Zum Gedenken an Tomas Dratva
Der Vorstand der EPTA Schweiz erinnert sich voller Dankbarkeit an ihren Präsidenten, den Pianisten und Klavierlehrer Tomas Dratva aus Basel, der Anfang Oktober im Alter von 56 Jahren unerwartet verstorben ist. Er soll hier mit seinen Gedanken noch einmal zu Wort kommen.
Tomas Dratva, wie kam es dazu, dass du angefangen hattest, Klavier zu spielen und schliesslich Pianist wurdest?
Meine Eltern waren keine Musiker – mein Vater ist Ingenieur und meine Mutter Chemikerin – aber Musik spielte in unserer Familie immer eine grosse Rolle. Meine Mutter spielte Klavier und mein Vater Geige. Die Cousins meiner Mutter waren Musiker, einer von ihnen ein sehr erfolgreicher Komponist und Bandleader, sodass ich schon von klein auf mit Musik in Berührung kam. Ich wurde zu Konzerten mitgenommen und erlebte ein reichhaltiges kulturelles Leben. Zu Hause stand ein Klavier, auf dem ich ständig spielte. Meine Eltern erkannten schnell, dass ich Unterricht nehmen sollte, und so bekam ich Klavierstunden, zunächst bei meiner Mutter und später an der örtlichen Musikschule bei Verena Haller.
Ich nahm an vielen Wettbewerben teil und gewann mehrere Preise. Im Alter von 13 Jahren gab ich mein erstes richtiges Konzert im Konzertsaal des Radiostudios in Basel; ich spielte Mendelssohns Lieder ohne Worte. 1991, mit 23 Jahren, gab ich mein Debüt in der Tonhalle Zürich: Honeggers Concertino ist ein so humorvolles und jazziges Werk mit einer feinen Orchestrierung – das war eine wunderbare Erfahrung für mich.
Wo hast du Klavier studiert?
Jean-Jacques Dünki war mein Klavierprofessor an der Musikhochschule in Basel; bei ihm habe ich von 1987 bis 1991 studiert. Später habe ich mein Studium zwei Jahre lang in London bei Peter Feuchtwanger fortgesetzt und schliesslich 1995 in Luzern 1995 beim tschechischen Pianisten Ivan Klánsky abgeschlossen.
Gibt es besondere Aspekte, die für die Schweizer Pädagogik einzigartig sind?
Ich glaube nicht. Aber den Kindern werden schon sehr früh viele Möglichkeiten zum Musizieren geboten. Der erste Klavierunterricht ist eher frei und spielerisch als ernsthaft.
Was denkst du über Wettbewerbe?
Als Kind habe ich gerne an Wettbewerben teilgenommen. Später, während und nach meinem Studium, habe ich zwar an einigen internationalen Wettbewerben teilgenommen, aber ich war nicht bereit, mich dem internationalen Wettbewerbstourismus anzuschliessen. Ich habe es vorgezogen, in meiner frühen beruflichen Laufbahn als Konzertmusiker Konzertprojekte vorzubereiten.
Was meine Schüler betrifft, so unterstütze ich sie, wenn sie aus eigener Initiative an Wettbewerben teilnehmen möchten, aber ich dränge sie nicht dazu. Einige nehmen regelmässig an Wettbewerben teil, da sie sehr motiviert sind, sich dafür vorzubereiten. Andere haben daran überhaupt kein Interesse.
Peter Feuchtwanger ist ein guter Freund von mir. Daher weiss ich, dass du eine ausgezeichnete Klaviertechnik hast und vermute, dass du beim Spielen nie Schmerzen hast und dass du weisst, wie man diese vermeidet.
Glücklicherweise habe ich weder beim Üben noch Konzertieren jemals Schmerzen gehabt. Es ist eine meiner wichtigsten Überzeugungen am Klavier, eine gesunde und entspannte Technik zu beherrschen. Das versuche ich zu vermitteln. Sobald Schmerzen auftreten, muss es immer eine Möglichkeit geben, die Spieltechnik zu ändern, um chronische Verletzungen zu vermeiden. Das ist eine sehr wichtige Aufgabe für einen Lehrer.
Ich weiss, dass du eine grosse Vorliebe für zeitgenössische Musik hast. Erzähle uns bitte mehr darüber.
Ich habe viel zeitgenössische Musik aufgeführt, da ich es für wichtig halte, die Musik der Gegenwart zu spielen und zu sehen, was die Sprache von heute zu bieten hat. Die in Italien lebende Schweizer Komponistin Esther Flückiger schreibt beispielsweise in einem freien zeitgenössischen atonalen / tonalen Stil, reich an Jazzrhythmen und einschliesslich vieler Aspekte der erweiterten Klaviertechniken. Ich habe einige Stücke von Esther uraufgeführt und ihre Musik in einem Doppelalbum auf Pianoversal veröffentlicht, meiner Webplattform und meinem Musiklabel für Klaviermusik.
