Inspiriert von Süden und Norden

Mit einem Festival feierte der Zupfmusik-Verband Schweiz am 2. und 3. April in Zürich das volle Jahrhundert seines Bestehens. Das Verbandsorchester zupf.helvetica brachte eine Auftragskomposition von Ramon Bischoff zur Uraufführung.

Integration funktioniert für frisch aus dem Ausland Zugezogene am einfachsten, wenn sie sich in einem Verein engagieren. Man lernt Leute kennen, unternimmt gemeinsam etwas und kann sich als zupackende, sprich gesellschaftlich nützliche Person auszeichnen. Die Schweiz ist ein Land der Vereine. Doch dem war offenbar nicht immer so, wie ein im Zürcher Pfarreizentrum Johanneum ausgestellter, 100-jähriger Artikel der Zeitschrift Moderne Volks-Musik zeigt. Darin werden die Schweizer als Volk von Eigenbrötlern beschrieben, die für das Vereinswesen völlig ungeeignet seien.

Der Artikel widerspiegelt den Groll, den der Autor offenbar nach 10-jähriger Odyssee hegte. So lange hatte es nach den ersten Initiativen nämlich gebraucht, bis der Schweizerische Mandolinisten- und Gitarristenbund am 13. November 1921 aus der Taufe gehoben werden konnte. Wesentlichen Anteil am schliesslich doch noch glücklichen Zustandekommen hatten denn auch Zuwanderer, wie die SP-Stadträtin in spe Simone Brander in ihrer sonntäglichen Festrede zum 100-Jahr-Jubiläum der inzwischen in Zupfmusik-Verband Schweiz umbenannten Vereinigung unterstrich. Das war kein Zufall. Wie in der von Vreni Wenger-Christen verantworteten Festschrift schön dargelegt wird, entstanden Zupfensembles und -orchester in der Schweiz durch Anregung von aussen. Von Süden her brachten Einwanderer aus Italien das gesellige Musizieren auf Zupfinstrumenten über den Gotthard, vom Norden strahlte die Wandervogel-Bewegung zu uns aus. Gemeinsam war beiden Einflüssen, dass sie breite Bevölkerungsschichten ansprachen, die von den Konservatorien und dem bürgerlichen Musikleben ausgeschlossen waren.

Diese Ursprünge sind bis heute spürbar. So wurde etwa das Mandolinen-Orchester Amando Zürich, eines jener Ensembles, die den Festakt am Sonntagmorgen musikalisch umrahmten, im Jahr 1910 als Trämler-Orchester gegründet. Es waren und sind Laien, die mit Hingabe und unter professioneller Leitung Erstaunliches leisten. Was sich im Vergleich zu damals geändert habe, sei die Breite der Bewegung, erwähnte Verbandspräsidentin Sandra Tinner in ihrer unterhaltsamen Festansprache. Waren es bei der Gründung 22 Vereine, die sich zusammenschlossen, besteht der Verband heute aus sieben Orchestern und 30 Einzelmitgliedern. Das Festival war denn auch vor allem ein Familientreffen. Man kennt sich, tauschte Erinnerungen und Anekdoten aus.

«Schwärme» – ein Abenteuer

Man solle jetzt aber nicht glauben, der Verband schaue vor allem rückwärts. Am Samstag wurde ein nicht unbeträchtlicher Teil des musikalischen Festivalprogramms von der Jugend bestritten. Zupforchester und -ensembles der Musikschulen Zürich, Baar, Stans, Horgen, Basel und Uster-Greifensee zeigten, dass begeisterter Nachwuchs nachrückt. Und mit dem 2017 gegründeten, von Sonja Wiedemer und Christian Wernicke geleiteten Verbandsorchester zupf.helvetica steht ein Ensemble bereit, das diesen Nachwuchs aufnehmen und ihm eine Perspektive bieten kann.

zupf.helvetica will die Schweizer Zupfmusik national und international vertreten und setzt dabei auf die Strategie, das Repertoire durch Kompositionsaufträge zu erweitern. Ging der Auftrag 2019 für das erste solche Projekt mit Anina Keller noch an eine Spezialistin des Genres, so kommt Ramon Bischoff für das diesjährige aus einer gänzlich anderen musikalischen Ecke. Der als Toningenieur arbeitende Musiker experimentiert häufig mit alternativen Stimmungssystemen und schreibt auch viel elektroakustische Musik. Die Klangwelt des Zupforchesters war für ihn Neuland. Das Ergebnis der Zusammenarbeit, das am Sonntag uraufgeführte Stück Schwärme, war somit wohl für beide Seiten ein Abenteuer.

Bischoff arbeitet in seiner Komposition mit Klangeffekten, die für viele ungewohnt sein mögen, trotzdem hat er genau hingehört und den Klangkörper effektiv und adäquat genutzt. Der Titel spielt auf das Schwarmverhalten von Vögeln oder Fischen an, die sich scheinbar chaotisch durcheinanderbewegen und doch plötzlich sehr koordiniert agieren und gezielt die Richtung wechseln. Dabei wird das Tremolo, das Mandolinen-Klischee schlechthin, passend für das chaotische Durcheinander eingesetzt, während klare Rhythmen den Satz zwischendurch ordnen. Leicht abweichende Stimmungen treffen auf temperierte Stimmung und erzeugen Schwebungen, die sich wiederum mit Klopf- und Kratzgeräuschen mischen. Das Ergebnis ist eine interessante Klanglandschaft, die dem Instrumentarium Ungewohntes entlockt. Einzig der noch hinzugezogene Kontrabass deutet an, dass einem reinen Zupforchester doch einige klangliche Grenzen gesetzt sind.

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