Üben im Flow

Wie Üben zu einem sich selbst organisierenden Prozess wird.

Andreas Burzik —Üben im Flow ist eine Methode, die darauf abzielt, Musiker beim Üben eines Instruments in Zustände der tiefen Verschmelzung mit ihrem Tun zu führen. Sie ermöglicht die Erfahrung, dass eine bewusste, willentliche Steuerung des Übeprozesses zugunsten eines sich von innen heraus entfaltenden, von der sinnlichen Wahrnehmung geleiteten Prozesses aufgegeben werden kann. Grundlage des Übens im Flow ist eine stark verfeinerte Wahrnehmung in den entscheidenden Sinneskanälen, dem Tastsinn, dem Hören und dem kinästhetischen Bewegungsgefühl.

So geht es beim Tastsinn um die Punkte, an denen ein Spieler unmittelbare Berührung mit seinem Instrument hat. Eine optimale und effektive Kraftübertragung auf das Instrument äussert sich in dem Gefühl einer «satten» Verbindung zum Klangkörper. Beim Hören geht es um die Entwicklung eines subtilen Klangsinnes. Grundsätzlich gilt, dass die beim Üben produzierte Tonqualität dem Spieler gefallen sollte. Dies klingt wie eine Banalität. Beobachtet man jedoch übende Musiker, so stellt man fest, dass die Aufmerksamkeit oft von anderen Teilaspekten gefangen ist und die Tonschönheit nicht konstant eine wichtige Rolle spielt. (Für intonierende Instrumente geht es dann im Weiteren um eine Sensibilisierung für eine von den Obertönen organisierte Intonation, die zu einer Verschmelzung der Klänge und einem äußerst beglückenden «Weiterreichen» des Klanges von Ton zu Ton führt.)

Im Weiteren ist bei intonierenden Instrumenten dann eine Sensibilisierung für eine von den Obertönen organisierte Intonation von Bedeutung. Dies führt zu einer Verschmelzung der Klänge und einem äußerst beglückenden «Weiterreichen» des Klanges von Ton zu Ton.

Beim kinästhetischen Bewegungsgefühl geht es um die Qualität der Anstrengungslosigkeit. Gemeint ist hier nicht eine völlige Entspannung oder Schlaffheit, sondern ein Körpergefühl des nicht angestrengten, leichten, fliessenden Tuns, ein Gefühl des Schwingens. Erstaunlicherweise fehlt bei vielen Instrumentalmethodiken eine konsequente und subtile Einbeziehung des ganzen Körpers in das eigene Spiel. Viele Musiker bedienen ihr Instrument lediglich aus den Armen heraus, eine Bewegungsform, die im Alltag so nie vorkommt. Sie führt zu muskulären Verspannungen und ist vermutlich Ursache für zahlreiche Musikerkrankheiten ist. Unnötig zu betonen, dass ein «lahmgelegter» Körper auch Klang kostet. Mitschwingende Musiker erzeugen deutlich mehr Obertöne und einen wunderbaren, «körperreichen» und tragfähigen Klang.

Sind diese «Leitgefühle» in den entscheidenden Sinneskanälen zu Beginn einer Übesequenz etabliert, kann man sich an die Erarbeitung der aktuellen Literatur machen. Die ersten Schritte beim Herangehen an ein Stück bestehen dann darin, dass man die Töne dieses Stücks gewissermassen in seine «Komfortzone» lädt, sie bestehen in einem spielerischen und konsequent musikalisch gestalteten Erkunden und Kultivieren der Töne des Stückes und der erlebten Sinnesempfindungen, noch ohne Beachtung von Notenwerten, Bindungen, Phrasierungen, Tempi, Dynamiken oder Interpretationen.

Mit wachsender Sicherheit im Hören und Erspüren des Stückes entsteht dann ein deutlich spürbarer Wille, auf die gewünschte Konzertfassung zuzugehen, das Bindungen, Tempi, Dynamiken und verschiedene interpretative Fassungen auszuprobieren. Die persönliche Komfortzone beginnt sich auszuweiten, sie fängt an zu pulsieren. Es entsteht ein fliessendes Vor und Zurück zwischen riskierenden Ausflügen und einem Zurückweichen und spielerischen «Nachbauen» von Vorgängen, bei denen Störungen im Kontakt zum Instrument oder zum Klang wahrgenommen wurden. So weitet sich die Komfortzone pulsierend aus, bis sie dann im besten Falle die angestrebte Konzertfassung umfasst.

Üben im Flow fühlt sich nicht an wie «Üben». Es ist eher ein hochkonzentriertes und hochengagiertes Erspielen des Stückes, das auf einem extrem kurz geschlossenen Feedback zwischen sinnlicher Wahrnehmung und kreativem Handeln basiert und keiner gedanklichen Einmischung bedarf. Sich diesem von innen heraus gesteuerten Prozess vertrauensvoll und geduldig hinzugeben gehört zu den mentalen Herausforderungen des Übens im Flow.

Andreas Burzik

… ist Diplompsychologe und ausgebildeter Geiger. Neben seiner internationalen Unterrichts- und Seminartätigkeit arbeitet er als Psychotherapeut und Coach in eigener Praxis. 2007-2016 Mentaltrainer der Orchesterakademie des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks, München.

Mehr Informationen unter

> www.flowskills.com

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