Performing an Inuit Environmentalism?

Die Dissertation untersucht, inwiefern sich Inuit Ontologien und Epistemologien im Repertoire, dem Aufführungskontext und der Alltagsfunktion von Katajjaq resp. Katajjaniq widerspiegeln.

Beim Inuit Kehlkopfgesangsspiel – genannt Katajjaq im Gebiet Nunavut resp. Katajjaniq im Gebiet Nunavik – stehen sich zwei Personen – traditionellerweise Frauen – sehr nahe gegenüber. Teilweise halten sie sich zusätzlich an den Schultern oder Armen fest. Der «Leader» beginnt ein rhythmisches Klangmotiv zu singen, das von der zweiten Person entweder imitiert (Kanon) oder mit einem zweiten Motiv beantwortet wird (Call-and-Response). Die Person, die zuerst aus dem Rhythmus fällt, der zuerst die Luft ausgeht oder die zuerst zu lachen beginnt, hat das Spiel verloren. 

Die Technik des Kehlkopfgesangs, die beim Katajjaq resp. Katajjaniq angewendet wird, ergibt sich aus einer Kombination von stimmhaften und stimmlosen Lauten auf die Ein- und Ausatmung. Die dabei erzeugten Körpervibrationen dienen auch dazu, auf dem Rücken getragene Babys in den Schlaf zu wiegen. 

Christliche Missionierungsbestrebungen und koloniale Assimilierungsstrategien führten durch die Unterdrückung kultureller Ausdrucksformen beinahe zum vollständigen Verschwinden des Inuit Kehlkopfgesangs sowie des Katajjaq resp. Katajjaniq. Wiederbelebungsbemühungen der Tradition haben 2014 zur Erklärung von Katajjaniq als Teil der Quebec’s Intangible Heritage geführt. Dennoch ist es in den letzten Jahrzehnten zu Veränderungen im Aufführungskontext, der Alltagsfunktion und dem Repertoire gekommen. 

Anstatt wie traditionellerweise von zwei Sängerinnen im Kontext eines Spiels oder als schamanisches Ritual zur positiven Beeinflussung der Jagd, wird Katajjaq resp. Katajjaniq gegenwärtig von einer bis zu vier Personen als Freizeitbeschäftigung, zum Ausdruck der eigenen Inuit Identität oder zur Verbreitung aktivistischer Anliegen wie der Promotion der Inuit Sealing Industrie praktiziert. Darüber hinaus mischen Inuit Kehlkopfsänger:innen zunehmend traditionelle Elemente, Techniken und Songs des Katajjaq resp. Katajjaniq mit anderen Musikformen. 

Ein zentraler Aspekt von Katajjaq resp. Katajjaniq ist aber weiterhin die Imitation von Natur-, Tier- und Alltagsgeräuschen, wie sich im Namen von traditionellen Songs widerspiegelt. Beispielsweise beschreibt der Song Qimmirulapik (Poor little puppy) die Beziehung zwischen einer Inuk Jägerin und einem ihrer Schlittenhunde. Der Einfluss der persönlichen Beziehung «to the land» und somit lokalen Ortschaften, zeigt sich ebenfalls im jeweilligen Songrepertoire. So scheint der Song The Walrus im Katajjaq in Nunavut, nicht aber im Katajjaniq in Nunavik gesungen zu werden. 

Die Dissertation, die im Bereich der Kulturellen Anthropologie der Musik an der Universität Bern verfasst wird, untersucht daher die folgende Frage: Und zwar, welchen Einfluss der persönlichen Beziehung «to the land» sowie von Inuit Ontologien und Epistemologien – insbesondere in Bezug auf die Beziehung zwischen Menschen, Natur und more-than-human – auf das Repertoire, den Aufführungskontext und die Alltagsfunktion von Katajjaq resp. Katajjaniq. In diesem Kontext stellt sich auch die Frage, ob und inwiefern sich diese aufgrund der Auswirkungen des Klimawandels in der Arktis, aufgrund der Umsiedlung in die südlichen urbanen Städte Montréal und Ottawa oder aufgrund des zunehmenden Gebrauchs von Social Media verändern. 

Die Priorität von kanadischen Inuit Organisationen sowie Inuit Kehlkopfsänger:innen ist die Bewahrung, Weitergabe und die Bewusstseinsbildung von Katajjaq resp. Katajjaniq als traditionelles Inuit Kehlkopfgesangsspiel. Da die Forschungskollaboration mit Inuit Kehlkopfsänger:innen ein zentraler Aspekt der Arbeit darstellt, ist ein Ziel des Projekts daher die Errichtung einer gemeinsam betriebenen Website. Dort können Videos, Tonaufnahmen, Interviews, Informationen und Forschungsbeiträge gesammelt werden. 

Der Link verweist auf die Publikation «La Musique qui vient du froid. Arts, chants et danses des Inuit» auf der Website Les Presses de l’Université de Montréal, wo sich öffentlich zugängliche Hörbeispiele und Videos zu Katajjaq finden. 

pum.umontreal.ca/catalogue/la_musique_qui_vient_du_froid/contenusupplementaire

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