Delegiertenversammlung mit Zukunftsvision
Die diesjährige Delegiertenversammlung des Schweizerischen Musikerver-bands fand im prächtig renovierten Foyer des Stadttheaters Bern statt. Der Kulturmanager Beat Fehlmann war Gastreferent.
Am 30. Mai fand in Bern die jährliche Delegiertenversammlung des SMV statt. Der Lunch vor der Versammlung bot wie üblich Gelegenheit, sich mit Vertreter*innen anderer Sektionen angeregt zu unterhalten, eventuell auch, um Probleme zu diskutieren oder die Atmosphäre in anderen Orchestern kennenzulernen.
Die Co-Zentralpräsidentin Muriel Noble aus Genf wies in ihrer Begrüssung darauf hin, dass es ein Tabu sei, über die Gesundheit der Musiker*innen zu sprechen, obwohl sie unter anderem durch Lärm, Stress oder auch das Älterwerden akut bedroht ist. Da das Obligationenrecht den Schutz der Arbeitnehmer*innen zwingend vorschreibt, rief sie dazu auf, von Rechten, wie zum Beispiel der Konsultation eines Arbeitsmediziners Gebrauch zu machen. Mental und physisch gesunde Musiker*innen würden nämlich auch Geld sparen.
Für Davide Jäger, den Co-Zentralpräsidenten aus St. Gallen, war wiederum der Gedanke der Solidarität zentral, er sei ein Grundwert der Gewerkschaft. Festangestellte sollten Freischaffende unterstützen, indem sie nicht zu Dumpingpreisen auftreten.
Nach einem kurzen Grusswort von Sebastian Schindler, dem Berner SMV-Präsidenten, ergriff Beat Fehlmann, der scheidende Intendant der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz in Ludwigshafen und zukünftiger künstlerischer Leiter und Geschäftsführer der Musikakademie in Liechtenstein, als Gastredner das Wort.
Wertewandel mit Auswirkungen
Sein Vortrag handelte von verschiedenen Aspekten der Zukunft. Fähigkeiten, die den Musiker*innenberuf auszeichnen, wie etwa manuelle Geschicklichkeit, Ausdauer und Präzision aber auch kreatives Denken, seien in einer Zeit, in der schnelle Erfolge und leichter Zugang gefordert würden, nicht selbstverständlich. Generell fände ein Wertewandel statt, ethische und ökonomische Werte würden sich ändern. So sei es zum Beispiel ein Gebot der Stunde, mit Ressourcen sorgsam umzugehen, sich zu überlegen, welche ökologischen Folgen ein Konzert- oder Theaterbesuch hat. Den Kulturnutzen müsste man hinterfragen, indem man sich überlegt, wem Kultur nützt und wer sie nutzt.
Die von Forsa – einem der führenden Markt- und Meinungsforschungsinstitute Deutschlands – durchgeführte bundesweite, repräsentative Bevölkerungsumfrage «Relevanzmonitor Kultur 2025» der Liz Mohn Stiftung stellt fest, dass 91% das kulturelle Angebot wichtig finden, und 76% sind der Meinung, dass es öffentlich gefördert werden soll. Eine Diskrepanz gibt es insofern, als 2/3 der Menschen das Angebot nicht nutzen und dass 43% der Jugendlichen denken, dass es sich nicht an sie richte oder dass sie fehl am Platz seien. Man kann dennoch davon sprechen, dass Kunst und Kultur der Kitt der Gesellschaft sind. In Gegenden mit einem reicheren kulturellen Angebot ist auch die Beteiligung an demokratischen Prozessen höher. Wichtig sind allerdings die Zugänglichkeit und der lokale Bezug. Fehlmann wies darauf hin, dass ästhetische und soziale Praxis gleich wichtig seien. Für kulturelle Institutionen würde es unter anderem folgende Aufgabenfelder geben: Offenheit für Innovation und Transformation, kulturelle Teilhabe und Inklusion, Dialogfähigkeit und Netzwerkbildung, Nachhaltigkeit und Ressourcenmanagement.
Kompetenzzentrum für Musik in Ludwigshafen
In Ludwigshafen lag 2022 der Anteil der Einwohner*innen mit Migrationshintergrund bei 53%, Tendenz steigend. Aufgrund dieser herausfordernden Situation hatte Fehlmann deshalb die Idee, «sein» Orchester zu einem Kompetenzzentrum Musik zu machen, wie es in dieser Art bisher nicht existierte. Dafür musste auch der Tarifvertrag geändert werden: 80 Prozent der Arbeitszeit sollte für den regulären Orchesterbetrieb und 20 Prozent für die Entwicklung und Umsetzung neuer individueller Projekte genutzt werden. Ideen aus dem Orchester werden gesammelt und in einem transparenten Auswahlverfahren evaluiert. Von 78 eingereichten Vorschlägen wurden 41 zur Ausführung empfohlen und ab der Spielzeit 2023/24 umgesetzt. Die Liste der Projekte findet man auf der Homepage des Orchesters (www.staatsphilharmonie.de), sie reichen von unterschiedlichsten Konzertformaten über zahlreiche Musikvermittlungsideen oder einen Dirigierwettbewerb bis zu Konzerten mit Workshops und Referaten zum Thema “Klimakrise”. Die Zustimmung bei den Orchestermitgliedern und beim Publikum ist überwältigend. Das Modellprojekt „Kompetenzzentrum für Musik“ wurde mit dem mit 20.000 Euro dotierten „Preis Innovation“ 2023 der Deutschen Orchester-Stiftung ausgezeichnet. Zentral ist in jedem Fall der Bezug zum Publikum vor Ort und seinen Bedürfnissen.
Nach diesem Ausblick in die mögliche Zukunft der Orchester ging es zurück in die Gegenwart des SMV: Alle Tätigkeitsberichte und Jahresrechnungen sowie das Budget 2025 wurden angenommen und dem Zentralvorstand und dem Zentralsekretär die Décharge erteilt. Über die Entscheidungen der Zentralvorstandssitzungen sollen in Zukunft zeitnah Beschlussprotokolle versandt werden. Einem Antrag von 64 Mitgliedern, eine nationale Arbeitsgruppe „Vereinbarkeit Care und Beruf“ zu gründen, wurde ein Gegenvorschlag des Zentralvorstands entgegengesetzt („Arbeitsgruppe Health and Safety“), der die Problematik in einem grösseren Zusammenhang lösen möchte. Da beide Vorstösse angenommen wurden, wurde beschlossen, nach einer einjährigen Arbeitsphase der Arbeitsgruppen erneut einen Entscheid zu fällen. Eine erste Version einer sogenannten Tarifampel, die aufzeigt, welche Orchester sich an die SMV-Tarife halten und welche nicht, konnte abgeschlossen werden. Einige Orchester haben allerdings auf die Umfrage nicht geantwortet. Die Ampel zeigt, dass noch einige Überzeugungsarbeit geleistet werden muss, bis die Tarife flächendeckend angewendet werden, eine Grundforderung des SMV.
Das Protokoll dieser DV wird auf der Website des SMV veröffentlicht und kann auch im Zentralsekretariat eingesehen werden.