Die Forschung an der ZHdK

In dieser Ausgabe stehen, nachdem Genf in der November-Ausgabe beleuchtet wurde, die Forschungs­abteilungen der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) im Mittelpunkt und verdeut­lichen deren Vielseitigkeit.

MvO — Im Zuge der Etablierung der Forschung an den Fachhochschulen hat die ZHdK ihre Forschungstätigkeit intensiviert. Sieben Institute und zwei selbständige Forschungsschwerpunkte sind vor allem im Bereich der künstlerischen Forschung tätig, unter anderem auch in der Kulturvermittlung und in der Musikwissenschaft. Die Anfänge der Forschung an der ZHdK reichen bis in die neunziger Jahre zurück, als aufgrund der Forschungsverpflichtung Daniel Fueter, damals Direktor des Konservatoriums und der Musikhochschule Zürich, das Thema aufnahm und mit einer Gruppe Gleichgesinnter verfolgte. Bereits damals zeigte sich, dass der Bereich, den Gerald Bennett betreute (er war neben seiner Gründertätigkeit für das IRCAM in Paris auch Mitbegründer des Schweizerischen Zentrums für Computermusik) ein Alleinstellungsmerkmal für die spätere ZHdK bilden könnte. Daraus ist dann in der Folge die Gründung des Institute for Computer Music and Sound Technology (ICST) erfolgt, das Musik im Kontext neuer Technologien erforscht. Schon bald haben sich immer deutlicher einzelne Schwerpunkte herauskristallisiert. Die Forschungsprojekte der ZHdK werden von nationalen Institutionen wie dem SNF und innosuisse (ehemals KTI), von privaten Stiftungen oder von der EU gefördert oder sind Kooperationen mit Universitäten, der ETH, Fachhochschulen, anderen Forschungseinrichtungen und mit Wirtschaftspartnern.

Institute for Computer Music and Sound Technology (ICST)

Es liegt in der Natur der Sache, dass die Forschung am ICST besonders interdisziplinär angelegt ist und über eine enorme Bandbreite verfügt, was gleichermassen naturwissenschaftliche wie auch künstlerische Aspekte aufweist. Einige Beispiele aus dem aktuellen Projektkatalog werden anbei vorgestellt.

Das Gebiet der Audiohaptik geht der Frage nach, welche Relevanz Schwingungen über ein haptisches Feedback bei Instrumenten für die Genauigkeit des Musizierens haben. Dazu hat das ICST Wahrnehmungsstudien und experimentelle Untersuchungen durchgeführt, aus welchen die Frage resultiert, wie elektronische Musikinstrumente in der Zukunft aussehen können und welche Verbesserungen das haptisches Feedback dabei ermöglicht. Da bisher auf diesem Gebiet systematisch wenig erforscht wurde, sind die Erkenntnisse des ICST umso wichtiger, zumal Stefano Papetti und seine Gruppe diese in Publikationen und auf internationalen Konferenzen vorstellen konnte.

Die Forschung im Bereich von Interfaces hat mittlerweile auch anwendbare Ergebnisse erzeugt. Ausgangspunkt war das Projekt SABRe, über eine mit Sensoren erweiterte Bassklarinette, aus dem sich zunächst ein startup-Unternehmen entwickelte, welches anfangs März den SABRe Multi Sensor auf den Markt bringen konnte. Es handelt sich dabei um ein modulares System mit diversen Sensoren, welches zwischenzeitlich nicht nur für Klarinetten und Saxophone anwendbar ist, sondern auf zahlreiche Objekte montiert werden kann.

Bei dem Projekt Trees, Ökophysiologische Prozesse hörbar machen und dem Folgeprojekt Sounding Soil geht es um die Erforschung von Naturklängen und ihrer Relevanz für das Verständnis von Ökosystemen. Mit Klanginstallationen können Menschen einerseits sensibilisiert werden, andererseits wird damit die Schnittstelle von Kunst und Wissenschaft erfahrbar. Der naturwissenschaftliche Aspekt wird in Kooperation mit der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald (WSL) und der ETH gemeinsam untersucht.

