Florian & Michael Arbenz

Zwillinge, 1975, Schlagzeug, Klavier

Hanspeter Künzler: Wie seid ihr aufgewachsen?
MICHAEL Unsere Eltern waren Musiker, die Mutter Cellistin, sie hatte viel mit musikalischer Früherziehung zu tun, der Vater Pianist, Leiter der Musikschule in Basel. So sind wir mit Musik aufgewachsen, vor allem klassischer.

Eine musikalischere Umgebung kann man gar nicht haben.
FLORIAN Ja, also, wir waren immer um Musik herum, würde ich sagen. Von der Einstellung her war die Mischung für die Generation unserer Eltern typisch. Humanistisch erzogen, im Bildungsbürgertum aufgewachsen und einen Schuss Hippie mitgenommen. Klassisch orientiert, aber immer auch offen.

Hippie – sie haben auch Jimi Hendrix gehört?
FLORIAN Haha, es war nur ein Schuss Hippie – ich würde sagen, beim Köln-Konzert hat’s aufgehört. Nein, sie waren sehr humanistisch gebildet, haben als Kind Kammermusik gespielt, Schumann und so, und haben sich geöffnet bis zum Django Reinhart und Keith Jarrett. Aber uns hat’s nicht gestört. Sie waren sicher ein bisschen offener als die Generation vor ihnen, die die Dinge eher dogmatisch angeschaut hat, glaube ich.

MICHAEL Begeisterung für alles war da – Unterhaltungsmusik von einer Generation früher war auch sehr präsent, die Comedian Harmonists, dazu Begeisterung für Groove und Songs. Die Mutter hat sich sehr mit der Musik fremder Völker auseinandergesetzt. Afrikanische Musik vor allem. Dafür begeisterte sie sich, hatte auch Schallplatten.

Wann habt ihr Musikstunden genommen?
MICHAEL Ganz ursprünglich haben wir beim Vater ab und zu Klavierstunden gehabt. Man ist hineingewachsen irgendwie. Ich kann mich nicht an einen Startschuss erinnern.

FLORIAN Doch doch, ich weiss noch. Im Kindergarten beim Weihnachtsfest, es kam die Frage: Wer kann etwas bieten? Ich dachte: Mein Vater spielt Klavier, dann ist ja klar, dass ich das auch kann. Ich kam heim, sagte, ich spiele etwas vor – und irgendwie war klar, dass, wenn schon, wir zusammen etwas spielen. Den Eltern ist die Kinnlade heruntergekippt, das hätten sie nun wirklich nicht gebraucht, aber sie haben sich dem dann demütig angenommen. Das war vielleicht der Startschuss. Ich würde schon sagen, dass viel auf dem eigenen Mist gewachsen ist. Die Eltern waren eher defensiv, nicht was Qualität anbelangt, sondern was das allenfalls Hineinschupfen anbetraf. Oft haben wir gesagt: Wir wollen, und sie haben uns grosszügig unterstützt.

Was halten sie von der Musik, die ihr jetzt macht?
MICHAEL Will ihnen nichts unterstellen, aber ich glaube schon, dass unsere Musik heute Parameter hat, die auch Leute mit klassischem Background ansprechen können, ein gewisser Anspruch, einigermassen anständig konstruiert zu sein, einigermassen virtuos, gewisse Skills, eine gewisse Musikalität. Ich glaube, mit dem können sie sehr viel anfangen. Wenn wir seichten Pop machen würden, könnten sie wohl weniger damit anfangen. Unsere Musik, auch wenn sie anders klingt, hat doch einen nahen Bezug zur Ästhetik der klassischen Musik. Sie kommen auch immer und finden es immer toll.

FLORIAN Seit ich mich erinnere, haben wir zusammen ein Zimmer gehabt als Zwillinge, zusammen Musik gemacht, sie war immer Teil vom Leben und von der Kommunikation zwischen uns. Es sind auch immer viele Instrumente da gewesen. Wir haben die auch immer gebraucht, wie Spielzeug.

Auch ein Schlagzeug?
FLORIAN Haha, dem sind sie am Anfang eher skeptisch gegenübergestanden. Aber es lagen ja auch immer so Trümmeli herum. Alles Mögliche war da, Akkordeon, Balalaikas, Banjos, wir haben das halt in die Hand genommen und probiert. Schlagzeug kann man ja auch aus anderen Sachen zusammenstellen. Nein, man kann nicht sagen, dass ich aus Rebellion Schlagzeug gespielt habe.

