Rokoko für Flöte oder Violine
Der Zürcher Verlag Schmid & Genewein hat Gasparo Fritz’ Opus 2 neu herausgegeben: sechs Sonaten, die dem musikalischen Rokoko zugeordnet werden können.

Der in Genf geborene Komponist Gasparo Fritz (1716–1783) erlangte insbesondere durch seine Kammermusik grosse Bekanntheit. Er entstammte einer musikalischen Dynastie, erhielt eine profunde musikalische Ausbildung und absolvierte unter anderem ein Studium der Violine in Italien bei Giovanni Battista Somis, einem Schüler von Arcangelo Corelli. Es lässt sich feststellen, dass die italienische Prägung des Autors auch in seinem Stil deutlich hörbar ist und sich in der melodischen Gestaltung und der strukturellen Klarheit seiner Werke zeigt.
Die von Michael Biehl und Claire Genewein in Zusammenarbeit mit Peter Schmid herausgegebenen VI Sonate a Violino o Flauto Traversiere solo col Basso op. 2 zählen zu den herausragendsten Werken des Komponisten. Spielerinnen und Spieler haben die Wahl zwischen Violine und Flöte als Soloinstruments. In einigen Passagen werden je nach Instrument alternative Versionen angegeben.
Charakter
Nicola Schneider führt im Vorwort aus, dass der Begriff eines musikalischen Rokokos auf diese Sonaten ohne Zweifel zutrifft. Häufig manifestiert sich eine Form von Eleganz, die als charakteristisch für die Übergangsphase zur Klassik erachtet wird. Barocke Formstrenge verbindet sich mit einer galanten Linienführung, einer klaren Melodik sowie einem dialogischen Zusammenspiel. Oft wird die Flöte mit einem ausgeprägt feinen Gespür für kantable Linien im lebendigen musikalischen Dialog mit der Bassstimme geführt, beispielsweise im Andante in der 1. Sonate.
Sämtliche Sonaten von Gasparo Fritz zeigen galante Elemente, beispielsweise in Ornamentik, Leichtigkeit, tänzerischen Rhythmen und einer gewissen Anmut. Zudem entsteht Farbigkeit durch die zahlreichen ausgeschriebenen Verzierungen sowie eine auskomponierte längere Kadenz im Adagio der 2. Sonate. Die schnellen Affektwechsel und die variantenreiche Artikulation wirken oft erzählerisch wie eine Geschichte mit vielen Facetten. Die Satzmodelle sind meist dreisätzig und münden teilweise in einen spielfreudigen Schlusssatz mit virtuosen Variationen wie beispielsweise in der 4. Sonate.
Anklänge
Auffällig sind zwei signifikante, über mehrere Takte andauernde Parallelen zu anderen Flötensonaten: Die ersten Takte des Andantes aus der 4. Sonate ähneln dem Anfangsthema der Sonate h-Moll BWV 1030 von Johann Sebastian Bach und im kantablen Largo der 2. Sonate ist ein Anklang zum Siciliano der Carl Philipp Emanuel Bach zugeschriebenen Flötensonate Es-Dur BWV 1031 hörbar.
Quellenlage
Die erste Publikation dieser Sonaten, die einen ausgesetzten Generalbass aufwies, war das Werk von Frank Martin. Michael Biehl beabsichtigt mit seiner Generalbassaussetzung, einem breiteren Publikum die Möglichkeit zur Interpretation zu geben, und weist darauf hin, dass es sich dabei nur um eine Möglichkeit handelt und dass die Ziffern gar nicht von Gaspard Fritz, sondern von dessen Herausgeber stammen könnten, da kein Autograf der Sonaten existiert.
Die im Zürcher Verlag Schmid & Genewein erschienene aufwendige Ausgabe orientiert sich am Originaldruck mit einer Oberstimme und einem bezifferten Bass, der in der Zentralbibliothek Zürich aufbewahrt wird, und übernimmt auch dessen Dynamikangaben. Sie umfasst als Partituren die Oberstimme mit dem von Michael Biehl ausgesetzten Generalbass sowie, dem Original entsprechend, die Oberstimme mit beziffertem Bass, interpretenfreundlich in sogar zwei Exemplaren. Ein ausführlicher kritischer Bericht mit zahlreichen Hinweisen zu den Sonaten rundet diese in jeder Hinsicht gelungene neue Ausgabe ab.
Gasparo Fritz: VI Sonate a Violino o Flauto Traversiere solo col Basso, hg. von Michael Biehl und Claire Genewein, SG010, Fr. 54.00, Schmid & Genewein, Zürich