Das ICST stellt sich aber auch den Fragen der Kommunikation sowie der Erfahrung und den Möglichkeiten neuer Technologien. Welche Bedeutung hat ein telematisches Umfeld für die Musik(-aufführung), wie sieht eine telematische Performance aus, wie können neue Technologien eingesetzt werden, damit Musiker gemeinsam spielen können, ohne im selben Raum sein zu müssen? Was sind die Chancen und Probleme, die durch eine zeitliche Verzögerung (den so genannten delay) entstehen? Das Institut entwickelt hierfür Tools, um diese Phänomene verstehen und anwenden zu können. Ein weiteres Thema sind Games. Dabei steht die Frage im Vordergrund, wie man Gamestrategien in musikalische Kompositionen und Aufführungen integriert und was diese für einen Einfluss auf Musiker und Publikum haben.

Forschungsschwerpunkt Musikalische Interpretation

Ein bedeutender Forschungsschwerpunkt auf dem Gebiet der Musikalischen Interpretation bildet das Schaffen von Anton Webern. Da die Analyse einer performativen Interpretation von der Musik des 20. Jahrhunderts in der Interpretationsforschung noch kaum eine Tradition kennt, ist die Frage nach einer Aufführungslehre dodekaphoner Musik bzw. nach Regeln ihrer Aufführungspraxis (beispielsweise bei Tempo- oder Intonationsfragen) von grosser Bedeutung. Im Bereich der älteren Interpretationsgeschichte stehen Generalbass-Realisierungen des 19. und 20. Jahrhunderts zur Diskussion. Des Weiteren legt die Forschungsabteilung einen Schwerpunkt auf die Zürcher Musikgeschichte, hier wäre die Gesamtausgabe von Erich Schmid, aber auch Forschungen zu Leben und Werk von Stefi Geyer oder Adolf Busch oder die Betreuung der umfangreichen Tonbandsammlung von Fritz Muggler zu nennen.

Musikphysiologie

Zum Forschungsschwerpunkt Musikalische Interpretation des Departements Musik der ZHdK gehört auch der Schwerpunkt Musikphysiologie, welcher eine internationale Ausstrahlung geniesst. Geforscht wird etwa auf dem Gebiet von Lampenfieber und Bühnenkompetenz und zur Vorsorge und Überwindung der starken Belastungen und Fehlstellungen beim Spielen von Streichinstrumenten, Klavier oder Schlagzeug. Das Zürcher Zentrum Musikerhand (ZZM), auch Handlabor genannt, gehört ebenfalls zum Bereich der Musikphysiologie. Hier werden biomechanische Messungen durchgeführt und Beratungen angeboten, welche die verschiedenen Belastungsfaktoren eines Musikers erfassen und zu minimieren helfen. Schon daran erkennt man, wie breit das Gebiet ist, welches von der Physiologie bis zur Neuropsychologie reicht.

Forschung und Lehre

Ein Ziel der Forschung an der ZHdK besteht darin, einen grösseren Transfer zwischen der Forschung und der Lehre zu erreichen. Auch wenn im Moment noch nicht alle Praktiker grosses Interesse an der Forschung zeigen, so fliessen dank den Lehrveranstaltungen für Bachelor- und Masterstudierende die Ergebnisse aus der Forschung immer stärker in die Lehre ein. Dieser Konnex soll aber noch verstärkt und mögliche Synergien besser genutzt werden. Der Reader zur historischen Aufführungspraxis von Dominik Sackmann ist ein gutes Beispiel dafür. Die Musikphysiologie ist ebenso gewichtig in der Lehre verankert, was sich auch daran zeigt, dass auf der Basis eines kürzlich an der ZHdK abgeschlossenen SNF-Forschungsprojekts zu individuell geeigneten Violinpositionen ein Kinnhaltermodell mit dem Namen Zuerich vorgestellt werden konnte. Dieses erlaubt durch diverse Höhen- und Winkeleinstellungen verschiedene individuelle Kopfpositionen auch während des Spielens in Sinne einer Ermüdungsprophylaxe. Auch die ICST-Forschung ist eng mit der Praxis verknüpft, denn neben der experimentellen Forschung braucht es in allen Bereichen der Forschung die Interaktion mit Komponisten und Performern, einige Forscher sind gleichzeitig Dozenten. Das Potential der letztgenannten Forschung hat bewirkt, dass das Repertoire der elektronischen Musik an der ZHdK deutlich präsenter wurde, die Angebote für Master- und Bachelorstudierende auf dem Gebiet zahlreicher geworden sind und das Interesse an der Live-Elektronik bei Dozenten und Studierenden steigt, so dass das Repertoire einen immer natürlicheren Eingang in den Unterricht findet.