Was habt ihr zusammengespielt als 10-Jährige?
FLORIAN Wir waren immer Jazz-Freaks. Die Eltern hatten eine kleine Sammlung, die sich zwischen Louis Armstrong, Ella Fitzgerald und Django Reinhart bewegte, das modernste war wohl Bill Evans. Wir haben das immer gefressen, seit wir kleine Kinder waren. Hat uns extrem angesprochen. Wohl in dem Stil haben wir dann auch Musik gemacht, wenn auch ohne jede Grundkenntnis.

MICHAEL Das andere, an das ich mich erinnern kann: Wir sind in der Musikschule in den Unterricht gegangen. Ich habe damals auch noch Schlagzeug gespielt. Es gab dort verschiedene Gefässe, etwas zu lernen, nebst dem Zu-Hause-Dinge-Ausprobieren. Im Jazz ist das immer noch meine Basis, Sachen über das Gehör und das Gefühl aufzunehmen. Wenn ich zurückdenke, habe ich Dinge emotional verstanden, lang bevor ich erfasste, was da passierte. Learning by Doing, bevor ich intellektuell verstand. Beide haben wir Klavier und Schlagzeug gespielt, hat dem Ganzen auch einen leicht offiziellen Boden gegeben.

Also habt ihr schon damals improvisiert?
FLORIAN Es war wie spielen für mich, statt mit Bauklötzen halt mit Instrumenten.

MICHAEL Wir haben von uns aus so die Jazz-Geschichte wie nachgespielt. Das Erste, wofür wir uns begeisterten, waren Louis Armstrong und die 20er-Jahre. New-Orleans-Sachen, Benny Goodman, Fats Waller. Dann hat das wie von selber weitergearbeitet. Die Eltern waren in einem Schallplattenklub. Jeden Monat kam eine neue Platte mit der Post. Bill Evans hat mich weggetätscht. Das war so anders! Es war eine natürliche Entwicklung, die wir nachmachten, der Geschichte entlang.

FLORIAN Wir haben immer klassischen Unterricht gehabt, nie Jazz-Unterricht. Das gab es damals auch noch gar nicht wirklich. Unsere Klavierlehrerin war sehr offen, ihr Mann Gerald Bennett hat Neue Musik geschrieben, war Komponist. Sie war extrem offen, aber mit Jazz hatte sie nichts am Hut. Unser Schlagzeuglehrer war zwar Jazzfreak und hat uns mit Kassettli beliefert bis Threadgill, Elvin, Miles, war aber selber nicht wirklich ein Set-Spieler, wir haben klassisch geübt

Wurdet ihr in der Schule nicht als Freaks angesehen mit eurem Jazz, wo doch in der Zeit für viele Pop und Rock so spannend waren?
MICHAEL Nena war gross angesagt, Erste Allgemeine Verunsicherung – alles andere fand ich relativ langweilig. Michael Jackson hatte wieder eher etwas mit Jazz zu tun. Was wir nicht mitgekriegt haben als Kind, relativ lang, waren Jimi Hendrix, James Brown. Die R&B-Schiene war überhaupt nicht präsent. Weil wir ja die Jazzgeschichte nachgespielt haben, kam das bei uns relativ spät aufs Radar … Für die 60er-Jahre konnten wir uns noch relativ schnell begeistern. Ich kann mich erinnern, als du, Florian, mit Agharta von Miles Davis heimkamst, hat sich nochmal eine völlig andere Welt aufgetan mit dem Groove. Da waren wir schon 15 oder so. Wir haben das alles selber entdeckt, nichts wurde von aussen herangetragen.

Das intuitive Verstehen hilft mir noch heute zehn Mal mehr, als wenn ich mir das alles theoretisch erkläre. Auch für das Auswendigspielen, das Transponieren ist das ein extrem guter Approach, finde ich. Ich versuche das auch den Schülern beizubringen.

Wie alt wart ihr, als ihr angefangen habt, organisiert zusammenzuspielen?
MICHAEL Mit 16 oder so. Wir hatten mal eine Schülerband, es hat sich daraus entwickelt. Wir haben lang immer einen Bass gesucht, den brauchte es ja immer, aber das war ein Problem. Wir hatten einen sehr intuitiven unschulischen Approach, vielleicht deswegen auch keine Scheuklappen, dazu gab es wohl gewisse Sachen, die wir noch nicht wussten oder konnten. Zu der Zeit, wir waren nun 17 oder 18, kam in Basel die erste institutionalisierte Jazz-Schul-Generation. Die hat uns fast schon zu abgefahren gefunden, weil sie in dem Schulding drin war. Wir haben die Musikwerkstatt bei Tibor Elekes besucht, er hatte so einen Workshop, das war ein Ort, wo Inputs gekommen sind. Schlussendlich gründeten wir das erste Trio mit einem klassischen Bassisten, der Jazz spielte, der freakig genug drauf war, mit uns zu spielen. Daraus wurde das New-Jazz-Trio.

