Die Hitparade: Karrieretreiberin, Kult und Kommerz

Adrian Weyermann, Andreas Rohrer, Andreas Ryser, Annakin, Brandy Butler, Daniela Sarda, Luca Bruno, Michael von der Heide, Stefan Künzli und Toni Vescoli geben Auskunft über ihr Verhältnis zu den Charts.

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Für seinen Artikel bekam Hanspeter Künzler aus der Musikszene mehr oder weniger ausführliche Antworten auf einige Fragen. Da der Platz in der gedruckten Schweizer Musikzeitung beschränkt ist, konnte er nur einen Teil der Rückmeldungen in seinem Text veröffentlichen. Hier nun die kompletten Feedbacks in alphabetischer Reihenfolge.

Adrian Weyermann, Musiker

Wie war dein Verhältnis zur Hitparade als 12- und 18-Jähriger – und heute? Interessiert dich die Hitparade überhaupt noch?

Meine grossen Hightimes mit den «Bestsellern auf dem Plattenteller» hatte ich so zwischen 1978 und 1982, also im Alter von 4 bis 8 Jahren. Da konnte ich den Sonntag kaum erwarten:

Boney M. mit Rivers of Babylon, Blondie Call Me, Stevie Wonder Master Blaster, Robert Palmer Johnny and Mary. Das ist für mich tiefste musikalische Kindheit.

Als 12- bis 18-Jährigem war mir die Hitparade dann bereits sehr egal, mein Herz klopfte bereits unabhängiger. Obwohl ich als Musiker ja schon damals immer irgendwie dazwischenstand. Für die Hitparade zu sperrig, für die Indies zu poppig.

Vor 7 Jahren, als ich an meinem bisher letzten Album für die Weyers schrieb, habe ich einmal versucht, die Top 40 durchzuhören, nur um zu wissen, was man heute so hört. Es zog sich mir leider bei 99 % der Songs alles zusammen. Schade. Ich kam also zum Schluss, dass das wohl nichts (mehr) für mich ist. Heute höre ich aus den Zimmern meiner Töchter immer auch mal aktuelle Hits, die mir irgendwie gefallen.

In den gloriosen Sixties bis weit in die Seventies hinein haben wir ja alle die Hitparade verfolgt, auch wenn wir lange Haare hatten und kifften. Wie sieht das Hitparadenpublikum heute aus?

Manchmal vielleicht wie meiner Töchter, oft ganz anders, denke ich.

Inwieweit war/ist die Hitparade ein Antrieb für dein Schaffen mit The Weyers?

Ich würde behaupten, dass die Messbarkeit des Erfolgs (Klicks, Likes, Social Media, Hitparadenpositionen) mir die Freude an der Musik fast vermiest hätte. Ich habe deshalb nach einem Burnout das Profi-Musikbusiness vor fünf Jahren als Artist/Songwriter bewusst verlassen und bin seither begeisterter Musiklehrer.

Sind Klick-Zahlen heute wichtiger als die Hitparade? Falls ja, welche Konsequenzen hat das?

Siehe oben …

 

Andreas Rohrer, Moderator «Sounds!», SRF 3

Ich mach’s kurz und bündig!

Wie war dein Verhältnis zur Hitparade als 12- und 18-Jähriger – und heute? Interessiert dich die Hitparade überhaupt noch?

Mit 12: Grosser Unterhaltungs- und Informationswert. Jeden Winter-Sonntag auf der Heimfahrt aus den Bergen im Auto gehört.

Mit 18: Rund um die Matura war die Hitparade Gradmesser für das, was im Allgemeinen für musikalisch relevant und gut gehalten wurde. Wurde aber durch Alternativen relativiert.

Heute: irrelevant

In den gloriosen Sixties bis weit in die Seventies hinein haben wir ja alle die Hitparade verfolgt, auch wenn wir lange Haare hatten und kifften. Wie sieht das Hitparadenpublikum heute aus?

