Komposition des Tastenmagiers

Die lange hinter dem Eisernen Vorhang verschollenen Kompositionen des jungen Vladimir Horowitz erscheinen in einer eigenen Reihe.

Vladimir Horowitz, vermutlich in den 1930er-Jahren. Unbekannter Fotograf, Quelle: Bain Collection/Library of Congress.

Es ist allgemein bekannt, dass Vladimir Horowitz, der legendäre Pianist, den Notentext oft auf ganz persönliche Weise interpretierte und dabei auch vor Eingriffen nicht zurückschreckte. So veränderte er in Mussorgskis Bilder einer Ausstellung den Klaviersatz in einer Art, die seiner eher orchestralen Klangvorstellung entsprach. Auch Rachmaninows zweite Klaviersonate oder etwa Liszts Mephisto-Walzer spielte er in seinen Privatversionen. Ganz zu schweigen von den zahlreichen Klaviertranskriptionen, die ebenfalls sein kreatives Temperament bezeugen und einen Teil seines Ruhms begründeten.

Selbst eingefleischte Fans dürfte es aber überraschen zu erfahren, dass Horowitz als Teenager offenbar auch ein ambitionierter Komponist war und eine ganze Reihe originaler Klavierwerke schrieb. Als die Russische Revolution dann aber Kiew erreichte und seine Familie schwer darunter zu leiden hatte, musste er diesen Traum aufgeben. Er versuchte nun, eine Karriere als Pianist zu beginnen, um seine Angehörigen wenigstens finanziell unterstützen zu können. «Hätte die Revolution seiner Familie nicht so hart mitgespielt und ihn zum Konzertieren gezwungen, so hätte die Welt später wohl einen anderen Horowitz kennengelernt», meinte seine ehemalige Mitschülerin Vera Resnikow.

Als Horowitz später im Westen nach seinen Kompositionen gefragt wurde, antwortete er stets, dass die Manuskripte in Russland an einem geheimen Ort verblieben seien. Erst 1986, als er endlich wieder seine Heimat besuchen konnte, erhielt er die Noten zurück. Schott Music hat es sich nun zur Aufgabe gemacht, im Rahmen der Horowitz-Edition diese bisher unbekannten Werke zu veröffentlichen.

Darunter ist Fragment douloureux op. 14, wohl die letzte Komposition, die noch in Kiew entstanden ist. Das Stück umfasst gerade mal 73 Takte und beginnt «lento, lugubre, misterioso» als eine Art Trauermarsch im 3/4-Takt. Die folgenden Seufzermotive und ausladenden Arpeggien erinnern stark an Rachmaninow, während die zahlreichen Triller ab Takt 27 doch eher auf Skrjabins Handschrift weisen. In stetiger Steigerung von Tempo und Dynamik erreicht das Stück bei Takt 47/48 seinen Kulminationspunkt und kehrt von da an allmählich wieder in die Atmosphäre des Anfangs zurück «poco a poco a tempo lento». (Vermutlich ist hier auch ein Diminuendo zu ergänzen.)

In seiner Kürze ist dieses Fragment douloureux also eine Art Drama im Miniformat. Der Klaviersatz ist pianistisch ziemlich anspruchsvoll und nur von grossen Händen zu bewältigen. Mit viel Gespür werden die Möglichkeiten des Instruments ausgereizt. Man ahnt schon den kommenden Tastenmagier … Gewidmet hat Horowitz das Werk seinem Klavierlehrer Felix Blumenfeld, der ja selber ein grossartiger Pianist und Komponist war.

Vladimir Horowitz: Fragment douloureux pour piano, The Horowitz Edition, ED 23085, € 12.00, Schott, Mainz

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