ist aber auch begeistert von der wunderbaren Vielfalt an unglaublichen Musikern, die jede Woche an der HKB, «seiner» Musikhochschule, unterrichten, darunter Colin Vallon, Andreas Schaerer, Patrice Moret, Julian Sartorius und Tom Arthurs Kollege Brit Django Bates. Für ihn sind Jazz und improvisierte Musik heute ein unverzichtbarer und zukunftsweisender Teil des internationalen zeitgenössischen Musizierens und der Ausbildung im Allgemeinen und haben deshalb auch eine hohe Bedeutung innerhalb der Konferenz der Schweizerischen Musikhochschulen. Die DKSJ besteht nun bereits seit mehreren Jahren und bietet eine fruchtbare Plattform für Zusammenarbeit, Austausch und Solidarität zwischen Bern, Zürich, Lausanne, Luzern und Basel – fünf Jazz-Schulen mit ganz unterschiedlichen Profilen, aber dennoch mit vielen gemeinsamen Zielen und Anliegen. Das Swiss Exchange Festival DKSJ ist aus seiner Sicht ein schönes jährliches Treffen. Es freut Arthurs, wenn das All Star Project Musiker aller Schulen in einem grossen Ensemble vereint, welches fünf Abende lang durch die Schweiz tourt, angeführt von einem internationalen Gastkünstler. Vor Ronan Guilfoyle waren dies etwa Sylvie Courvoisier, Rudi Mahall oder Erik Truffaz. In Bern spielte die Band in diesem Jahr in der wunderschönen Umgebung des BeJazz-Clubs in Bern. Für Tom Arthurs eine tolle Sache (auch im Hinblick darauf, dass jedes Jahr aussergewöhnliche Bachelor-Projekte ausgewählt werden) und einzigartig in der Schweiz, denn letztlich geht es um eines: Zusammenarbeit, Vernetzung und – Musik.

Fingerabdruck des Schweizer Jazznachwuchs

Gregor Hilbe (er war Mitglied des Vienna Art Orchestra, hat mit dem Projekt «TangoCrash» den Weltmusikpreis 2006 gewonnen und zahlreiche Alben aufgenommen) leitete bis 2016 die Schlagzeugklasse sowie den Studiengang Producing/Performance am Jazzcampus der Musik-Akademie Basel. Seit 2016 ist er der Leiter des Profils Jazz & Pop an der ZHdK. Auch für ihn ist die Zusammenarbeit mit den anderen Jazzabteilungen der Schweizer Musikhochschulen sehr positiv, was sich in den regelmässigen Treffen und den vielseitigen Kooperationen niederschlägt. Für das Exchange und das All Star Project sind beim Swiss Exchange Festival die Abläufe in der Zwischenzeit bestens bekannt, wovon letztlich auch die Studierenden profitieren. Hilbe wünscht sich für die Zukunft, dass noch mehr Bachelor-Studierende Interesse an diesen aussergewöhnlichen Gefässen zeigen. Für ihn besteht in diesen Projekten das Potential vor allem darin, dass Studierende ihre Berufskolleginnen und Berufskollegen kennenlernen können und so neben dem Studium wichtige berufliche Erfahrungen sammeln können. Nichtsdestotrotz zeigt er sich aber zufrieden mit der Entwicklung der letzten Jahre und bestätigt, dass die Formate in Zukunft noch angereichert werden sollen, um flächendeckend erfolgreich sein zu können. Der aktuelle Erfolg lässt sich auch in den aktuellen Rückmeldungen lesen, welche ausschliesslich positiv waren, so dass zuversichtlich in die Zukunft geblickt werden darf.

Innerhalb der KMHS geniessen die Jazzabteilungen einen guten Stellenwert, für Hilbe ist es aber wichtig, dass man dabei stets im gemeinsamen Dialog bleibt und schaut, wo man die kongruente Meinungsbildung allenfalls verbessern kann. Das Jahr 2020 wird, so Hilbe, ein spannendes Grossprojekt der Jazzabteilungen präsentieren, und auch die Planung für die nächste Edition des Swiss Exchange Festival DKSJ ist bereits angelaufen.

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