Wie lange hat New-Jazz-Trio gedauert?
FLORIAN Unsere erste Tournee mit Greg Osby war 1998 oder so. Ab 2000 ist Thomas dann dazugestossen.

MICHAEL Das New-Jazz-Trio NJT war das Trio, mit dem wir die erste CD machten, die ich heute auch nicht mehr hören will, aber es war ein Meilenstein. Es war auch das Trio, mit dem wir die erste längere Tour machten, eben mit Greg Osby, das Trio, mit dem wir zu reisen angefangen haben, das ist irgendwie schon der Startpunkt gewesen. Wenn ich das heute höre, sehe ich noch viel extrem Freies. Weil die Ideen von uns kamen und uns niemand sagte: Das kann man nicht machen. Das finde ich heute faszinierend. Andererseits gibt es Sachen, die fehlen, die uns einfach niemand beigebracht hat.

Wenn ich darüber nachdenke, in den 90er-Jahren dominierte diese ganz starke Bewegung, Marsalis, und Pianisten, Marcus Roberts, die waren sehr traditionalistisch eingestellt. Ich habe mich davon immer explizit distanziert. Für mich steht der individuelle Ausdruck immer zuoberst. Das ist mir damals viel wichtiger gewesen, als Zeugs nachzuspielen. Vielleicht habe ich mich dem zu stark verwehrt damals. Aber das könnte man vielleicht als eine Art rebellische Haltung anschauen.

Gibt es Unterschiede in der musikalischen Haltung zwischen euch beiden?
FLORIAN Vielleicht je länger je mehr! Ist auch logisch. Wenn man gemeinsam aufwächst, immer im gleichen Stadium steckt, entsteht eine gewisse Synchronisierung. Wir sind dann früh ausgezogen, was schon zu anderen Erfahrungen und Eindrücken führte.

MICHAEL Es hat wohl auch mit dem Instrument zu tun. Für mich, wenn ich etwas wirklich gut kann, gibt mir das Freiheit. Ich verbringe gern längere Zeit mit etwas, ehe ich mich dann frei ausdrücken kann. Was mir heute vielleicht ein bisschen fehlt, ist eine gewisse Basis in der Geschichte, auf die ich nicht zurückgreifen kann, sondern mir immer neu erarbeiten muss. Das kann man auch positiv sehen, dass man zu jedem Stück einen neuen Zugang erarbeitet und nicht immer wieder das Gleiche abspult. Ich habe mit der Band Vein in den letzten Jahren auch immer viel arrangiert, was wohl auch mit dem Instrument zu tun hat, das Klavier mit dem orchestralen Ansatz.

Der Wunsch, immer wieder neue Konstellationen zu suchen, nicht nochmal das Gleiche abzuspulen, zeigt sich doch auch bei dir, Florian, bei deiner Serie «Conversations», wo du jedes Mal mit neuen Besetzungen arbeitest.
FLORIAN Genau. Ja.

Gibt es dann mal wieder ein Vein-Album?
FLORIAN Im Moment herrscht gerade ein bisschen Stillstand. Eine Pausenphase.

Im Rahmen von Vein seid ihr euch immer einig gewesen? Gibt es jemals Streit über musikalische Fragen?
MICHAEL Eigentlich andauernd. Von Anfang an sind wir uns eigentlich nie einig. Es ist immer ein sehr anstrengender Prozess. Aber auch ein Schleifstein. Ganz selten war es so, dass einer sagte, machen wir so, und der andere sagte: super. Es ist ein langer Prozess. Über die Zeit hinweg ist er aber sehr fruchtbar, vieles schält sich heraus. Und am Schluss konnten wir uns noch immer einigen. Eine basisdemokratische Schweizerband, wenn man so will.

Kennt ihr den Roman von Michel Touriner, «Zwillingssterne»? Darin geht es um einen Zwillingsteil, der sich nichts inniger wünscht, als nahe beim Bruder zu sein. Dieser wiederum will möglichst weit weg sein vom Bruder. Bei euch scheint die Situation aber nicht so drastisch zu sein?
FLORIAN Nein, den Roman kenne ich nicht. Es ist bei uns tatsächlich nicht so drastisch. Vein war immer eine Band, die auf Konsens beruhte. Es hat immer viel gebraucht, den Konsens zu erreichen. Das ist auch der Grund, dass wir das Gefühl haben, wir müssen mal eine Pause einschalten. Darum ist sowas wie «Conversations» eine gute Sache, es bringt frischen Wind …

