PGM: Mit einem Gratisangebot kann ich nicht konkurrenzieren

In der Sitzung der Parlamentarischen Gruppe Musik PGM vom 13. März ging es um Urheberrecht und Internetpiraterie im Musikmarkt. Der Schweizer Singer-Songwriter Ivo Sidler gab als direkt Betroffener Auskunft.

Ivo Sidler backstage. Foto: © 2013 by Tabea Hüberli

Es wurde noch nie so viel Musik konsumiert wie heute. Die Umsätze der Musiklabel sind aber in den letzten zehn Jahren um 67 % zurückgegangen. Die Einbrüche verlaufen umgekehrt proportional zur Zunahme der Breitband-Internetanschlüsse in den Schweizer Haushalten. Der Bundesrat kam 2010 in seiner Beantwortung des Postulats Savary zum Schutz der Urheberrechte im Internet zur Ansicht, es seien keine zusätzlichen Massnahmen nötig. Diese Einschätzung führte dazu, dass sich Betroffene im Verein Musikschaffende Schweiz zusammenfanden. Bundesrätin Simonetta Sommaruga setzte im letzten Jahr die Arbeitsgruppe AGUR 12 ein, die die aktuelle Urheberrechtssituation prüfen und Lösungsansätze aufzeigen soll.

Den ersten Teil der PGM-Sitzung bestritt Lorenz Haas, Rechtsanwalt und Geschäftsführer von IFPI Schweiz, dem Branchenverband der Schweizer Musiklabel. Er legte die Geschäftspraktiken unlauterer Websites zum Musik-Download und mögliche Gegenmassnahmen dar, etwa das in Frankreich sehr erfolgreich angewandte Warnhinweismodell. (Auffällig viele solcher weltweit operierenden Piraterieseiten haben übrigens ihren Sitz in der Schweiz. Und oft sind renommierte Schweizer Firmen auf solchen Seiten mit Werbung präsent.) Haas betonte, dass es nicht um neue rechtliche Bestimmungen gehe, sondern um die bessere Durchsetzung der bestehenden. Der zentrale Punkt des schweizerischen Rechts, nämlich der straffreie Download, bleibt unangetastet, der strafrechtlich relevante Upload soll aber wirksam bekämpft werden. Die Arbeit in der AGUR 12 beurteilt Haas zum jetzigen Zeitpunkt als eher enttäuschend, da allzu viele Gruppierungen beteiligt seien und die Gespräche dementsprechend unspezifisch verliefen.

Interview mit Ivo Sidler

Im zweiten Teil des Treffens befragte Stefano Kunz, Geschäftsführer des Schweizer Musikrats, den Singer-Songwriter Ivo Sidler. Dieser ist seit 12 Jahren als selbständiger Musiker tätig, gründete 2007 sein eigenes Label und engagiert sich als Vorstandsmitglied im Verein Musikschaffende Schweiz.

Stefano Kunz: Was hat Dich zu Deinem Engagement gebracht?
Ivo Sidler: Ein Beispiel: 20 Minuten hat während Jahren quasi Werbung gemacht für Links, über die man gratis Musik herunterladen kann. Ich habe mich immer gefragt, warum die Musikszene nicht zusammensteht und sich dagegen wehrt. Dem Fass den Boden herausgeschlagen hat dann der Bericht des Bundesrats, der keinen Handlungsbedarf sah. Im Verein Musikschaffende Schweiz empfanden wir es als Affront und mangelnde Wertschätzung, dass unser Staat es den Leuten ermöglicht, unsere Arbeit gratis beziehen zu können.

