Suggestiver Sog

Othmar Schoecks Oper «Das Schloss Dürande» erklang in der Fassung Micieli/Venzago am 31. Mai und 2. Juni 2018 im Stadttheater Bern erstmals konzertant.

Manchmal kann eine eher ungewöhnliche Entstehungsgeschichte eines Werkes den Zugang zu ihm verstellen – gerade auch, wenn sie als Rechtfertigung seiner Existenz beschworen wird. Othmar Schoecks Oper Das Schloss Dürande nach einer Geschichte Joseph von Eichendorffs lag lange in den Rühr-mich-nicht-an-Schubladen der Musikgeschichte. Sie war während des zweiten Weltkrieges im Berlin der Nazis und in deren Auftrag zur Uraufführung gekommen. Ihr Libretto stammt überdies vom heute vollkommen unbekannten Hermann Burte, einem wenig feinsinnigen Blut-und-Boden-Poeten; es ist voller plumper Metaphern und Reime eher groben Zuschnittes.

Um die Musik nicht ganz verloren zu geben, hat ein Team rund um Thomas Gartmann, Leiter der Forschungsabteilung der Berner Hochschule der Künste, eine partielle Neutextierung gewagt. Im Vorfeld der erstmaligen konzertanten Aufführung dieser Bearbeitung durch den Schriftsteller Francesco Micieli und den Dirigenten Mario Venzago ist man deshalb medial vor allem mit Fragen um die historische Stellung des Werkes und seine Wiederaufführbarkeit konfrontiert worden.

Da ist es verständlich, wenn man sich mit einem nicht geringen Mass an Muss-das-sein-Skepsis und vielen sonstigen Einwänden im Berner Stadttheater einfand: Was soll so ein Projekt gerade jetzt, wo rechtsnationale Strömungen in Europa eher wieder erstarken? Wird da nicht versucht, zur falschen Zeit das falsche Stück vom Verdacht nationalsozialistischer Vereinnahmungen reinzuwaschen? Könnte man diese Ressourcen nicht ebenso gut endlich einmal beispielsweise in eine erste szenische Umsetzung des gesellschaftlich weitaus aktuelleren Magic Ring des Tessiners Francesco Hoch investieren? Und kann es gelingen, einer Oper Relevanz zu geben, deren Tonsprache schon bei ihrer Entstehung aus der Zeit gefallen schien?

Bereits nach wenigen Takten scheinen solche Themen allerdings weit weg. Das Berner Symphonieorchester unter der Leitung Venzagos, der Chor von Konzert Theater Bern und eine ganze Reihe exzellenter Solistinnen und Solisten (in kleineren Rollen auch aus den Reihen des Chores) füllen den Bühnenraum bis weit in hintere Höhen. Musik und Geschichte erzeugen auch ohne szenische Umsetzung einen suggestiven Sog, dem man sich kaum entziehen kann.

Autonomes Kunstwerk?

Micieli hat einerseits lausig getexte Zeilen des Librettos durch Passagen aus Eichendorff-Werken ersetzt und andererseits unsangliche Holprigkeiten durch Wortumstellungen und andere Retuschen entschärft. Gerade die Mischung aus Eichendorff-Zitaten, die politisch oder ästhetisch inakzeptable Stellen des ursprünglichen Librettos ersetzen, und den in diesem Kontext seltsam sperrig wirkenden Originalzeilen Burtes machen dieses Schloss Dürande zu einem rätselhaften, verschränkten und in seinen tieferen dramatischen Schichten widersprüchlichen Werk.

Hinzu kommt, dass mit den Retuschen auch die in der Romantik unzählige Male durchgekauten Konflikte der Geschichte einen eigenen Reiz bekommen. Auf der individuelle Ebenen: Der Bruder glaubt, die Ehre der Familie wiederherstellen zu müssen, und bringt seine Schwester und ihren gesellschaftlich höhergestellten Liebhaber um – befangen in einer Fehleinschätzung über die Aufrichtigkeit der Gefühle des Grafen, die an Motive griechischer Tragödien erinnert. Und auf der damit verflochtenen gesellschaftlichen Ebene: Die Zerstörung des Schlosses Dürande wird zum 19.-Jahrhundert-Topos der Konflikte zwischen revolutionären Strömungen und adeligen Oligarchien – samt finalem Selbstmordattentat.

Die Absicht des Projektes mag musikhistorisch motiviert gewesen sein. Das Resultat ist allerdings ein anderes: Es erinnert ein wenig an auch schon wieder etwas der Aktualität entglittene postmoderne Verfahren der Intertextualität. In das neue Libretto verwoben ist denn etwa das Eichendorff-Gedicht In einem kühlen Grunde. Im Deutschland der Machtergreifung Hitlers haben es die Comedian Harmonists, wegen «nichtarischer» Mitglieder mit einem Auftrittsverbot belegt, äusserst populär gemacht. So sickern ständig externe Assoziationen in die Neufassung ein.

Man wird dem revidierten Schloss Dürande wohl nur zu seinem Recht verhelfen, wenn man es von den Umständen seiner Entstehung und Umarbeitung löst und als autonomes Kunstwerk wahrnimmt. Dass mit dem Rehabilitationsversuch so intensiv auf die Entstehungsgeschichte verwiesen wird, könnte ironischerweise dazu führen, dass es zweimal aufgrund eines Missverständnisses scheitert: zum einen zur Zeit seiner Uraufführung beim Versuch, Vereinnahmungen zu vermeiden; zum andern mit Blick auf die Neufassung, beim Versuch, diese als Befreiung von historischen Makeln anzudienen. Interessant zu sehen sein wird, wie der Regisseur Ansgar Haag eine geplante szenische Umsetzung – sie soll 2019 im Staatstheater Meiningen realisiert werden – angehen wird. Wird dem Schloss Dürande dort ein Korsett konventionellen Musiktheaters geschnürt und damit der moralisch-didaktische Impetus des Projektes betont, oder werden sich die Brüche in der visuellen und theatralischen Sprache fortsetzen?

Bildlegende

Mario Venzago probt mit dem Berner Symphonieorchester, mit dem Chor von Konzert Theater Bern und den Solisten (stehend Uwe Stickert und Sophie Gordeladze) im Stadttheater Bern.
Foto: Konzert Theater Bern

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