Wie Alexander Blunschi

Falls Du einmal Musik gemacht hast, war die Hitparade eine Art Leuchtturm oder wirkte sie eher abschreckend?

Für meine nicht weiter nennenswerten Gitarren- und Gesangskünste hatten der Grunge und Pop-Punk der 90er grossen Einfluss, also Sachen, die damals in den Charts zu finden waren.

Sind Klick-Zahlen und Likes heute wichtiger als die Hitparade? Falls ja, welche Konsequenzen hat das?

Ich denke ja. Die Hitparade als Gatekeeper existiert nicht mehr. Verbreitung ist wichtiger als Verkauf. Dass die Hitparade Streams miteinbezieht, ändert an ihrem heutigen Status nichts.

 

Andreas Ryser, Manager einer Plattenfirma, Musiker

Wie war dein Verhältnis zur Hitparade als 12- und 18-Jähriger – und heute? Interessiert dich die Hitparade überhaupt noch?

Ich habe mir die Hitparade als 12-Jähriger auf Kassette aufgenommen, eigene Cover dazu gebastelt mit Fotos aus Bravo oder Pop Rocky, mit 18 ging es mir dann schon ziemlich am A… vorbei, da waren dann Beastie Boys und Living Colour angesagt. Die Hitparade heute schaue ich mir nur noch an, wenn uns jemand mitteilt, dass wir wegen ein paar verkauften Tonträgern in den Album-Charts sind mit unseren Acts … Singles-Hitparade, nee …

In den gloriosen Sixties bis weit in die Seventies hinein haben wir ja alle die Hitparade verfolgt, auch wenn wir lange Haare hatten und kifften. Wie sieht das Hitparadenpublikum heute aus?

Da die Hitparade mit Tiktok-Virals gefüllt ist, die dadurch auf den Streaming-Services sehr gut performen und somit dann eben die Charts bestimmen, ist dies nicht so unsere Baustelle, Hitparaden sind dann halt einfach die Top 100 der Welt.

Inwieweit war/ist die Hitparade ein Antrieb für dein Schaffen mit Filewile heute?

Kein Antrieb. Die Singles-Hitparade ist so global geworden, dass du eigentlich keine Chance hast, da stattzufinden. Dies hat natürlich in erster Linie damit zu tun, das Streaming-Services, wie z. B. Spotify, sehr wenig für die lokalen Musikmärkte machen. Somit sind die Charts viel globalisierter als früher.

Sind Klick-Zahlen heute wichtiger als die Hitparade? Falls ja, welche Konsequenzen hat das?

Hitparaden sind natürlich immer noch der Treiber, um in die kommerziellen grossen Radios zu kommen. Die Hitparade unterscheidet sich ja sehr wenig von den Spotify-Charts. Somit sind all die Charts bei den Streaming-Services oder Tiktok und Youtube viel relevanter, auch weil dort dann nochmal viel zusätzliche Nutzung passieren kann, wenn der Song in den Charts stattfindet. Das Radio war ja früher so etwas wie die Kommunikation der meisten Verkäufe, also eigentlich ein Produkt der Musikindustrie, um mit der Musik, die sich eh schon sehr gut verkauft, noch mehr zu verkaufen …

Wir merken natürlich, dass es einen grossen Impact hat, wenn wir Resultate haben, zum Beispiel in grossen Playlists auftauchen, Konzerte ausverkauft sind oder die Gruppen viele Followers haben. Weil: Der Mensch ist halt einfach sehr langweilig gewickelt, und was viel gehört und gesehen wird, wird automatisch als gut erachtet.

Dies ist ein Phänomen, das sich lustigerweise auch in der Indie-Szene durchsetzt. Wir können auch für noch so experimentelle Musik mit Reichweite-Argumenten noch mehr Reichweite kriegen und so einen Artisten hochschaukeln. Also genau so, wie dies ja der Zweck der Hitparade ist. Eine der besten Strategien überhaupt, wenn es um Live-Auftritte geht, ist diese: Es ist superwichtig, einige Shows schnell auszuverkaufen, dies dann immer und immer wieder zu kommunizieren, so verkaufst du dann weitere Tickets viel schneller und besser, da sind natürlich Social Media sehr hilfreich.


