«Le chiese di Assisi» von Walter Furrer

Heinz-Roland Schneeberger führte die Komposition «Le chiese di Assisi, nove visioni musicali per organo» am 13. Juli 1973 erstmals vollständig auf. Eine Begegnung.

Heinz-Roland Schneeberger und Beatrice Wolf-Furrer. Foto: Beat Sieber

1973 hielt Walter Furrer (1902–1978) den tiefen Eindruck, den die neun Kirchen der umbrischen Stadt Assisi in ihm ausgelöst hatten, in der Komposition Le chiese di Assisi, nove visioni musicali per organo fest. Obwohl die Orgel nicht sein hauptsächliches Medium war, griff er, sobald es um die musikalische Umsetzung ausgeprägt spiritualistischer Erlebnisse ging, unweigerlich zu diesem Instrument.

Da ich mich seit 2014 intensiv um die Wiederbelebung des – von der Burgerbibliothek Bern verwalteten – Furrerschen Oeuvres bemühe, sind mir auch Kontakte mit Musikern wichtig, die meinen Vater noch gekannt haben. Von dem Organisten Heinz-Roland Schneeberger wusste ich, dass er noch lebte, doch gelang es mir zunächst nicht, ihn ausfindig zu machen, auch im Internet war er nicht präsent. Schliesslich erfuhr ich aus Fachkreisen, dass er sich in der Altersresidenz Bellevue-Park in Thun aufhalte.

Und so kam es am Samstagnachmittag, dem 5. Dezember 2015, in der eleganten Lounge des Bellevue-Parks zu einer persönlichen Unterhaltung. Unterstützt wurde ich dabei von Beat Sieber, dem Geschäftsführer des Berner Kammerorchesters und Sekretär des im Juli 2015 gegründeten Fördervereins Komponist Walter Furrer, der das Gespräch fotografisch und filmisch festhielt und sich auch mit einigen Fragen daran beteiligte.

Während des knapp einstündigen Gesprächs erfuhr ich einige wichtige Details. Der Organist, 1928 geboren, liess sich am Seminar Muristalden zum Primarlehrer ausbilden und war bis zu seiner Pensionierung 1993 an verschiedenen Schulen in der Schweiz tätig, die wichtigsten Stationen waren St. Moritz und Herisau.

Als Fünfzehnjähriger kam er erstmals mit dem Instrument in Kontakt, dem er ein Leben lang treu bleiben sollte. Am Seminar, in dem, wie damals üblich, auch Gottesdienste mit musikalischer Umrahmung stattfanden, erhielt er seinen ersten Unterricht. Später setzte er am Konservatorium Zürich seine Orgelstudien fort, wo der damalige Fraumünster-Organist Heinrich Funk sein Lehrer war, und bei Heinrich Gurtner, dem langjährigen Organisten des Berner Münsters, erwarb er schliesslich das Konzertdiplom. In der Folge entfaltete er, neben dem pädagogischen Brotberuf, eine rege Konzerttätigkeit als Organist in der ganzen Schweiz und teilweise auch im Ausland.

Heinz-Roland Schneeberger. Foto: Beat Sieber

Zurück zu Walter Furrer: In den sechziger Jahren lernte er durch seine zweite Ehefrau, die Sopranistin Margreth Furrer-Vogt, Heinz-Roland Schneeberger kennen, der zum Hauptinterpreten seiner Orgelkompositionen wurde. Sie hatte schon längere Zeit mit Schneeberger zusammengearbeitet und sich dabei insbesondere mit Kompositionen von Hans Studer profiliert. Walter Furrer war vom Orgelspiel Schneebergers begeistert und machte ihn mit seinem eingangs erwähnten Werk Le chiese di Assisi, nove visioni musicali per organo bekannt.

Am 13. Juli 1973 hob Heinz-Roland Schneeberger in der Lausanner Kathedrale den gesamten Chiese-Zyklus aus der Taufe. Am 2. August des gleichen Jahres brachte er ihn in der St. Baafskathedraal in Gent (Belgien) im Rahmen eines grossen Orgelkonzerts, bei dem, wie sich der Organist noch genau erinnert, auch das Ehepaar Furrer-Vogt anwesend war. 1974 und 1975 folgten Aufführngen im Berner Münster sowie in der Kathedrale Chur, wobei nur Teile der Chiese-Komposition dargeboten wurden. Nach dem gleichen Prinzip verfuhr Schneeberger auch in den USA, wo er im Oktober 1980, also gut zweieinhalb Jahre nach Walter Furrers Tod, an vier Aufführungsorten jeweils die auf die Kirchen Santa Chiara und San Rufino bezogenen visioni spielte.

Dieser Kontakt war, wie der Organist berichtet, im Engadin durch einen guten Bekannten, den nach Amerika ausgewanderten Schweizer Organisten Frank Herand, zustande gekommen. Dieser organisierte die vier Konzerte, und zwar unter folgenden zwei Bedingungen: Es sollte «kein Bach» gespielt und ein zeitgenössischer Schweizer Komponist vorgestellt werden. So kam es, dass die beiden genannten visioni auch in überseeischem Gebiet erklangen.

Es sei noch erwähnt, dass Heinz-Roland Schneeberger auch den 142. Psalm für Sopran und Orgel, den Walter Furrer 1967 unter dem Eindruck des Sechs-Tage-Krieges schrieb, zusammen mit Margreth Furrer-Vogt gestaltete. Er erinnere sich noch genau an das Konzert, das am 28. August 1970 in der Schlosskirche Interlaken stattfand und dem Komponisten wie den Interpreten viel Anerkennung einbrachte.

Wie Walter Furrer als Mensch auf ihn gewirkt habe, fragte ich abschliessend den Organisten. Impulsiv und ungeduldig sei er gewesen, antwortete Herr Schneeberger, und beim Orgelspiel habe er ihn durch hörbare Reaktionen bisweilen etwas gestört. Aber im grossen Ganzen habe er ihn gemocht.

Vielen Dank, lieber Herr Schneeberger, dass Sie dieses Gespräch ermöglicht haben.

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