Wie sehen eure Pläne und Projekte aus?
MICHAEL Im März erscheint eine weitere Solo-Scheibe. Danach folgt eine Tournee zum Teil auch im Duo mit Andy Sheppard. Im Mai folgt ein Projekt mit einem Symphonieorchester, mal schauen, was sich dort ergibt. Es stehen verschiedene Sachen in den Startlöchern

FLORIAN Das «Conversations»-Projekt steht vor dem Abschluss. Nun bieten sich gewisse Formationen zum Spielen an. Was uns anbetrifft, wir hatten immer wieder Zwischenphasen, die es brauchte, um den Kopf durchzulüften. Dann kommt man wieder mit frischen Ideen, und es ist lustig, und man hat andere Inputs, die man in die Zusammenarbeit hineinbringen kann. Es war bei uns immer so, dass man intensiv arbeitet und dann das Gefühl hat, so jetzt braucht es Luft. Auf eine Art kennt man sich so gut, dass es dann auch wieder wohltuend ist, wenn man Inspiration von aussen in ein Projekt bringen kann. Ich finde das wichtig.

Als ihr mit Greg Osby gespielt habt, wart ihr ja noch blutjung. Wie kam das zustande?
MICHAEL Wir hörten ihn in New York und haben ihm dann ganz altmodisch einen Brief geschrieben und eine CD beigelegt. Das war damals noch per Fax. Jeweils um 4 Uhr früh hat dann wieder das Fax gerattert. Ich glaube, ihn hat unsere Andersheit und das Unverkrampfte angesprochen. Heute rechne ich ihm das immer noch sehr hoch an, er war damals ein sehr arrivierter Spieler. Er hat wahrscheinlich gar nicht gecheckt, dass wir noch so am Anfang stehen.

Und Andy Sheppard? Mit ihm habt ihr auch schon früher gespielt. Eure Verbindung mit England ist recht eng. Was interessiert euch daran besonders?
FLORIAN Ich finde nach wie vor, dass man in England einen speziellen Approach hat, der mir extrem zusagt. Unverkrampft. Kenny Wheeler, John Taylor, all die Musiker in London, die die Szene geprägt haben, es ist ein anderer Bezug als nur zu Miles hochschauen, ein anderer Approach.

MICHAEL Andy Sheppard ist old-school unterwegs. Wenn es ihm gefällt, macht er es. Für mich ist er auch einer, der anders tönt als alle anderen aus seiner Generation, auch sehr unamerikanisch. Es leuchtet mir ein, warum Carla Bley ihn gefragt hat für ihr Quartett.

Wie habt ihr es mit der derzeitigen englischen Jazz-Generation, Comet is Coming und so?
FLORIAN Für mich trennt es sich ein bisschen von der Attitude her. Es gibt Leute wie etwa Amy Churchill. Als ich gefragt habe, war sie sofort mega happy dabei zu sein, auch wenn nicht klar ist, was draus wird. Auf der anderen Seite Theon Cross, den ich angefragt habe für «Conversations», ich hatte seine private Mail, aber er macht mein Mail gar nicht erst auf.

In der Szene, da schauen sie wahnsinnig darauf: Ist es in unserem Vibe oder nicht, und wenn nicht, dann sind sie nicht interessiert. Es gibt die, denen es wichtig ist, in ihrer Community Ansehen zu geniessen, und die anderen, denen es mehr ums Künstlerische geht. Ich fragte auch Oren Marshall an, und der sagte innerhalb von zwei Minuten zu. Es ist lustig zu sehen, wie unterschiedlich das ist, von der Mentalität her. Manchmal ist es gar nicht so einfach, mit Musikern aus jüngeren Generationen in Kontakt zu treten.

Gibt es noch etwas zu sagen über Geschwister?
MICHAEL Ich habe schon das Gefühl, dass man in der Zeit, wo man anfängt, Zeug aufzubauen und mit sehr viel Widerstand konfrontiert wird, zu zweit mehr Schub hat. Man kann sich die Dinge aufteilen, das ist sicher kein Nachteil.

Was hört ihr gerade an? Heisse Tipps?
FLORIAN Ich checke sehr viel Zeugs aus, querbeet, alles, was mich anspringt.

MICHAEL Von der Hochschule kommen immer wieder Sachen von den Studenten, da kriege ich super Input von der jungen Generation, Sachen, die ich sonst nicht kenne. Das andere: Wir haben eine Geschichte mit klassischer zeitgenössischer Musik, mit komplexen Sachen, und ich merke immer mehr: Der emotionelle Wert, wenn man sowas zum «Spass» hört, die emotionale Komponente, rückt immer mehr in den Vordergrund. Ich merke, in meiner Entwicklung verabschiede ich mich eher von verkopftem Zeug.

 

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