Entwicklung am Widerpart

Zu seinem 75. Geburtstag hat sich (und uns) der Winterthurer Komponist und Pianist Max E. Keller eine CD mit jüngeren Aufnahmen eigener Musik geschenkt.

Max E. Keller. Foto: Stefan Kubli

Das Album trägt den charakteristischen Titel weitergehen, meint also das Gegenteil von Stehenbleiben, und das ist gut so. Kontinuierlich hat sich Kellers Musik über die Jahre entfaltet. Die acht Stücke zeigen unterschiedliche Facetten. In hasten und warten etwa gerät der virtuose Geiger (Egidius Streiff), unterstützt von der Live-Elektronik des Komponisten, in einen Stop-and-go-Prozess. Energien ziehen vorwärts und werden wieder angehalten. Vielleicht ist das ein adäquates (klanglich übrigens sehr apartes) Bild für unsere Epoche. Ähnliches spricht ein anderes zentrales Werk, ein Höhepunkt dieser CD an: das Sextett stillstehen, aufsteigen, improvisieren, das sich ebenso überraschend wie folgerichtig entwickelt und improvisatorische Formen enthält. So begegnet man hier einigen wesentlichen Aspekten von Kellers Musik wieder – eben auch der freien Improvisation, die mit einem kurzen Ausschnitt aus einem WiM-Konzert mit dem Posaunisten Günter Heinz vertreten ist. Max E. Keller war in den Sechzigerjahren einer der ersten Schweizer Freejazzer und 1968 zum Beispiel beim Zürcher Jazzfestival zu hören.

Die CD enthält Kammermusik vom Flötensolo bis zum Septett. Ergänzt wird die Kompilation durch «autobiografische Skizzen», in denen Keller von Stationen seines Lebens berichtet. Erkennbar wird dabei auch jener Keller, den man auf der neuen CD vermisst: den offensiv politischen Komponisten. Mit seinen Werken hat er sich ja immer wieder mal zu gesellschaftlichen Fragen exponiert. Hat er sich inzwischen davon zurückgezogen? Oder ist in der Sperrigkeit gewisser Momente nicht doch etwas von einer kritischen, sich dem Schönklang versagenden Haltung zu spüren? Exemplarisch dafür ist etwa das Duo Dialog – Einheit – Kontrast für Flöte und Gitarre, das aus Versatzstücken ein fast musikantisches Spiel zu bilden versucht, daraus aber immer wieder ausbricht. Aus solchen Gegensätzen entsteht Kellers Musik häufig. Er braucht den Widerpart.

Max E. Keller: weitergehen. Egidius Streiff, Violine; Evgeniya Spalinger, Flöte; Marisa Minder, Gitarre, Ensemble via nova; Ensemble Horizonte, Ensemble Aventure u.a. Streiffzug SC2101

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