Annakin, Musikerin

Wie war dein Verhältnis zur Hitparade als 12- und 18-Jährige – und heute? Interessiert dich die Hitparade überhaupt noch?

In meiner Teenagerzeit war die Hitparade natürlich schon ein wöchentlich mit Spannung erwartetes Ereignis. Ich verfolgte die Deutsche Hitparade jeden Samstagabend im TV und machte mich gleichzeitig mit viel Haarspray parat für den Ausgang. Die Hitparade läutete quasi das Wochenende ein, denn wir hatten früher noch Schule am Samstagmorgen. Etwas später kam die Hitparade am Sonntag auf DRS 3. Es war die Zeit, als Depeche Modes Enjoy the Silence und Sinéad O’Connors I do not want what I havent’t got in den Charts waren, beides sind noch heute grosse Idole für mich. Heute interessiert mich die Hitparade noch, weil ich bislang die Ehre hatte, mit all meinen Alben darin vertreten zu sein. Aktiv hören tue ich sie aber nicht mehr.

In den gloriosen Sixties bis weit in die Seventies hinein haben wir ja alle die Hitparade verfolgt, auch wenn wir lange Haare hatten und kifften. Wie sieht das Hitparadenpublikum heute aus?  

Ich denke, das hat sich alles massiv verändert. Die Kids von heute sehen anders aus, weil sie andere Idole haben. Heute ist es der Billie-Eilish-Schlabber-Look, wie es mein Göttibub mal formuliert hat, und früher war das Äquivalent vielleicht der Punk und dann der Grunge. Früher waren es die Popper mit den gelierten Haaren und heute liebt man die Nerds, wie Ed Sheeran oder Lewis Capaldi. Eine schöne und vor allem tolerante Entwicklung, finde ich.

Vielleicht war die Hitparade früher auch ein spezielles Ereignis, weil es eine Art erste Playlist war, die man zu hören bekam. Ausser in der Disco gab es damals ja noch keine einfache Möglichkeit, alle Lieblingssongs der Reihe nach zu hören. Man musste immer zuerst das Tape, die CD oder die Platte wechseln. Eine erste Form von Playlist war wahrscheinlich auch das Aufnehmen auf Kassette. Aber da kam man ja immer zu spät und hat den Recordingknopf meistens erst gedrückt, wenn der Song bereits angefangen hatte.

 Inwieweit war/ist die Hitparade ein Antrieb für deine Arbeit heute?

Sie ist kein eigentlicher Antrieb, aber ich finde es jeweils trotzdem cool, wenn ein Album oder ein Song von mir charted.

Sind Klick-Zahlen heute wichtiger als die Hitparade? Falls ja, welche Konsequenzen hat das?

Das mag sein. Ich finde diese Tendenz aber problematisch, da die Klick-Zahlen oft nicht die Wahrheit abbilden und wirklich Geld generieren tun sie auch nur, wenn man unendlich viele Klicks hat.

 

Brandy Butler, Musikerin

How was your relationship with the «hit parade» as a 12- and an 18-year-old? And today? Are you interested in the charts at all today?

When I was 12, I would come home every day after school and watch MTV live. I wouldn’t say that I recognized that what I was watching was more or less the charts, but I definitely was interested in what music was popular at that time for social reasons. By the time I was 18, I was in college and no longer watching MTV for the charts. The internet was still in its baby form but downloading platforms like Napster had just started. And so, the charts were more like what was everyone downloading off of the platforms.

