Chancen statt
Defizite

Mit «Musizieren im Alter» beschäftigte sich in Bern das 12. Symposium der Schweizerischen Gesellschaft für Musik-Medizin SMM und der Schweizerischen Interpretenstiftung SIS


Der Saal der Hochschule der Künste Bern an der Papiermühlestrasse scheint aus allen Nähten zu platzen. Das Thema bewegt, und dies in vielfacher Hinsicht: Musizieren im Alter, das kann eine Chance sein für Menschen, ihren Lebensabend (oder bereits den -spätnachmittag) mit Emotionen und guten Erlebnissen zu füllen. Es kann für diejenigen, die ein Leben lang musiziert und sich damit ihr Auskommen erwirtschaftet haben, aber auch ein schmerzvoller Prozess des Loslassens und des Abbaus bedeuten. Das jährliche Symposium der Schweizerischen Gesellschaft für Musik-Medizin, das sich diesen Aspekten der klingenden Kunst angenommen hat, kann eine Rekordbeteiligung vermelden.


Ein zuversichtliches Zeichen setzt in dieser Hinsicht gleich zu Beginn das Trio Poetico, drei Holzbläser, die früher unter anderem im Scheinwerferlicht des Tonhalle Orchesters gesessen sind, sich auch nach der Pensionierung künstlerisch auf exzellentem Niveau weiterentwickeln und neues Repertoire entdecken, etwas die faszinierende Musik des brasilianischen «Messiaen» Heitor Villa-Lobos.


Dass sich einiges mit Blick aufs Musizieren im Alter geändert hat, bekräftigen in ihren Referaten die Medizinerin Maria Schuppert vom Zentrum für Musikergesundheit der Hochschule für Musik Detmold und der Zürcher Neuropsychologe Lutz Jäncke. Bis vor nicht allzu langer Zeit sind die menschlichen Fähigkeiten zum Erwerb neuer Fertigkeiten bis ins hohe Alter unterschätzt worden. Nicht zuletzt die Arbeiten von Jäncke und seinen Kollegen in Sachen Hirnplastizität zeigen jedoch, dass auch mit weissen Haaren bei durchschnittlicher Gesundheit weit mehr Ressourcen abgerufen werden können, als man auch vor noch nicht allzu langer Zeit geglaubt hat. Selbst auf hochklassige Ausdruckmöglichkeiten muss man dabei keineswegs verzichtet werden, huldigt man nicht einem Jugendlichkeitsideal, sondern begreift man die Kennzeichen des eigenen Alters als originale Eigenheiten.


Natürlich lassen die Sinne im Alter nach, das Gehör, die Augen; auch die Stimme ändert sich. Die männliche etwa wird höher, verliert in der Höhe aber aufgrund physiologischer Abbauprozesse an Umfang, wie Eberhard Seifert, der Leitende Arzt Phoniatrie der Universitäts-HNO-Klinik des Berner Inselspitals aufzeigt. Und wäre es früher undenkbar gewesen, mit einem Hörgerät in einem Ensemble mitzutun, hat die moderne Technik so grosse Fortschritte gemacht, dass selbst mit den entsprechenden Beeinträchtigungen ein Mitsingen im Chor oder Mitspielen im Orchester noch möglich ist, wie der Hörakustik-Meister Michael Stückelberger darlegt.


Die gestärkte Zuversicht bekommen auch die Musikschulen zu spüren, die sich auf immer mehr Musikschülerinnen und -schüler im dritten Lebensabschnitt einstellen können. Von einem Forschungsprojekt «Mach dich schlau – Lern- und Lehrstrategien im Instrumentalunterricht 50plus» der Berner Hochschule der Künste (HKB) und des Instituts Alter der Berner Fachhochschule berichtet in einem Workshop die Musikerin und Journalistin Corinne Holtz, die an der HKB auch den CAS «Musikalisches Lernen im Alter» leitet. Und der selber in die Jahre gekommene Chorleiter Karl Scheuber zeigt, wie mit altersgerechten Einsingübungen und kluger Repertoirepflege auch im hohen Alter kollektives Singen zur Lebensqualität beitragen kann.


Mittlerweile gibt es, worauf Hans Hermann Wickel vom Fachbereich Sozialwesen der Fachhochschule Münster hinweist, sogar ein dediziertes Fachgebiet zum Thema, die Musikgeragogik. Sie soll Musikangebote für hochaltrige, eventuell multimorbide oder dementiell veränderte Menschen optimieren und die Möglichkeiten in der Palliativmedizin ausloten.


Gespräche am abschliessenden Apero des Symposium zeigen, dass neben Fachleuten durchaus auch interessierte Aussenstehende, die auf der Suche nach Möglichkeiten einer musikalische Betätigung auf fortgeschrittenem Lebensweg den Anlass besucht haben – ein Hinweis darauf, dass dazu eine spezielle Anlaufstelle einem Bedürfnis entsprechen könnte.


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