Wenn das Musizieren zur Qual wird

«Warnsignal Schmerz» hiess es anlässlich des 16. Symposiums der SMM am 27. Oktober in Luzern.

SMM — «No pain, no gain – Fortschritt muss leiden –, hiess es einst auch bei Musikstudierenden und ‑profis. Die Zeiten sind gottlob vorbei: Schmerzen werden heute vielmehr als Warnsignale des Körpers verstanden. Sie sind Aufforderungen, Proberoutinen, Haltung und mentale Einstellungen zu überprüfen. «Warnsignal Schmerz» war denn auch der Titel des 16. Symposiums der Schweizerischen Gesellschaft für Musik-Medizin und der Schweizerischen Interpretenstiftung im Marianischen Saal Luzern. In bewährter Art moderiert wurde der Anlass von der SMM-Präsidentin Martina Berchtold-Neumann. Sie bereicherte den Tag unter dem Motto «Urlaub vom Schmerz» überdies mit einer Erholungstrance

Dass die Konzepte Schmerz und Leiden getrennt werden müssen, zeigte zum Einstieg ins Thema der Psychiater Stefan Büchi auf, der als Ärztlicher Direktor der Privatklinik Hohenegg amtet. Er betonte wie wichtig es ist, herauszufinden, wie Betroffene Schmerzen subjektiv in ihr Leben integrieren. Erst wenn der Arzt, die Ärztin differenzierten Zugang zur den subjektiven Schmerzerfahrungen haben, sind Heilungsprozesse möglich. Dazu haben Büchi und ein schweizerisch-britisches Team eine Visualisierungsmethode entwickelt (Pictorial Representation of Illness and Self Mesure, PRISM). Sie erlaubt es, Krankheit, soziale und familiäre Situation sowie das Verhältnis zur Arbeit abstrakt-bildlich darzustellen. Damit können Patient und Helfende für einen Heilungsprozess von einem differenzierten gemeinsamen Blick auf das Schmerzerleben ausgehen.

Die in Halle (Saale) tätige Sportmedizinerin und Orthopädin Katja Regenspurger wies unter anderem darauf hin, dass rund die Hälfte aller Musikerinnen und Musiker mit muskuloskelettalen Beschwerden zu kämpfen hat. Verursacht werden sie auffällig häufig von Instrumenten mit asymmetrischer Spielweise, allen voran Querflöten und Violinen oder Bratschen, aber auch das Klavier provoziert überdurchschnittliche Überbeanspruchungen. Einfluss haben dabei die sogenannte isometrische statische Arbeit, etwas das Verbleiben in bestimmten Körperhaltungen, und die für Musizierende typischen repetitiven Beanspruchungen kleiner Muskelgruppen.

Die weit verbreiteten Rückenschmerzen sind in der Regel Folge einer mangelnden Balance‑ und Stabilisationsfähigkeit der tiefen Rückenmuskeln. Schmerzen vermieden werden können laut Regenspurger mit bewusster Übepraxis. Dazu gehören eine sinnvolle Pausengestaltung sowie das Aufwärmen und die Entlastung des muskuloskeletalen Systems durch mentales Üben. Keinesfalls sollte man in den Schmerz hinein üben oder das Spielpensum plötzlich steigern.

Aus der Praxis der Musikersprechstunden berichteten aus der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) Horst Hildebrandt, Oliver Margulies und Marta Nemcova und aus dem Luzerner Kantonsspital Urs Schlumpf. Da zeigte sich, dass die Schmerzproblematik wie viele andere gesundheitliche Probleme in der Musikpraxis heute höchst individuell angegangen wird. Entsprechende Beschwerdenanalysen sind, wie etwa das Beispiel einer Pianistin mit ungünstiger Handhaltung zeigte, aufwendig und erfordern ein hohes Mass an spezieller instrumentaltechnischer und physiologischer Kompetenz. Heute ist diese in den Schweizer Musikersprechstunden mittlerweile selbstverständlich.

Der Ulmer Neurophysiologe Robert Schleip wiederum wurde dem Luzerner Publikum auf modernem Weg per Video-Livestreaming zugeschaltet. Er präsentierte die neuesten Entwicklungen in der Faszienforschung. Ihre Bedeutung auch für die Schmerzproblematik wird immer mehr erkannt. Die Faszien – eng mit dem vegetativen Nervensystem verbundes Bindegewebe – verfügen über sehr viel mehr Bewegungssensoren und Schmerzrezeptoren, als sich in den Muskeln und Gelenken finden lassen und tragen damit wesentlich zur Schmerzproblematik bei.

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