Today I am no longer interested in the charts as we have known them at all, except that I watch a lot of old chart-reruns (like Soul Train and Dick Clark’s Bandstand) with my dad who has dementia. These days I understand that the charts were/are basically a tool run by the major labels to advertise their products. Even streaming platforms. The major playlists have secret curators, and often they are the major labels. I do think what is interesting is how social media can make a song jump to internet stardom based on how people interact with a song. But still, the charts are just a curated playlist. I prefer to make my own.

During the «glorious» 60s up to the mid-70s, we all (I mean people my age, not you!) followed the charts, even if we had long hair and smoked dope. Who follows the charts today?

I don’t think people actively follow the charts anymore. The charts were a kind of reference to what you should be listening to and therefore buying. With the start of streaming apps and curated playlists, this lost its relevance. You can listen to literally all the music all the time for 15.- CHF a month, and if you don’t know what you like an algorithm will just automatically pick it for you.

Have the charts ever been a motivational force in your work?

Never ever. I think to make a chart hit in most cases your goal has to be to appeal to the most amount of people possible. In my case I make music for myself, simply because I love to, so that doesn’t really give me a lot of mass appeal. (It does give me really true fans, but I think I would fall more under niche music than anything).

Is the number of clicks more important today than the charts? If so, what are the consequences?

Are clicks more important than plays? I think already there you’re showing your age. 😉  Most people don’t have mouses anymore, so clicks is not a term from the most current generation. Streams and likes are much more important. They are the currency of social media, and in that world, they are worth a lot. You can translate it into sponsorships and ads all which have the potential to generate revenue. However, they also come with barriers. You need access to the playlists or have platform algorithms that push your music (like the major labels do). And still even with all that, it doesn’t necessarily translate outside that world to money. The average payment for a stream is .00002.

I think it could be interesting in today’s world to redefine what charts are and how they could be calculated. But I think the day of charts are kind of over. The internet makes its own recommendations based on the trends, but this can last literally from a day to a few weeks. Usually within a month it is no longer cool to even like that song.

 

 Daniela Sarda, Musikerin

Wie war dein Verhältnis zur Hitparade als 12- und 18-Jährige – und heute?

Als 12- bis 18-Jährige habe ich generell sehr viel Musik gehört. Da ich mich grundsätzlich für Musik interessiert habe, hatte ich natürlich meine Lieblingsalben, welche ich unabhängig von der Hitparade immer hörte. Die Hitparade hatte mehr Einfluss auf bestimmte Trends und dass man einzelne Songs eine Zeit lang sehr mochte. Meinen persönlichen Musikgeschmack hat sie aber nicht beeinflusst. Heute höre ich keine Hitparade mehr, wenn, dann höre ich mir auf Spotify Pop Brandneu oder Fresh Finds an, um Neuerscheinungen zu entdecken.

 Interessiert dich die Hitparade überhaupt noch?

Die Hitparade interessiert mich aktuell nicht.

In den gloriosen Sixties bis weit in die Seventies hinein haben wir ja alle die Hitparade verfolgt, auch wenn wir lange Haare hatten und kifften. Wie sieht das Hitparadenpublikum heute aus?

Ich denke, der Musikgeschmack ist viel individueller geworden. Ich könnte mir vorstellen, dass Menschen, die Musik beiläufig konsumieren, noch Hitparaden hören, aber junge Menschen stellen sich auf Spotify ihre eigenen Playlists zusammen. Ich habe einen kurzen Blick auf die aktuelle Schweizer Hitparade geworfen, ich kenne davon noch zwei, drei Namen (Billie Eilish, Olivia Rodrigo).

 Inwieweit war/ist die Hitparade ein Antrieb für deine Arbeit heute?

 Für meine aktuelle Arbeit war die Hitparade nicht so relevant, evtl. mehr für das Zusammengehörigkeitsgefühl, das man hatte, wenn alle denselben Song singen und dazu tanzen konnten. Meine Arbeit war bereits als junge Sängerin von Soul, R’n’B oder Canzoni inspiriert, diese Musik war nicht immer in den Charts präsent.

