Liedentdeckungen aus bewegter Zeit

Bass-Bariton Christian Immler und Klavierbegleiter Helmut Deutsch lassen mit Robert Grund und Wilhelm Grosz zwei bedeutende, kaum aufgeführte Liedkomponisten aufleben.

Helmut Deutsch (li), Foto: Shirley Suarez; Christian Immler, Foto: Marco Borggreve

Wien, um 1910: Es herrscht eine faszinierende Atmosphäre geprägt von Vielfalt, von Spannungen, auch von einer ästhetischen «Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen». Den 1865 im Schweizer Neuhausen geborenen Robert Gund zog es schon als jungen Mann in die grosse österreichische Musikmetropole. Er wurde dort bekannt vor allem als Komponist von Liedern – von Liedern, die der Bass-Bariton Christian Immler und der Klavierbegleiter Helmut Deutsch nun vorstellen.

Gund schloss sich dem «neuen Ton» in Wien nicht an. Lieder wie Drei Zigeuner, Tanderadei oder Ein Traum sind stilistisch wie inhaltlich der Postromantik zuzuordnen; es gibt Anklänge an Franz Schuberts Liedschaffen, dem die Lieder Gunds qualitativ durchaus gewachsen sind. Keinerlei Effekthascherei ist zu hören. Alles ist sorgfältig ausgearbeitet an seinem Platze. Gund schafft enorm dichte Miniaturen von manchmal ein-, manchmal vierminütiger Länge. Und ihm gelingt, mithilfe der beiden Interpreten, vor allem eines: Er lässt schöne, manchmal aber auch traurige und melancholische Atmosphären entstehen.

Immler und Deutsch kombinieren Gund mit dem nicht bekannteren, etwa 30 Jahre jüngeren Komponisten Wilhelm Grosz. Grosz ist eine schillernde Figur. Er spielte eine unrühmliche Rolle als Störer im Rahmen einer Aufführung von Anton Weberns Streichquartetten. Später widmet sich das – im Booklet so bezeichnete – «stilistische Chamäleon» ausgiebig dem Jazz. Seine Lieder changieren zwischen impressionistischen Stimmungsbildern und bewusst Unterhaltendem. Dass Frank Sinatra, Nat King Cole und sogar die Beatles manche Melodien von Grosz adaptierten ist schon vorstellbar, wenn man sich das englischsprachige Stück Candles in the Sky anhört.

Immler hätte in den Stücken von Grosz an der ein oder anderen Stelle seinen akademisch «sauberen» Ton etwas lebhafter und jazzmässiger anreichern können. Insgesamt ist diese Produktion jedoch weit mehr als nur eine neuerliche Ausgrabung so genannter «Kleinmeister». Es ist hohe Kunst kombiniert mit besonderen Einblicken in ein sehr vitales Zeitgeschehen.

Be Still My Heart – Lieder von Robert Gund und Wilhelm Grosz. Christian Immler, Bass-Bariton; Helmut Deutsch, Klavier. Alpha Classics ALPHA1117

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