Abschied mit einer Neuentdeckung

Mit Erstaufführungen barocker Trouvaillen beschliesst Mario Schwarz seine langjährige Arbeit mit dem Collegium Musicum Ostschweiz. Pergolesis kürzlich aufgespürte Kantate «Dixit Dominus» bezeichnet er als Sensation.

Manuskriptseite des aufgefundenen «Dixit Dominus». Foto: zVg

Giovanni Battista Pergolesi ist kein Unbekannter, lange Zeit war er sogar Kult. Wie ist es zu erklären, dass ein bedeutendes Werk erst jetzt zum Vorschein kommt?

Mario Schwarz: In den Klosterbibliotheken lagert unendlich viel Material und es gibt wenige, die da herumstöbern. Einer von ihnen ist Friedrich Hägele aus Aalen. Er hat Pergolesis Dixit Dominus in der Bibliothek des Chorherrenstifts Beromünster ausgegraben. Die Missa Solemnis in C con organo concertante von František Xaver Brixi, die wir im selben Konzert aufführen, hat Karlheinz Ostermann aus Silz im Tirol, wie manches andere, in der Bibliothek des Klosters Ottobeuren gefunden. Es ist eine mühevolle Arbeit, die nicht jeder auf sich nimmt. Man findet ja keine Partituren, sondern Einzelstimmen, Abschriften oder auch Abschriften von Abschriften. Im Falle Pergolesis war es besonders miserables Material. Alle, die damit zu tun hatten, haben über den schlechten Schreiber geflucht, der da am Werk war. Selber habe ich mich nicht mit diesem Material beschäftigt. Aber in der daraus hergestellten Partitur gab es tausend Fragen; ich habe stundenlang mit dem Herausgeber telefoniert.

Hat sich denn die Arbeit gelohnt? Obwohl Pergolesi nur 26 Jahre alt wurde, weist sein Werkverzeichnis ja eine beachtliche Zahl von Kirchenkompositionen auf, darunter ein weiteres «Dixit Dominus».

Es ist von der Anlage her ein wunderbares Werk, grösser als das Schwesterwerk, und ich denke auch, dass es Zukunft hat. Es zeigt eine kluge Verteilung der Soli, der solistischen Ensembles und des Chors, da herrscht eine schöne Abwechslung. Zudem ist diese Musik nicht nur sehr sanglich, sondern auch sehr klar textbezogen komponiert. Der Anfang etwa mit dem deklamatorischen «Dixit»-Ruf geht unter die Haut, oder der Schluss mit den langen Notenwerten im Stile antico zum «Sicut erat in principio» (Wie es war zu Anfang) hat wirkliche Grösse. Das alles ist sehr emotional und auch bildhaft – ein Orgelpunkt markiert den Schemel für die Füsse des Herrn, zu dem die Feinde werden sollen.
 

Wie sicher ist die Autorschaft? Gemäss MGG führte der legendäre Ruf des jung verstorbenen Genies zu einem blühenden Handel mit falsch zugeschriebenen oder gefälschten Kompositionen. Das Verhältnis von authentischen zu unechten Werken soll im Falle Pergolesis einen Spitzenwert von 1 zu 10 aufweisen.

Einen Beweis für die Echtheit dieses Werks gibt es nicht, bisher jedenfalls wurde kein originales Notenblatt oder auch nur der Hinweis auf eine Aufführung gefunden. Unbekannt ist auch der Weg, auf dem das Werk ins Stift Beromünster gelangt ist – und übrigens eine stark gekürzte Version auch in die Bibliothek des Klosters Einsiedeln. Es gibt keine historischen Belege, nur die kompositorische Handschrift, wie man sie aus den gesicherten Werken kennt und die man hier wiederfindet, typische Rhythmen, die Behandlung von Fermaten. Ein Beweis fehlt, aber vom Stilistischen her hat man stark das Gefühl, dass da wirklich ein sehr guter Komponist am Werk war und der Verlag es zu Recht unter dem Namen Pergolesi herausgibt.


Mario Schwarz hat das Collegium Musicum Ostschweiz mehr 40 Jahre lang geleitet. Er ist besonders mit Uraufführungen von Schweizer Komponisten hervorgetreten, zum Beispiel 2004 mit der Oper Tredeschin von Gion Antoni Derungs. 2009 konnte er Heinrich von Herzogenbergs Violinkonzert aus der Taufe heben. 2010 dirigierte er zum 100. Todestag Henry Dunants Derungs’ szenisches Musikwerk Henry Dunant – das Libretto stammte von Hans-Rudolf Merz (SMZ 12/2010, Seite 25).

Abschiedskonzert von Mario Schwarz

Erstaufführungen von F. X. Brixi und G. B. Pergolesi

 
So 09. April,17 Uhr, Stiftskirche Bischofszell
Do 13. April,19 Uhr, Kirche St. Fiden, St. Gallen
Fr 14. April,17 Uhr, evangelische Kirche Heiden

Muriel Schwarz, Sopran; Kismara Pessatti,Alt; Nik Kevin Koch, Tenor; Chasper-Curò Mani, Bass; Christian Busslinger, Orgel; Chor und Orchester des Collegium Musicum Ostschweiz
 

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