Petrenko überzeugt als Klangorganisator

Die Berliner Philharmoniker sind glücklich mit ihrem neuen Chefdirigenten Kirill Petrenko. An den Osterfestspielen in Baden-Baden spielen sie unter seiner Leitung Beethoven und Mahler.

Kirill Petrenko und die Berliner Philharmoniker. Foto: Stephan Rabold

Die Berliner Philharmoniker haben schon längst die Bühne verlassen, da kommt Kirill Petrenko nochmals zurück, weil das Publikum nicht aufhört zu klatschen. Der Dirigent verbeugt sich und zeigt hinter sich auf die leeren Stühle. Nicht er, sondern das Orchester verdiene den Beifall, möchte er sagen, auch wenn die Musiker schon beim Feierabendbier sind. Dann huscht der freundliche, kleine Mann wieder mit schnellen Schritten hinaus. Oft hat das Publikum in der Berliner Philharmonie den neuen Chefdirigenten seit Ende August letzten Jahres nicht erlebt, weil Petrenko noch als Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper in München gebunden ist. Beethovens 9. Sinfonie zum Saisonstart, auch am Brandenburger Tor aufgeführt, ein Silvesterkonzert mit der Sopranistin Diana Damrau und die 6. Sinfonie von Gustav Mahler waren bisher die einzigen Programme, die Petrenko in Berlin dirigierte.

An diesem vierten Konzert zeigt sich der neue Chefdirigent im ersten Teil, bei Igor Strawinskys durchaus spröder Symphonie in drei Sätzen und Bernd Alois Zimmermanns sinnlich-groovender Ballettsuite Alagoana, als recht nüchterner Klangorganisator, der häufig mit beiden Armen parallel dirigiert, den Kopf immer wieder in der Partitur hat und klare Einsätze gibt. Kirill Petrenko ist kein Zampano, sondern ein Handwerker. Seine Zeichengebung ist funktional, nicht ästhetisch: kein Kringel zu viel. Er inszeniert sich nicht, sondern macht einfach nur seinen Job. Dabei kann Petrenko im Dirigat aber auch freier werden und den Dingen ihren Lauf lassen, wie es im zweiten Teil, bei den perfekt ausbalancierten Symphonischen Tänzen von Sergej Rachmaninow, zu erleben ist. Den Bläsersoli gibt er genügend Atem, die Homogenität der Streicher beglückt. Alles perfekt aufeinander abgestimmt – die Mannschaft ist der Star.
 

Der Oper sehr verbunden

Wie genau Petrenko an der Balance arbeitet, kann man in der Generalprobe zuvor beobachten. Kein einfacher Durchlauf ist das, sondern ein Suchen und Finden von modellierten Übergängen, klaren Rhythmen und feinen dynamischen Unterschieden. Freundlich, aber bestimmt, mit leiser Stimme spricht der neue Chef – und die Berliner Philharmoniker spitzen die Ohren. «Kirill Petrenko kommt so gut vorbereitet in die Probe, wie ich es von niemand anderem kenne», sagt Cellist und Orchestervorstand Knut Weber im anschliessenden Gespräch. «Er weiss immer genau, was er korrigieren möchte, und ist dabei sehr schnell. Die Spannung im Orchester ist derzeit auf einem Level, wie ich es noch nie zuvor erlebt habe.» Von einem langen Honeymoon ist beim Pressegespräch die Rede und von einem Zauber, der noch lange währen werde. «Wir lernen uns ja erst kennen», ergänzt die aus Sankt Georgen im Schwarzwald stammende Intendantin Andrea Zietzschmann. «In der ersten Saison ist er nicht überpräsent. Das tut auch dieser wachsenden Beziehung gut.»

Eine kürzere Tournee im Herbst mit ihm am Pult wurde schon absolviert, zwei weitere werden in dieser Saison noch kommen. Vor allem aber stehen die Osterfestspiele Baden-Baden vor der Tür, die Kirill Petrenko, der ganz der Oper verbunden ist und vor München bereits in Meiningen und der Komischen Oper Berlin Generalmusikdirektor war, am 4. April mit Beethovens Fidelio eröffnet. Die slowenische Schauspiel-Regisseurin Mateja Koležnik wird in Baden-Baden erstmals eine Oper inszenieren und dabei Florestans Wahrnehmung durch Träume erweitern, verrät Andrea Zietzschmann. «Mit unserer Artist in Residence Marlis Petersen haben wir auch eine exzellente Sängerdarstellerin als Leonore.»

Knut Weber freut sich sehr auf die Osterfestspiele und verspricht ein «Feuerwerk an Inhalt». Dass alle 16 Streichquartette Beethovens sowie die Grosse Fuge von 17 verschiedenen Ensembles der Berliner Philharmoniker im Kurhaus Baden-Baden gespielt werden, sei ambitioniert. «Gerade in den Kammerkonzerten schätzen wir auch die vielen persönlichen Begegnungen, die wir mit dem Publikum haben. Dieser direkte Kontakt ist etwas ganz Besonderes in Baden-Baden», sagt er. Neben den Gastdirigenten Herbert Blomstedt, Tugan Sokhiev und dem für Yannick Nézet-Séguin eingesprungenen Schweizer Dirigenten Lorenzo Viotti ist Kirill Petrenko auch in den Orchesterkonzerten zu hören: mit Beethovens Missa solemnis, exklusiv in Baden-Baden, und Mahlers 6. Sinfonie, mit der sich Simon Rattle von den Berliner Philharmonikern verabschiedet hatte.

Die Osterfestspiele möchte Zietzschmann noch stärker international vermarkten. Den immer wieder auftauchenden Abwanderungsgerüchten, dass die Berliner Philharmoniker wieder nach Salzburg zurückkehren würden, begegnet sie mit einem selbstbewussten Lächeln: «Wir fühlen uns in Baden-Baden zu Hause.» Und kündigt an, dass Kirill Petrenko ab 2022 als Operndirigent nur noch in Baden-Baden zu erleben sein werde. Darüber wird man nicht nur in Salzburg enttäuscht sein. Aber Baden-Baden darf sich freuen.

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