Improvisieren mit Walter Fähndrich
In einem schmalen Büchlein legt der ehemalige Dozent für Kammermusik-Improvisation einen musiktheoretischen Unterbau für sein Spezialgebiet.

Walter Fähndrich lernte ich ganz zufällig im Sommer 1984 im damaligen Studentenhotel Quellenhof in Schuls kennen. Schon damals – bevor ich überhaupt wusste, dass er Musiker ist – fiel er mir auf durch seine Kompromisslosigkeit und seinen Ehrgeiz. Erst später kamen mir seine Publikationen zum Thema Musik und Räume in die Hände, und ich hörte von seiner unglaublichen elektroakustischen Klanginstallation am Lago del Sambuco im obersten Maggiatal.
Fähndrich, geboren 1944 in Zug, ist ausgebildeter Bratschist, Komponist, Theorielehrer und Improvisator. 25 Jahre lang war er in Basel Dozent für Improvisation/Life-Komposition und baute einen Masterstudiengang für improvisierte Kammermusik auf. Bis 2002 entstanden seine acht Kompositionen für Solobratsche Viola I bis Viola VIII.
Im Büchlein Warum improvisieren wir? legt Fähndrich einen musiktheoretischen Unterbau für sein Spezialgebiet, die Kammermusik-Improvisation, vor. So gesehen sind die Schlagworte auf dem Klappentext provokativ: «Die totale Freiheit – Alles ist möglich und richtig!!!», «Man kann spielen, was man will!!!» und «Fehler machen kann man dabei nicht!!!». Das Gegenteil ist wahr: Folgt man Fähndrichs Überlegungen, ist man da sehr wohl eingeschränkt.
Seine Reflexionen beginnen mit «Zehn Aspekte der Improvisation». Da werden etwa «Kommunikation», «Risikobereitschaft» oder «Energieverwaltung» bis hin zu «Produkt, Zweck» beleuchtet. Fähndrich versteht Improvisation als «kompositorischen Prozess gleichberechtigter, die ganze Verantwortung tragender Spieler, in dessen Zentrum ein mit grosser Spiellust realisiertes, unvorhersehbares und doch möglichst überzeugendes Resultat steht». Er unterscheidet auch streng zwischen dem positiven Sichausleben, das er vom negativ konnotierten Sichgehenlassen abhebt.
Naturgemäss bleibt in dem Band vieles sehr wortreich-theoretisch. Notierte Beispiele gibt es keine, denn die improvisierte Musik wird ja gerade nicht aufgeschrieben. Wer sich ernsthaft und reflektiert mit Improvisation beschäftigt, für den ist Fähndrichs Buch Pflichtlektüre.
Walter Fähndrich: Warum improvisieren wir?, 80 S., € 18.00, Wolke-Verlag, Hofheim 2024, ISBN 978-3-95593-270-1