Chorfantasie

Jeden Freitag gibts Beethoven: Zu seinem 250. Geburtstag blicken wir wöchentlich auf eines seiner Werke. Heute auf die Fantasie für Klavier, Chor und Orchester in c-Moll.

Ausschnitt aus dem Beethoven-Porträt von Joseph Karl Stieler, ca. 1820

Finale. So heisst es seltsamerweise nach nur 26 Takten ausnotierter Klavierimprovisation zum Allegro der Chorfantasie. Ferner solle das Orchester hier erst auf ein Zeichen des Pianisten einsetzen (Qui si dà un segno all’ orchestra o al direttore di musica). Es folgen erstaunliche 586 Takte. Mit einer marschartigen Linie setzen die Streicher wie aus der Ferne ein und nähern sich im Crescendo, Hörner und Oboen tauschen knappe Rufmotive mit Echowirkung aus, bevor im Klavier eine Melodie vorgestellt wird, die Beethoven bei sich selbst entlehnte – aus dem bereits 1794/95 entstandenen Lied Gegenliebe (WoO 118). Sie ist das Thema der nachfolgenden Variationen, bei denen nach und nach geradezu kammermusikalisch die einzelnen Bläser vorgestellt werden: Flöte, Oboen, die Klarinetten mit Fagott, dann die Stimmführer der Streicher als Quartett, schliesslich das Tutti, später dann Solisten und Chor.

Das eigenartige Werk, an dem sich noch heute gelegentlich die Geister scheiden, stand am 22. Dezember 1808 als letztes auf dem Programm von Beethovens grosser Akademie im Theater an der Wien – als krönender Schlusspunkt eines langen Abends, an dem bereits die 5. und 6. Sinfonie, Teile der Messe C-Dur, die Arie Ah perfido, das 4. Klavierkonzert und eine unbezeichnete Klavier-Fantasie erklungen waren. Beethovens Idee, dass sich hier alle Mitwirkenden zusammenschliessen, geht auch aus dem Programmzettel hervor, auf dem das Werk angekündigt wird als «Fantasie auf dem Klavier, welche sich nach und nach mit Eintreten des Orchesters, und zuletzt mit Einfallen von Chören als Finale ! endet». Johann Friedrich Reichardt verbrachte den Abend auf Einladung in der Loge des Fürsten Lobkowitz und hielt seine Eindrücke in den Vertrauten Briefen geschrieben auf einer Reise nach Wien (1810) fest. Auch er war von der Komposition überrascht, deren Aufführung allerdings nach einem unpräzisen Einsatz abgebrochen und neu angesetzt werden musste. Die zugrunde liegende, den ganzen Abend reflektierende Anlage geriet so aus dem Blick: «Elftes Stück: Eine lange Phantasie, in welcher Beethoven seine ganze Meisterschaft zeigte, und endlich zum Beschluss noch eine Phantasie, zu der bald das Orchester und zuletzt sogar das Chor eintrat. Diese sonderbare Idee verunglückte in der Ausführung durch eine so komplette Verwirrung im Orchester, dass Beethoven in seinem heiligen Kunsteifer an kein Publikum und Lokale mehr dachte, sondern drein rief, aufzuhören und von vorne wieder anzufangen. Du kannst Dir denken, wie ich mit allen seinen Freunden dabei litt.»

Doch war die in Eile niedergeschriebene Komposition nicht nur unzureichend geprobt worden. Vielmehr hatte das ganze Konzert mit einer Gesamtlänge von vier Stunden sowohl die Musiker wie auch die Hörer erschöpft, wie Reichardt mitteilt: «Da haben wir denn auch in der bittersten Kälte von halb sieben bis halb elf ausgehalten, und die Erfahrung gefunden, dass man auch des Guten – und mehr noch, des Starken – leicht zu viel haben kann.» Und so blieben am Ende wohl auch jene programmatischen Verse ungehört, mit denen die Chorfantasie hell leuchtend und emphatisch in C-Dur schliesst: «Nehmt denn hin, ihr schönen Seelen, / froh die Gaben schöner Kunst, / wenn sich Lieb und Kraft vermählen, / lohnt dem Menschen Göttergunst.»


Hören Sie rein!


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