Das mittelalterliche Rabab

Anfang November fand an der Hochschule der Künste Bern (HKB) die internationale interdisziplinäre Tagung «Das mittelalterliche Rabab. Ein Streichinstrument mit arabisch-islamischer Vergangenheit und Gegenwart» statt.

Der pandemischen Situation angepasst wurde ein hybrides Format gewählt. Die Veranstaltung vor Ort wurde gleichzeitig online übertragen, drei Referenten zugeschaltet, und die Diskussion war unter allen Teilnehmenden möglich, waren sie nun physisch oder virtuell präsent.

Der Haupttitel der Tagung benennt bereits konkret ihr konzeptionelles Zentrum: das im mittelalterlichen Europa bis 1300 gespielte Rabab, ein heute für die europäische Musiktradition weitestgehend verlorenes frühes Streichinstrument. Seine Wiedereingliederung in die historische Aufführungspraxis innerhalb der Alten Musik ist eines der Hauptanliegen des an der HKB angesiedelten und vom Schweizerischen Nationalfonds unterstützten interdisziplinären Forschungsprojekts «Rabab & Rebec. Erforschung von fellbespannten Streichinstrumenten des späten Mittelalters und der frühen Renaissance und deren Rekonstruktion». Die erste Projekttagung konnte nun mit einer breiten Kontextualisierung der zahlreichen Text-, Bild- und musikethnologischen Quellen zu diesem Ziel beitragen – nicht zuletzt durch die im Untertitel der Tagung explizit genannte Verortung des Streichinstruments in seiner arabisch-islamischen Vergangenheit und Gegenwart.

Dazu stellten die in verschiedenen Disziplinen beheimateten Referentinnen und Referenten mit insgesamt 15 Vorträgen ein breites Spektrum miteinander verbundener Fragestellungen aus oft fliessend ineinander übergehenden Forschungsfeldern vor: der historischen Musikwissenschaft, der Musikethnologie, der Musikpraxis, der Musikikonografie, der Kunstwissenschaft und der Linguistik. Es reichte von der Etymologie des Begriffs, den Verbreitungswegen und dem Funktionszusammenhang des Instruments sowie dessen spielpraktischen und klanglichen Eigenschaften über seine bildlichen Darstellungen in der Kunst bis in die heutige Praxis der nordafrikanischen Andalusi-Musik.

Ursprünge und Rekonstruktion

Eröffnet wurde die Tagung durch Thomas Gartmann (Bern), Projektverantwortlicher und Leiter der Forschung der HKB, der den Projektleiter Thilo Hirsch (Bern) als Spiritus Rector des Forschungsprojekts und der Tagung vorstellte. Nach dessen Einführung in das Thema widmete sich eine Sektion den arabisch-islamischen Ursprüngen des Rabab, die in Ermangelung von erhaltenen Originalinstrumenten aus den grundlegenden Textquellen rekonstruiert werden müssen. Unter dem Gesichtspunkt einer musikalischen translatio studiorum gab Anas Ghrab (Sousse) zu Beginn einen Überblick über diese Textquellen und die Mechanismen eines solchen Wissenstransfers über Raum und Zeit hinweg. Dass philologische Detektivarbeit gefragt ist, wo ein Begriff die Vorstellung eines Instruments wesentlich prägt, führte Salah Eddin Maraqa (Freiburg) eindrücklich vor. Er präsentierte auf der Basis umfangreicher kritischer Quellenstudien neue Erkenntnisse zur Etymologie des Begriffs Rabāb, während Ioana Baalbaki (Târgu Mureș) die Stellung des Rabāb innerhalb der Musiktheorie der Zeit anhand von al-Fārābīs «Grossem Buch der Musik» beleuchtete, dem Kitāb al-Mūsīqā al-kabīr.

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Al-Fārābī ist es auch, der das Rabāb im 10. Jahrhundert erstmals explizit als gestrichenes Saiteninstrument erwähnt, weshalb die Verwendung des Streichbogens und dessen Verbreitungswege neben der charakteristischen vertikalen Spielhaltung von Laura de Castellet (Barcelona) in der Sektion zu den unter musikpraktischen und -theoretischen Fragestellungen herangezogenen Text- und Bildquellen in den Fokus rückte. Saskia Quené (Bern) hingegen verortete schematische Darstellungen des Monochords innerhalb der Musiktheorie mit einem kunstwissenschaftlichen Zugang als Teil kosmologischer Harmonielehre und rief damit ins Gedächtnis, dass die Musik nach mittelalterlicher Auffassung zum Quadrivium der Artes liberales gehörte.