Sind Klick-Zahlen heute wichtiger als die Hitparade? Falls ja, welche Konsequenzen hat das?

Beides ist wichtig. Versuchen nicht immer noch viele Künstlerinnen und Künstler in die Hitparade zu kommen? Oder ist dies vielleicht immer noch ein Werkzeug der Majorlabels, um von der grossen Masse konsumiert und gekauft zu werden? Klick-Zahlen (Likes?) stellen wieder mehr das Interesse der einzelnen Musikhörerinnen und -hörer dar, den individuellen Geschmack, und geben speziellen Musikstilen und Nischen eine Plattform, die es in den Charts nicht gäbe.

 

Luca Bruno, Moderator «Sounds!», SRF 3

 Wie war dein Verhältnis zur Hitparade als 12- und 18-Jähriger – und heute? Interessiert dich die Hitparade überhaupt noch?

Als 12- und 18-Jähriger hat mich die Hitparade überhaupt nicht interessiert. Ich war vorher, so etwa im Alter zwischen 6 und 10 Jahren ein riesiger Fan und habe jeden Sonntagnachmittag vier Stunden lang vor dem Radio geklebt. Sogar einen Walkman mit Radio-Tuner habe ich mir schenken lassen, dass ich auch von unterwegs mithören konnte. Ich habe einige Ausgaben auf Kassette aufgenommen und wieder und wieder gehört. Der Hitparadenmoderator auf DRS 3 war auch etwa der grösste Star, den ich mir vorstellen konnte.

Heute ist mir die Album-Hitparade ziemlich egal, auch weil die physischen Verkäufe ja so weit zurückgegangen sind, dass bereits dreistellige Verkaufszahlen für eine Top-10-Platzierung ausreichen. Die Single-Charts finde ich nach wie vor durchaus interessant, weil sie eigentlich noch immer ein relativ guter Gradmesser dafür sind, was gerade populär ist.

In den gloriosen Sixties bis weit in die Seventies hinein haben wir ja alle die Hitparade verfolgt, auch wenn wir lange Haare hatten und kifften. Wie sieht das Hitparadenpublikum heute aus?

Es schauen wohl nur noch Hip-Hop-Fanatikerinnen und -Fanatiker und Ultra-Fans von Popstars regelmässig auf die Hitparade. Kreise, in denen hohe Chartplatzierungen noch wirklich Eindruck schinden – und sich die verschiedenen Fanbases darum Streaming-Kriege und -Wettrennen liefern. Noch immer «bluffen» Hip-Hop-Acts mit Chartplatzierungen – im alternativen Kreis ist das natürlich komplett egal.

Sind Klick-Zahlen und Likes heute wichtiger als die Hitparade? Falls ja, welche Konsequenzen hat das?

Definitiv. Wobei es ja eigentlich das Ziel der Hitparade sein müsste, deckungsgleich mit den Streamingzahlen zu sein. Trotzdem finde ich die Spotify-Charts, wo man auf dem Stream genau sehen kann, wie oft ein Song gestreamt wurde, um einiges transparenter als die Hitparade, deren Berechnungsschlüssel ja noch immer ziemlich nebulös ist.

 

Michael von der Heide, Musiker

Wie war dein Verhältnis zur Hitparade als 12- und 18-Jähriger – und heute? Interessiert dich die Hitparade überhaupt noch?

Ich habe natürlich als Teenager die Hitparade geliebt. Habe sie jeden Sonntag aufgenommen und mich wie die meisten genervt, wenn dann der Moderator oder die Moderatorin noch dreingeschnorrt hat ins Intro oder Outro. Viele von den Kassettli habe ich noch. War natürlich immer wahnsinnig spannend. Wie beim Eurovision Song Contest, man ärgert sich, wenn der Lieblingssong nicht aufs Eins kommt oder wieder aus den Top 10 hinauskippt und, und, und! Aber die Zeit hat mich total geprägt.

