Streaming: Schweizer Musik sichtbar machen

Streaming-Anbieter entscheiden durch Setzen bestimmter Songs in beliebte Playlists über Erfolg oder Misserfolg eines Stücks. Für Schweizer Acts sind die Hürden besonders hoch. Das muss sich ändern.

Streamingplattformen sind für die Musikmärkte unerlässlich geworden. Am grössten ist die Bedeutung von Playlists beim Marktführer Spotify, allerdings werden dort Schweizer Acts kaum in die plattformeigenen Playlists aufgenommen, weil es keine Kurator:innen gibt, die sich um das Schweizer Angebot und Repertoire kümmern. Für die Künstler:innen und ihre Labels ist dies eine kaum überwindbare Hürde, um Sichtbarkeit, Streams und damit letztlich überhaupt Einnahmen zu generieren.

Streaming trug 2023 mit satten 88 Prozent zum Umsatz mit Tonträgern in der Schweiz bei, Tendenz steigend. Die Grösse des Angebots liegt heute schon bei über 100 Millionen Titeln. Die zentrale Herausforderung liegt darin, in dieser Masse überhaupt wahrgenommen zu werden. 

Entscheidend für den Erfolg ist die Aufnahme der eigenen Titel in populäre Playlists, insbesondere in jene, welche die Anbieter selbst zusammenstellen und fortlaufend kuratieren. 35 Prozent des Musikkonsums auf der Plattform des Marktführers Spotify geschieht über hauseigene Playlists, weshalb dieser Anbieter erheblichen Einfluss darauf hat, welche Musik überhaupt wahrgenommen und gespielt wird und wer folglich Einnahmen erhält.

Spotify berücksichtigt einheimische Musik der Schweiz jedoch kaum: Schweizer Musik ist in den Playlists von Spotify deutlich untervertreten, wie ein Vergleich der hiesigen Versionen dieser Playlists mit jenen ähnlicher Märkte (Belgien, Dänemark, Niederlande, Norwegen, Spanien, Finnland) zeigt. 

Dadurch sind Schweizer Künstler:innen die Chancen, die solche global verfügbaren Plattformen bieten könnten, von Anfang an praktisch verwehrt. Denn «unsichtbare» Künstler:innen werden weder Fans im In- und im Ausland hervorbringen noch Einnahmen erzielen, möge ihre Musik noch so gut sein. Dies sei nachfolgend an einem Beispiel illustriert.

Spotify veröffentlicht länderspezifische Versionen von «New Music Friday», einer international sehr erfolgreichen Playlist. Hier werden wöchentlich Neuerscheinungen vorgestellt, wobei sowohl internationale als auch nationale Acts vorgestellt werden. Die nachfolgende Grafik zeigt, dass der Anteil einheimischer Künstler:innen in vergleichbaren europäischen Ländern durchschnittlich bei über 30 Prozent liegt, mit einer Bandbreite von rund 20 bis 50 Prozent. Nicht so in der Schweiz: Hier schwankt der Anteil einheimischer Künstler:innen zwischen null und zwölf Prozent. Die Schweiz liegt weit abgeschlagen auf dem letzten Platz.

Warum ist aber der Anteil von Schweizer Acts derart tief? Der Grund liegt darin, dass Spotify das Schweizer Angebot von Berlin aus mit Personal steuert, das hauptsächlich für den zehnmal grösseren deutschen Markt beschäftigt wird und über keinerlei Kenntnisse der hiesigen Musikszene verfügt, erst recht nicht über jene der Romandie, der italienischen und der rätoromanischen Schweiz. Das Schweizer Angebot wird gleichsam nebenbei erledigt, während die Hauptaufmerksamkeit auf den deutschen und internationalen Acts liegt.

Dieses Verhalten Spotifys bedeutet für die Schweizer Musikschaffenden und Labels eine schwerwiegende Behinderung des Zugangs zum nationalen und globalen Musikmarkt. Das Entwicklungspotential unserer heimischen Künstler:innen wird von Beginn an abgeschnitten: Wer schon für das nationale Publikum schwer sichtbar ist, wird es nie in internationale Playlists schaffen und folglich auch nie zu internationalem Erfolg kommen. Die Chancen eines globalisierten und digitalisierten Musikmarktes können so nicht genutzt werden; es liegt auf der Hand, dass dies auch finanzielle und kulturelle Folgen hat.

Zu fordern ist von sämtlichen bedeutenden Streamingplattformen die Einrichtung einer Schweizer Redaktion mit Sitz in der Schweiz, die Willens und in der Lage ist, der hiesigen mehrsprachigen Musikszene im hiesigen Angebot eine angemessene Plattform zu bieten. Dies liegt nicht nur im Interesse der Schweizer Musikwirtschaft, sondern auch der Schweizer Konsument:innen aller Landesteile. 

Langjährige und umfangreiche Bemühungen der Verbände der Schweizer Musikschaffenden und der Rechteinhaber haben gegenüber gewichtigen Streaming-Plattformen leider nicht dazu geführt, dass diese in der Schweiz eine Niederlassung mit Personal in Betrieb genommen hätten. Nun hat auch die Politik die ungenügende Präsenz der grossen Streamingprovider in der Schweiz wahrgenommen und beginnt zu reagieren. Eine im Herbst 2023 von Nationalrat Müller-Altermatt eingereichte Interpellation «Diskriminierung der Schweizer Musikschaffenden auf dem Streamingmarkt beseitigen» wurde vom Bundesrat positiv beantwortet. Müller-Altermatt doppelte sodann mit einer Motion unter dem gleichen Titel nach und verlangt «die gesetzlichen Grundlagen so anzupassen, dass in- und ausländische Unternehmen, die in der Schweiz Musik über elektronische Abruf- und Abonnementsdienste anbieten, das Schweizer Musikschaffen in der Präsentation ihres allgemeinen und kundenindividuellen Angebots angemessen und nichtdiskriminierend abbilden und hervorheben müssen. Diese Unternehmen sollen verpflichtet werden, mit den massgebenden Verbänden der Schweizer Musikschaffenden und Produzenten eine Branchenvereinbarung abzuschliessen. Eine Regelung der Umsetzung durch den Bund und Sanktionsmechanismen sind subsidiär zu Branchenvereinbarungen vorzusehen, falls diese nicht innert nützlicher Frist zustande kommen.» Beide Vorstösse wurden von Mitgliedern unterschiedlichster Parteien von links bis rechts mitunterzeichnet. 

Auf die Reaktion des Bundesrats und unserer neuen Kulturministerin Elisabeth Baume-Schneider darf man ebenso gespannt sein wie auf die Bereitschaft des Parlaments, die Schweizer Musik durch einfache Instrumente wirksam sichtbarer und damit erfolgreicher zu machen. Wir bleiben dran!

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