«Missklänge» für die Zeitgenossen

Früher begegnete man Liszts späten Klavierstücken mit Unverständnis. Das ändert sich nun langsam.

Franz Liszt im März 1886, fotografiert von Nadar. Quelle: Sotheby’s/wikimedia commons

«Wie Sie wissen, trage ich eine tiefe Trauer in meinem Herzen; sie muss hie und da in Noten ertönend ausbrechen.» Mit diesen Worten lieferte Franz Liszt in einem Brief 1883 selber den Schlüssel zum Verständnis seiner späten Klavierwerke, die auf jeden virtuosen Flitter verzichten und dafür die Grenzen der Tonalität ausloten. Bei seinen Zeitgenossen erntete er dafür nur Kopfschütteln und Ablehnung. Selbst Richard Wagner sprach von «keimendem Wahnsinn» und «Missklängen», denen er nichts abgewinnen könne. Und noch 1976 hielt Klaus Wolters in seinem umfassenden Handbuch der Klavierliteratur fest, dass diese Musik weder für den Unterricht noch fürs Konzert geeignet sei: «Nichts mehr vom genialen Feuerkopf, nur noch trübe, freudlose, schemenhafte Gebilde …» Diese Bewertung hat sich in den vergangenen Jahrzehnten deutlich gewandelt. Heutzutage werden diese Werke für ihre radikale Einfachheit und kühne Harmonik durchaus bewundert und finden auch immer häufiger den Weg aufs Podium.

Der Bärenreiter-Verlag hat nun einige dieser Klavierstücke aus den Jahren 1880 bis 1885 in einem Sammelheft herausgegeben. Darunter das unglaublich düstere Unstern!, die rätselhaften Nuages gris sowie Am Grabe Richard Wagners, ein Werk, das auch in einer kammermusikalischen Bearbeitung existiert. Weiter enthalten sind die beiden Fassungen der selten gespielten Romance oubliée und – last but not least – Die Trauer-Gondel, ebenfalls in beiden Versionen. Die zweite Fassung des letzteren gehört mit zu den wenigen umfangreicheren Werken und besticht durch einen subtilen Aufbau, der in einem dramatischen Ausbruch kulminiert. Gerade dieses Stück lässt sich in einem Rezital wunderbar mit früheren Werken Liszts, etwa der Sonate in h-Moll, kombinieren.

Im Vorwort zu dieser Neuausgabe erfährt man von Herausgeber Michael Kube viel Wissenswertes über die Entstehung der einzelnen Stücke. Und in den ausführlichen Hinweisen zur Interpretation äussert sich mit Steffen Schleiermacher ein Pianist, dem diese Musik offensichtlich ans Herz gewachsen ist. Seine Anweisungen mögen manchmal etwas stark persönlich gefärbt sein. Als Anregungen sind sie aber sicher willkommen.

Einer der ersten, der Liszts späte Werke wirklich ernst nahm und schätzte, war übrigens Béla Bartók. Überhaupt war er der Überzeugung, «dass die Bedeutung Liszts für die Weiterentwicklung der Musik grösser ist als die Wagners».

Franz Liszt: Klavierstücke aus den Jahren 1880–1885, hg. von Michael Kube, BA 10871, € 20.95, Bärenreiter, Kassel  

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