Die psychische Gesundheit von Musiker*innen

In der letzten Ausgabe der SMZ haben wir einige Aspekte der körperlichen Gesundheit von Musiker*innen beleuchtet. In diesem Artikel geht es nun kurz um ihre psychischen Störungen.

Geistiges und Körperliches voneinander zu trennen ist sicher praktisch, beides ist aber oft miteinander verbunden, da körperliche Behinderungen dazu führen können, dass sich jemand überfordert oder abgewertet fühlt und sogar in eine eigentliche Depression übergehen. Aus diesem Grund sollte man keinesfalls auf eine mögliche psychologische Unterstützung im Rahmen einer Behandlung körperlicher Beschwerden von Künstler*innen verzichten. Wie bei körperlichen Erkrankungen führt das Verbergen chronischer psychischer Leiden, sei es vor sich selbst (Verdrängung), vor Angehörigen, Vertrauenspersonen oder Therapeuten oft zu einer Verschlimmerung des Problems. Nach schweren Erkrankungen des Bewegungsapparats wieder sein Selbstvertrauen und den Glauben an seine Fähigkeiten wiederzufinden, ist keine Selbstverständlichkeit. Umgekehrt kann der psychische Zustand einen Einfluss auf den Körper haben und je nach Person und Umständen mehr oder weniger starke Reaktionen hervorrufen. Gastrointestinale Komplikationen scheinen die häufigsten zu sein und resultieren in praktischen Problemen, welche die musikalischen Aktivitäten beeinträchtigen. Atembeschwerden, aber auch Asthma, eine Tachykardie oder Dermatosen gehören zu diesen Somatisierungen, die eine Folge einer zu grossen psychischen Belastung sind. In diesen Fällen sollten sich die Behandlungen nicht ausschliesslich auf die Symptome beschränken, sondern auch eine psychotherapeutische Begleitung einschliessen, wobei der Schwerpunkt auf der Bewältigung von Angst und Stress liegen sollte. Trotz aller Tabus und Klischees hat es nichts Beschämendes oder Demütigendes, wenn man sich auf einen solchen Prozess einlässt. Aus Gründen, die zu einem grossen Teil mit dem Bild zusammenhängen, dem sie selbst glauben genügen zu müssen oder andern vermitteln wollen, sind Männer oft weniger bereit als Frauen, die Tatsache zu akzeptieren, dass sie nicht in der Lage sind, ihre Psyche im Griff zu haben. Die Angst, den Eindruck von Schwäche abzugeben und die soziale Erwartungshaltung («sei ein Mann, sei stark, reiss Dich zusammen») ermutigen nicht, eine doch so nützliche Hilfe zu akzeptieren und erzeugen gleichzeitig ein Schuldgefühl. Nach wie vor halten sich negative Vorurteile, wie wenn jede therapeutische Beratung, die mit der Psyche zu tun hat, bedeuten würde, dass der Patient an einer schweren psychischen Erkrankung leidet.

Psychosoziale Risiken

 Kürzlich wies ein französischer Konzertcellist mit bipolarer Störung darauf hin, wie schwierig es ist, eine Konzertabsage aus psychischen Gründen zu rechtfertigen, die anders als ein gebrochener Arm unsichtbar sind. Das Risiko ist gross, als unzuverlässige Person betrachtet zu werden, da das Bewusstsein für die Problematik psychischer Störungen fehlt. Eine Krankheit unserer Zeit, das Syndrom der beruflichen Erschöpfung, bekannt als «Burn-out», entsteht durch fortschreitenden Verschleiss aufgrund von chronischem Stress. Ob er nun durch äusserliche Ursachen (Überbeschäftigung, die zu einem reduzierten Privatleben führt und zu einem Mangel an Erholungszeit) oder inhärente (Perfektionismus, schlechtes Zeitmanagement oder die Unfähigkeit, negative Emotionen zu beherrschen) entsteht, verursacht der Stress eine Produktion von Hormonen, die auf die Dauer den Körper schwächen. Ein Faktor, der die Situation potenziell verschlimmert, ist die Prekarität, in der viele freischaffende Künstler*innen leben, die ihre Engagements vervielfachen müssen, um zu überleben. Das Gefühl, gebraucht zu werden und eine befriedigende Einstellung zum Beruf, eine wohlwollende und erfüllende Atmosphäre am Arbeitsplatz (in einer Musikschule oder einem Orchester zum Beispiel) sind wesentliche Faktoren, um ein Burn-out zu vermeiden, wie auch körperliche Aktivität oder Atemtechniken. Im Moment ist die Burn-out-Prävention noch ungenügend, wie auch diejenige von psychischen Funktionsstörungen im Allgemeinen, insbesondere von Depressionen. Seit einigen Jahren spricht man immerhin mehr und mehr über psychosoziale Risiken (PSR) und ihre schädlichen Folgen wie Motivationsverlust, Abkapselung, ein unangenehmes Sozialverhalten oder Leistungsabfall.

Leistungsangst

Dank ihrer neurostimulierenden und neuroprotektiven Eigenschaften wie auch ihrer psychoaffektiven Regulationsfähigkeit hilft die musikalische Praxis, ein gutes mentales Gleichgewicht zu erwerben und aufrechtzuerhalten. Dies wurde durch zahlreiche wissenschaftliche Studien nachgewiesen und kann von Musiker*innen auf empirische Weise nachvollzogen werden. Dennoch kann sie nicht nur nicht alle Störungen verhindern, sondern auch zur Ursache von Problemen werden, vor allem wenn ein Interpret/eine Interpretin es nicht schafft sein/ihr Lampenfieber im Zaum zu halten und sich von seiner/ihrer Angst zu befreien. Diese musikalische Auftrittsangst kann verheerende chronische Auswirkungen haben: Erkrankungen des Bewegungsapparats, Bluthochdruck, ein geringes Selbstwertgefühl, eine soziale Phobie, eine Depression und natürlich auch kognitive Beeinträchtigungen (Aufmerksamkeits- oder Konzentrationsverlust). Als vorbeugende Massnahmen sind Entspannungstechniken wie die Alexander-Technik oder die Feldenkrais-Methode Medikamenten vorzuziehen, die unerwünschte, sogar gefährliche und süchtig machende Nebenwirkungen haben können.

Druck auf die Studierenden

Negative psychologische Erfahrungen können schon sehr früh erlebt werden, wenn zum Beispiel ein Kind zu ungeduldigen oder zu pedantischen Erwartungen seiner Eltern oder Lehrer*innen genügen muss oder einem Druck ausgesetzt ist, der bis zu einer eigentlichen Misshandlung führen kann. Daraus können sich negative Auswirkungen ergeben, wie etwa eine Abneigung gegenüber dem Musiker*innenberuf, ein Gefühl, nie einer Aufgabe gewachsen zu sein, depressive Zustände oder Süchte. Dieses Thema, dem bisher noch wenig Beachtung geschenkt wurde, stösst derzeit auf wachsendes Interesse. Wir werden demnächst darauf zurückkommen, da der Schutz der Gesundheit von Musiker*innen ein Hauptanliegen des SMV ist.

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