Habe lange als interessierter Musiker die Hitparade noch mitverfolgt, um zu sehen, was da noch geht. Aber ich würde sagen, in den letzten vier, fünf Jahren habe ich aufgegeben. Es hat halt viel Musik gehabt, die mich überhaupt nicht angesprochen hat, und ich habe dann doch gemerkt, dass ich aus dem Rennen hinausgefallen bin, was mich auch entspannt.

Für meine Musik war es eigentlich nie ein grosses Thema. Wie man auf meinem ersten Album hört, bin ich musikalisch nie dem Mainstream hinterhergerannt. Ich habe sicher einmal das eine oder andere Lied gehabt, von dem ich dachte, es könnte radiotauglich sein. Und ich habe mich dann natürlich schon gefreut, als mein Album Tourist im Jahr 2000 auf Platz 5 gekommen ist. Oder dass ich in den letzten Jahren doch immer wieder in die Charts gekommen bin, obwohl ich ganz unabhängig unterwegs bin, was die Plattenfirmen betrifft, denn ich habe meine eigene. Das freut mich, aber es ist eigentlich irrelevant. Das Publikum an den Konzerten interessiert es nicht, ob das Album in den Charts ist oder nicht.

Sind Klick-Zahlen und Likes heute wichtiger als die Hitparade? Falls ja, welche Konsequenzen hat das?

Das mit den Klickzahlen tangiert mich nicht gross. Ich habe gerade jetzt eine Single mit Eve Gallagher, wo wir wunderbare Klickzahlen haben, worüber sich alle freuen, ich mich auch, aber das ist auch wirklich für mein Schaffen, für meine Musik, momentan total unwichtig.

In den gloriosen Sixties bis weit in die Seventies hinein haben wir ja alle die Hitparade verfolgt, auch wenn wir lange Haare hatten und kifften. Wie sieht das Hitparadenpublikum heute aus?

Ich nehme an, vom Aussehen her ähnlich wie in den 80ern, ähnlich gestylt, wie ich in den 80ern gewesen bin. Heute kenne ich ja nicht so viele junge Leute, aber die hören die Hitparade nicht. Ich weiss nicht, wer da wirklich noch dran hängt. Die hören doch Spotify und Playlists.

 

Stefan Künzli, Musikredaktor bei CH-Media

Hatte die Hitparade für dich eine Bedeutung als Knirps?

Unbedingt! Ich bin im Jahr 71 eingestiegen, da war ich 9, blutjung, das hat mich schon geprägt, war fast das einzige, was man damals am Schweizer Radio hat hören können. Da war die Hitparade für mich sehr wichtig und prägend. Heute natürlich nicht mehr.

Wann hat sich das geändert?

Schleichend, in den 70er-Jahren, als ich Richtung Jazz ging. Dann war ich schon nicht mehr so interessiert. Aber nebenher habe ich immer noch mitgenommen, was da lief. Es war ja auch noch relevant zu jener Zeit, insofern als es abgebildet hat, was wirklich die erfolgreichsten Songs waren, was sich wiederum auf den Verkauf der Alben auswirkte. Das kann man heute nicht mehr. Es ist ziemlich schwierig geworden, das alles nachzuvollziehen.

Und man hat sich riesig gefreut, wenn mal eine Schweizer Band in den Charts war.

Davon habe ich wenig mitbekommen. Pepe Lienhard, Sheila Baby, Swiss Lady. Und natürlich Heavenly Club, das war glaub ich im ersten Schweizer Hitparadenjahr.

Hast du Erinnerungen an bestimmte Hitparadenstücke?

Ziemlich genau kann ich mich erinnern. Ich habe es richtig aufgesogen. Suzi Quatro zum Beispiel, grandios, Sweet, Slade, das war damals auf der Linie als Teenie. Und Deep Purple, Black Night, die ersten harten Sachen – finde ich übrigens heute noch gut …

Toni Vescoli, Musiker

Wie war das damals für euch, als «Heavenly Club» auf Platz 1 kam?

