Die Vokalszene lebt

Mit zahlreichen Workshops und Konzerten eröffnete die Fachmesse chor.com die Saison 2021/22. Die realen Begegnungen waren eine Freude, auch wenn durch die lange Pause unweigerlich Lücken entstanden sind.

Die Audi-Jugendchorakademie brachte 16 Uraufführungen zu Gehör. Foto: Büro Monaco,Foto: Rüdiger Schestag,Foto: Rüdiger Schestag

Ein ermutigendes Signal in die Chorszene sandte der Deutsche Chorverband mit der erfolgreich durchgeführten chor.com. Die verunsicherte Branche konnte sich an der grossen Fachkonferenz in Hannover – wenn auch unter Schutzvorgaben wie 3G – endlich wieder realiter treffen, austauschen und gegenseitig bestärken. In mehr als 270 Workshops und Reading Sessions ging es um Themen wie intergenerative Chorarbeit, Singen mit Kindern, Probenmethodik oder Chorwerke in Kleinbesetzung. Nichtmusizierende Ensembleverantwortliche besprachen weitere Bereiche aus dem heterogenen Feld des Amateursingens: der Generationenwechsel in Strukturen, chorspezifische Zielgruppenarbeit oder Diversität.

Wohin nach dem Stillstand?

Stephan Doormann, künstlerischer Leiter der chor.com, sprach von einem positiven Signal der Vokalszene, die nach der langen Zeit des Stillhaltens verantwortungsbewusst das gemeinsame Singen wieder übe, zeige und dessen gesellschaftliche Relevanz betone. Kontrovers diskutierten die fast eintausend Teilnehmerinnen und Teilnehmer, wie der Neustart zu gestalten sei: zurück zu einem Vor-Corona-Zustand oder mit Nachdruck hin zu einer Chorarbeit, in der sich der gesellschaftliche Wandel nachhaltig wiederfindet? Noch nicht sicher ist man, ob das geneigte Publikum die zahlreich geplanten Veranstaltungen denn auch aufsuchen wird; auch besteht die Sorge, dass sich insbesondere ältere Chorsänger und Chorsängerinnen nicht wieder einfinden werden, um ihre jeweilige Chorheimat am Leben zu erhalten. Die vergangenen «verlorenen» 18 Monate werden sich, so die geäusserte Befürchtung, vor allem im Kinderchorbereich als gravierendes Problem der Nachwuchsrekrutierung bemerkbar machen.

Vom Norden lernen

Im Fokus standen in diesem Jahr alle Aspekte nordischer Chormusik: In Masterclasses (u. a. mit Grete Pedersen aus Norwegen) und Reading Sessions konnte neue Chorliteratur und -arbeit aus Skandinavien vertieft kennengelernt werden. An einem Panel berichtete u. a. Florian Benfer (Gustav-Sjökvist-Kammerchor Stockholm), welche Vorteile es mit sich bringt, wenn Komponisten Chorerfahrung besitzen. In Dänemark und Schweden wird (noch) selbstverständlich an kleinen und grossen Anlässen gemeinsam gesungen, es existiert ein reichhaltiges Repertoire, welches in der Primarschule angelegt wird und die Generationen verbindet.

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Norwegen-Workshop mit Grete Pedersen

Konzertfreuden und Messevielfalt

Ein trotz pandemiebedingter Einlasskonzepte umfangreiches Programm mit 33 Konzerten wurde von professionellen Ensembles wie dem Norwegian Soloists’ Choir, dem Collegium Vocale Gent, aber auch High Talents wie dem Landesjugendchor NRW und dem Rundfunk-Jugendchor Wernigerode bestritten. In den Stadtkirchen Hannovers sowie dem NDR-Rundfunksaal und in der Hochschule konnten glückliche Konzertbesucher auch ganz neue Chormusik geniessen: 16 Uraufführungen junger Komponistinnen und Komponisten hatte die Audi-Jugendchorakademie im Gepäck, facettenreich und auf hohem Niveau musiziert. Der Leipziger Synagogalchor wiederum stellte Meisterwerke der Synagoge und neu arrangierte jiddische Lieder in einem berührenden und zugleich unterhaltsamen Programm zusammen.

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52 Aussteller waren an der Messe präsent.

Die dem Kongress angeschlossene Messe mit 52 Ausstellenden wurde rege in Anspruch genommen, um sich mit Literatur auszustatten, über Dos and Don’ts von Online-Proben zu diskutieren und die Angebote von Verbänden kennenzulernen. So wird der Bundesmusikverband Chor & Orchester auch 2022 wieder Mittel für Chöre im Programm «Neustart Amateurmusik» bereitstellen.

Die viertägige Veranstaltung gab ein wichtiges Aufbruchssignal in einer durchaus ambivalenten Situation und lässt hoffen, dass die europäische Chorszene zu neuer alter Stärke zurückfindet.
 

Mit einem digitalen Ticket sind ausgewählte Veranstaltungen online abzurufen:
https://www.chor.com/digitalticket/

DLF-Kultur sendet Programmpunkte seit dem 5. Oktober 2021:
https://www.deutschlandfunkkultur.de

Die nächste Ausgabe der chor.com findet vom 21. bis 24. September 2023 in Hannover statt.
 

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