Genau genommen hast du Pianoversal gegründet…
Ich habe 17 Jahre lang, von 1993-2010, im Klaviertrio Animæ gespielt, mit dem wir in unveränderter Besetzung über 100 Klaviertrios in ganz Europa aufführten. Wir waren auch mehrmals auf Tournee in Südamerika. Jedes Jahr gaben wir ein neues Trio in Auftrag. So spielten wir beispielsweise ein spannendes Tripelkonzert, das Peter Breiner, ein in London lebender Dirigent, Komponist und Pianist, speziell für uns komponiert hatte.
Ein weiteres grosses Projekt war die posthume Uraufführung des Klavierkonzerts des schweizerisch-ungarischen Komponisten János Tamás mit dem Kammerorchester Basel, ein wunderbares Konzert, das zu seinen Lebzeiten nie aufgeführt wurde. Tamás starb 1995, und eine Gruppe von Freunden kümmerte sich um sein musikalisches Erbe. Ich habe alle frühen Klavierwerke sowie ein Album mit Kammermusik eingespielt. Tatsächlich ist ein grosser Teil meiner 20 CD-Aufnahmen der Musik des 20. und 21. Jahrhunderts gewidmet.
Ich bin mir sicher, dass du deine Leidenschaft für zeitgenössische Musik mit deinen Schülern teilst.
Ich unterrichte diese Musik meist in Gruppen, da sie so neu, anspruchsvoll und komplex ist. Die Schüler müssen dieses Genre in einen Kontext stellen, und gemeinsam können sie die Klänge und Farben besser erkunden und verstehen. Die Gruppe hilft ihnen, sich bei der Arbeit mit zeitgenössischer Musik nicht verloren und allein zu fühlen. Ich unterrichte auch klassische Musik in Gruppen, da ich fest davon überzeugt bin, dass die Schülerinnen und Schüler sehr davon profitieren, einander zuzuhören. Durch das Spielen in einer Gruppe motivieren sie sich gegenseitig.
Regelmässig organisiere ich pädagogische Projekte, etwa «Bartóks Echo», das Bartóks Musik und zeitgenössischen Komponisten gewidmet war, die Bartók nacheifern. Das letzte Projekt hiess «Schwankende Quinten – Musik von Frauenhand» und befasste sich mit Komponistinnen aus der Romantik und dem Impressionismus sowie mit zeitgenössischer Musik.
Hast du viel klassische Musik gespielt, oder hast du dich hauptsächlich auf die zeitgenössische Szene konzentriert?
Ich habe eine Leidenschaft dafür, neue Musik zu entdecken, egal aus welcher Epoche, und auch Projekte zu einzelnen Komponisten zu verfolgen. So habe ich beispielsweise drei bisher unbekannte Klavierkonzerte von Koželuch aufgeführt, nachdem ich in Musikbibliotheken recherchiert und Originalmanuskripte in Wien und Paris studiert hatte. Ich wurde zu einem Spezialisten für Janáček und spielte sein gesamtes Klavierwerk, einschliesslich des Concertino und Capriccio. Bevor ich seine gesamte Klaviermusik aufnahm, besuchte ich das Janáček-Archiv in Brünn und erhielt alle Originalmanuskripte zur Vorbereitung und zum Studium. Faszinierend war auch, dass ich sogar auf seinem Klavier spielte, einem sehr schönen Ehrbar-Konzertmodell aus dem Jahr 1876. Ich hatte auch das Glück, Liszts Années de Pèlerinage auf Richard Wagners Klavier in Bayreuth aufnehmen zu dürfen: Steinway & Sons aus New York hatte es für die ersten Bayreuther Festspiele gestiftet. Das dieses in einem Museum steht, durfte ich nur nachts auf dem Steinway spielen und aufnehmen; also verbrachte ich die Nächte im Haus Wahnfried, dem Wohnhaus der Familie Wagner. Das war eine seltsame, aber wunderbare Erfahrung.
Offensichtlich bist du auch von alten Klavieren fasziniert.
Das ist eine weitere meiner Leidenschaften, die alte Zeit des Klavierbaus, die von Blüthner, Bechstein, Steinway, Gaveau, Erard, Pleyel und anderen. Ich liebe es, diese alten Klaviere zu spielen. Das Faszinierende daran ist, dass jedes Klavier seinen eigenen Charakter hat, während moderne Klaviere doch eher einheitlich gebaut sind.
Du trittst oft auf, und ich frage mich, ob du jemals diese «Gipfelerfahrung» erlebt hast, wenn die Musik einfach fliesst und du dich quasi ausserhalb davon befindest?
Das Spielen erfordert immer innere und äussere Kontrolle. Ich glaube nicht an das «Sich-selbst-Vergessen» auf der Bühne. Andererseits habe ich diese Art von Erfahrung oft, wenn ich zu Hause Klavier spiele, besonders wenn ich improvisiere. Aber ich würde diese Momente nicht als «ausserhalb davon» bezeichnen, im Gegenteil, sie sind eher «innerhalb davon».
Möge die Erinnerung an Tomas und das Gute, das er bewirkt hat, uns ermutigen, die Liebe zur Musik und zu deren Vermittlung weiterzutragen. À Dieu, lieber Tomas, wir nehmen Abschied von Dir, werden uns aber immer voller Dankbarkeit an Dich erinnern. Wir alle wissen, was wir verloren haben.