Gehört Musikforschung an eine Fachhochschule?

Im Gegensatz zur universitären Musikwissenschaft ist das Erklingende und deren Herstellung, die Arbeit mit Klängen oder am Klang oder die zum Klingen gebrachte Musikgeschichte der wesentliche Forschungsgegenstand an der ZHdK. Und diese Forschung, davon ist Dominik Sackmann überzeugt, hat eine grosse Bedeutung für das ganze Departement Musik, weil sie diese verändern kann. Denn aufgrund der Forschung wird die aktive Neugierde angeregt, was enorm wichtig ist für eine Hochschule. Gerade an einem Ort, wo Interpretation unterrichtet wird, muss auch die Frage nach einer inkompetenten oder unvollständigen Interpretation gestellt werden können. Doch eine solche kann nur aufgedeckt und korrigiert werden, wenn die Forschung zeitgemässe Antworten und Möglichkeiten dafür bereithält. So kann die Forschung zum Motor werden, um die Interpretationen auf dem Erkenntnisstand der Zeit zu halten. Und dieses Verständnis sollte sich auch auf die Studierenden übertragen, auf die nächste Generation von Künstlern, die offen und neugierig ist – letzten Endes aber auch auf die Dozierenden.

Diese Perspektive nimmt auch das ICST ein, im Bewusstsein, dass wir aufgrund neuer Medientechnologien anders kommunizieren, immer neue Kanäle haben, um Informationen auszutauschen, was unser Leben bisweilen radikal verändert. Die Kunst ist dabei eminent wichtig, weil sie die kritische Funktion einnimmt zu überlegen, wie diese Technologien uns verändern und wie sie die Kunsterzeugung und deren Rezeption beeinflussen. Es geht dabei nicht darum, noch mehr Gadgets zu erzeugen, sondern die Chancen und Risiken technologischer Innovationen im Bereich der künstlerischen Produktion zu erkennen.

Herausforderung und Ziele

Die Forschung an der ZHdK möchte noch näher an die Praxis gelangen, noch sichtbarer werden und enger mit den Studiengängen verschränkt sein. Dereinst müsste die Forschung an einer Kunsthochschule selbstverständlicher Bestandteil des Curriculums sein. Dabei bleibt aber die Frage, wie dies finanziert und wie die Drittmittelquote erreicht werden kann. Es stellt sich aber auch die Frage, wo der wissenschaftliche Nachwuchs dereinst herkommt. Das strukturelle Problem liegt darin, dass Schweizer Kunsthochschulen noch keine eigenen PhD-Programme anbieten können, dies wäre aber für den Nachwuchs wichtig und unterscheidet die Schweiz von anderen Ländern, bei denen die Kunsthochschulen durch den Universitäts-Status einen dritten Zyklus haben. Glücklicherweise kann sich das Department Musik der ZHdK mit einer intensiven Kooperation mit der Kunstuniversität Graz behelfen.

Eine weitere Herausforderung der Forschung besteht im Ziel, die Eigenständigkeit bei der Wahl von Methoden und Inhalten bewahren zu können. Dies ist vor allem hinsichtlich des Wettbewerbs um Drittmittel relevant und braucht Verständnisschaffung in der wissenschaftlichen Community. Es muss den Forschungsdepartementen gelingen, die Anliegen deutlich zu machen. Dafür können auch Kooperationen wichtig sein. Das ICST ist ein grosser Magnet für Kooperationen mit anderen relevanten Instituten auf dem Gebiet. So oder so ist es wichtig, dass gute Kontakte zwischen den Musikhochschulen gepflegt werden.

> www.zhdk.ch/forschung

> icst.net

> www.zhdk.ch/forschungsschwerpunkt-musikalische-interpretation-1414

> www.sabre-mt.com

> blog.zhdk.ch/soundingsoil/

> blog.zhdk.ch/trees/

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