Warum ist es gerade der Gratisdownload, der Dir ökonomisch so weh tut?
Warum täte es der Swatch oder der Novartis ökonomisch so weh, wenn die Konsumenten nichts für ihre Produkte bezahlen würden? Solange die Leute etwas gratis beziehen können, werden sie bestimmt nicht dafür zahlen. Mit einem Gratisangebot kann niemand von uns konkurrenzieren.
Ich habe letztes Jahr mit meinem neusten Song an der Ausscheidung für den European Song Contest teilgenommen, nicht unbedingt wegen des ESC, vor allem aber deshalb, weil das heute eine der letzten Möglichkeiten hierzulande ist, mit Musik ins Fernsehen zu kommen. Das Komponieren, Produzieren, Aufnehmen, Abmischen plus die TV-Show hat letztlich insgesamt 27 000 Franken gekostet. Am Tag nach der Ausstrahlung konnte man den Song legal bei iTunes kaufen. Aber am gleichen Tag war er auch bereits auf verschiedenen Gratisseiten illegal erhältlich. Laut Abrechnung habe ich diesen Song bis heute etwa 500 Mal verkauft. Von 500 x 1.60 Franken kann ich nicht 27 000 Franken refinanzieren.
Jetzt kann man natürlich sagen, ich hätte schlecht kalkuliert. Es kann mir aber auch niemand sagen, wie viele den Song heute haben, ohne dafür bezahlt zu haben. Hätten wir gewonnen, wären wir nach Aserbaidschan eingeladen worden. Wir sind Zweite geworden. Das ist ein Risiko, das ich einzugehen bereit bin. Aber es ist ein ganz anderes Risiko, wenn ich damit leben muss, dass die Leute in diesem Land die Wahl haben, ob sie den von mir definierten Preis für ein Album oder einen einzelnen Song bezahlen wollen, oder ob sie das eben irgendwo auch gratis beziehen können.

Das Internet bringt also eine klare Wettbewerbsverzerrung?
Nicht das Internet als solches. Aber die gesetzlichen Regelungen. Allein die Tatsache, dass man die Leute glauben lässt, sie könnten unsere Arbeit gratis haben, widerspricht allem, was sonst in unserem Leben alltäglich ist und worauf sich unsere Gesellschaft in einem Grundkonsens geeinigt hat – nämlich dass wer eine Leistung erbringt, für diese Leistung auch zu entschädigen ist.
Ich bin nicht grundsätzlich gegen Gratisangebote. Das sind unternehmerische Entscheidungen. Wenn jemand 50 000 Franken in eine CD steckt, ein Label findet, das nochmals so viel für Marketing und Promotion aufwendet, und dann das Produkt letztlich gratis anbieten will, dann soll man das von mir aus machen können. Ich aber will das nicht. Und viele andere mit mir auch nicht. Das Urheberrechtsgesetz besagt, dass wir als Urheber alleine darüber entscheiden können, wem und zu welchem Preis wir unser Produkt anbieten. Es geht deshalb nicht an, dass die Konsumenten sagen können: Das interessiert uns nicht, wir bekommen es ja eh gratis.
Ich gehe ab und zu in Schulklassen und frage konkret: Wo kauft ihr eure Musik? Die Jugendlichen lachen mich nur aus. Sie werden in dieser Einstellung bestärkt durch die gesetzliche Regelung, dass der Download – woher auch immer – legal ist. Nicht alle bei uns finden das richtig. Diese Haltung mag nicht opportun sein, das ist uns klar, aber eigentlich beginnt das Problem schon dort. Wenn man diesen Umstand jetzt nicht mehr zu ändern bereit ist, dann muss man wenigstens endlich bei all jenen ansetzen, die unsere Arbeit unerlaubt zur Verfügung stellen.

Gibt es aus deiner Sicht eine Ideallösung?
Wir wollen keine subventionierte «Randgruppe» auf Staatskosten werden und deshalb wollen die meisten von uns auch keine Flatrate, durch die letztlich jeder Bürger gezwungen wäre, für etwas zu bezahlen, das er unter Umständen gar nicht will.
Die Lösung muss also sein, dass wir unseren Markt wieder zurückbekommen, dass wir den Preis für unsere Arbeit wieder selber bestimmen und unser Geschäft so führen können, wie es jedem Gewerbetreibenden in diesem Land zusteht. Wenn der Preis zu hoch ist und unsere Songs deshalb niemand kauft, haben wir wohl schlechte Songs geschrieben. Das ist unser geschäftliches Risiko, mit dem jeder Unternehmer leben muss. Es legitimiert aber noch lange niemanden, unsere Arbeit ungefragt und vom Staat abgesegnet gratis zu beziehen.
Zudem, auch Streaming ist nicht für jeden Urheber das Zukunftsmodell, denn lange nicht jeder Urheber ist gleichzeitig auch noch Interpret. Als Urheber müsste man pro
Monat 10 370 000 Downloads generieren, um auf das minimale Grundeinkommen von 2800 Franken zu kommen. In der Schweiz ist das schlicht eine Illusion.

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