Das war natürlich ein verrückter Sommer. Wir waren auf Tournee, als Sauterelles, zusammen mit Arlette Zola, an einem Abend sie zuerst, am anderen wir. Natürlich waren wir gespannt, ob Heavenly Club in die Hitparade käme. Und tatsächlich, es ging nicht lang, da waren wir drin, und die Platte ist gestiegen und gestiegen und auf einmal war es so weit, Platz 1. Da hat Christoph Schwegler gesagt: «well, well, well, und auf Platz 1, Les Sauterelles!» War natürlich gewaltig für uns. Wir haben Christoph persönlich gut gekannt, er kam immer ins Atlantis, wenn wir dort gespielt haben.

Es war eine verrückte Sache, und dass wir dann sechs Wochen auf Platz 1 blieben, war damals eine kleine Sensation. Hat uns sehr gefreut. Auf der anderen Seite hat es mich auch ein bisschen auseinandergerissen, denn meine Tochter Natalie kam zu genau der Zeit auf die Welt, als wir in der Hitparade waren. Ich wusste bald nicht mehr, was ich jetzt lässiger finden sollte, hahaha! Aber lässiger war dann halt schon die Geburt meiner Tochter!

Inwieweit war die Hitparade für euch ein Antrieb, vor und nach dem Hit?

Antrieb – natürlich hatte man als Band das Gefühl, es wäre schon lässig, wenn man in die Hitparade käme. Aber wir wollten ja eigentlich nur Platten machen. Heavenly Club war nicht einmal unser Favorit. Eigentlich hätten wir Montgolfier als Hit gewollt. Aber klar denkt man dran, dass man gern einen Hit hätte.

Gab es nach dem Hit Druck von der Plattenfirma, die Formel zu wiederholen?

Unter Druck von der Plattenfirma sind wir nicht gestanden. Es war aber sowieso leicht tragisch, denn bald nach der Tournee, die wir dann machten, fing die Band an, auseinanderzubröckeln. Düde Dürst, der Drummer, hat mit Hardy Hepp zu jammen angefangen, und irgendwann ist er dann ausgestiegen, 1968. Schade, wir hätten in Deutschland gross einsteigen können nach einer Plattenkonferenz in Hamburg. Ist dann halt nichts draus geworden. Ich habe weitergemacht mit den Sauterelles, dann aber bald einmal allein. Auch finanziell war es nicht mehr interessant. Die ganze Szene hatte sich verändert. Die Klubs. Es gab keine wochenlangen Engagements mehr, man musste Einzelauftritte machen.

Galt es in der progressiven Umgebung nicht als uncool, in den Charts aufzutauchen?

Naja, 1968 waren wir eigentlich nicht in einer progressiven Szene. Ich würde eher sagen, das wäre dann Düde mit Krokodil gewesen. Aber die Sauterelles waren eh eher eine kommerzielle Sache, da war es gar nicht uncool, einen Hit zu haben. Viel schwieriger ist es geworden, als ich Mitte der 70er-Jahre in die Charts kam, zuerst mit dem Pfäffli, dann Scho root. Da hat es dann schon von ein paar Leuten getönt (mimt Berner Akzent): «Aha, du bist ja halt jetzt in der Hitparade, gell?»

Die Berner Troubadours fanden das ziemlich daneben, dass jetzt ein sogenannter Liedermacher in die Hitparade kommt. Das war ja damals sehr ungewöhnlich. Mani Matter und all die anderen kamen nie in die Hitparade. Dann kommt dieser Vescoli mit der Züri-Schnure daher und fegt alles weg, hahaha. Die Hitparade habe ich in den 60er-Jahren verfolgt, in der Zeit von Heavenly Club, später dann nicht mehr so. Als ich meine eigenen Lieder auf Schweizerdeutsch machte, war die Hitparade nicht mehr so wahnsinnig wichtig.

 

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