Den Orchesterfarben auf der Spur

Gelungene Übertragung des Orchesterwerks «Tapiola» von Jean Sibelius für Klavier zu vier Händen.

Jean Sibelius‘ Wohnhaus Ainola mit dem Komponisten, seiner Frau und drei ihrer Töchter, 1915. Foto: Wikimedia commons

Die symphonische Dichtung Tapiola op. 112 ist das letzte grosse Werk, das Sibelius vollenden und veröffentlichen konnte. Es entstand als Auftragskomposition für die New York Symphony Society und wurde 1926 dort uraufgeführt. Nach der finnischen Mythologie ist der nordische Wald von Göttern und Göttinnen bewohnt, über die Tapio als König des Waldes herrscht. Sein tief im Wald verstecktes Heim wird «Tapiola» genannt.

In seinem Werk entfaltet Sibelius seine Vision des Waldes in unglaublich suggestiven Ostinati und delikaten Klangzaubereien. Wer diese Orchesterfarben etwas im Ohr hat, kann sich wohl kaum vorstellen, dass eine Wiedergabe auf dem Klavier da irgendwie mithalten kann. All diese langen Orgelpunkte, die vielen Streichertremoli und satten Klänge der Bläser … Wie soll das auf ein Tasteninstrument übertragen werden? Peter Lönnqvist hat sich dieser mutigen Aufgabe gestellt und Tapiola für Klavier zu vier Händen (bzw. für zwei Klaviere) bearbeitet. Diese Version, die 2021 bei Breitkopf und Härtel erschienen ist, basiert laut dem Herausgeber auf einer früheren Partiturabschrift von Einar Englund (1916–1999), der selber ein produktiver Komponist war und unter anderem sieben Sinfonien schrieb – genau wie Sibelius.

Das Resultat ist erstaunlich: Die Übertragung auf das Klavier funktioniert viel besser als gedacht. Dabei bleibt natürlich einiges dem Spieler und seiner Imagination überlassen, wie denn Lönnqvist im Vorwort auch schreibt: «Die Interpreten sollten die Balance zwischen Klaviernotation und Orchesterklang finden, indem sie die Orchesterpartitur studieren und das Werk in seiner ursprünglichen Form hören.» Das gilt es vor allem am Schluss zu bedenken, wo Sibelius seine Tapiola in zartestem H-Dur des mehrfach unterteilten Streicherkörpers ausklingen lässt. Die hier im Klavier vorgeschlagenen Tremoli werden diesen Klang wohl kaum suggerieren können. Vielleicht wären da durchgehende ruhige Arpeggien passender, wie sie etwa Liszt am Schluss seiner Bearbeitung von «Isoldes Liebestod» vorschlägt.

Abgesehen davon aber stellt Lönnqvists Transkription eine gelungene Version dar und ist sicherlich eine Bereicherung für all jene, die dieses faszinierende Orchesterwerk am Klavier noch besser kennenlernen oder es im Rahmen eines Kammermusikkonzertes aufführen möchten. Und sie wäre nicht zuletzt auch eine dankbare Aufgabe für Dirigierklassen …

Jean Sibelius: Tapiola für Orchester, transkribiert von Einar Englund, bearb. für Klavier zu vier Händen von Peter Lönnqvist, EB 9390, € 32.90, Breitkopf & Härtel, Wiesbaden

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