Methodologisch ausgerichtete Round-Table-Diskussionen rundeten an beiden Tagen das vielseitige Programm ab, indem sie thematisch an den jeweils letzten Vortrag anknüpften. Am ersten Tag war dies ein gemeinsamer Vortrag von Thilo Hirsch (Bern) und Marina Haiduk (Bern), der den Entwurf eines methodisch-praktischen Leitfadens für die Rekonstruktion verlorener Musikinstrumente vorstellte. Ihr Vorschlag war als kritischer Gegenentwurf zur bisher gängigen Praxis einer unhinterfragten Übernahme morphologischer Gegebenheiten aus bildlichen Darstellungen angelegt. Wie diese unsichere Basis für das Anliegen einer praktischen Instrumentenrekonstruktion genutzt werden kann, wurde im Spannungsfeld der Musikikonografie zwischen Organologie und Kunstwissenschaft kontrovers diskutiert, zunächst in den drei Korreferaten von Antonio Baldassarre (Luzern), Theresa Holler (Bern) und Karolina Zgraja (Zürich), dann im anschliessenden Round-Table. Die im Prozess befindliche Aushandlung konnte – ihrer Natur gemäss – nicht abschliessend geklärt werden. Die Benennung von Problemfeldern und der interdisziplinäre Dialog sind jedoch als Voraussetzungen dafür aufgezeigt worden, dass sich fruchtbare Perspektiven entwickeln, wo die Deutungshoheit des eigenen Fachs zugunsten eines notwendigen Austauschs hintangestellt werden kann.

Vorkommen und Spielpraxis

Der zweite Tag begann mit einem Vortrag der Projektmitarbeiterin Marina Haiduk die eine Auswahl an Darstellungen vertikal gehaltener kleiner Streichinstrumente aus dem 11. bis 13. Jahrhundert vorstellte und auf ihre geografische Verbreitung und ihren Funktionszusammenhang befragte, wobei ihr Vorkommen in einigen wenigen Sujets auffällig war. Thilo Hirsch analysierte die Rabab-Darstellungen in den Cantigas de Santa María, Prachthandschriften aus dem Umfeld Alfonsos X., die Aufschluss über die im 13. Jahrhundert auf der iberischen Halbinsel verbreiteten Typen des europäischen Rababs mit Felldecke geben. Das aus einer der Miniaturen von Hirsch selbst rekonstruierte Rabab wurde erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt und im Spiel zur musikpraktischen Verwendung befragt.

Die folgenden beiden Sektionen mit Martin Kirnbauer (Basel) und Britta Sweers (Bern) als Chairs widmeten sich dem Rabāb als Teil der Musikpraxis im heutigen Nordafrika bzw. dessen jüngster Vergangenheit (Mohamed Khalifa, Frankreich, und Anis Klibi, Tunis). Unter der Fragestellung einer Verwandtschaft der Instrumente stellten Amedeo Fera (Leuven) und Vincenzo Piazzetta (Lamezia Terme) die gestrichene kalabrische Lyra und ihre byzantinischen Ursprünge vor. Die beiden anschliessenden Vorträge nahmen Zupfinstrumente mit Felldecke in den Blick: Emin Soydaş (Çankırı) untersuchte das türkische Kopuz, während Sylvain Roy (Frankreich) die Zupfinstrumente vom Sarinda-Typus zum afghanischen Rubāb in Beziehung setzte. Als Überleitung zu diesen ethnomusikologischen Fragestellungen fungierte der Vortrag von Ed Emery (London), der sowohl den Einfluss der Musik von al-Andalus in der europäischen Tradition beleuchtete als auch kleine Streichinstrumente als Teil nomadischer Kulturen vorstellte, die sich bis zu den reisenden Troubadouren des Mittelalters verfolgen lassen.

Ein intradisziplinärer Dialog zwischen der Ethnomusikologin Britta Sweers (Bern) und Cristina Urchueguía (Bern), Vertreterin der historischen Musikwissenschaft, nahm schliesslich die Zuständigkeiten, Gemeinsamkeiten und Unterschiede beider (Sub )Disziplinen in den Blick. Die unter verschiedenen Gesichtspunkten betrachteten Fragen, z. B. zur Historizität und Authentizität, wurden schliesslich zum Anlass genommen, die Tagung mit einer auf das Plenum ausgeweiteten Diskussion inhaltlich abzurunden. In einer informellen Jamsession kamen schliesslich die tunesischen und marokkanischen Rabābs sowie die vorgestellten Rekonstruktionen europäischer Streichinstrumente (Rabab und Lyra) zu ihrem klanglichen Recht.

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Die Tagungsbeiträge werden in überarbeiteter Form in einem Sammelband bei der Edition Argus veröffentlicht. Eine zweite Projekttagung ist bereits in Planung.

https://www.hkb-interpretation.ch/projekte/rabab-rebec

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