Festival der Chöre in Gossau

An zwei Maiwochenenden fand das Schweizer Gesangsfestival (SGF) endlich wieder statt, sieben Jahre nach dem letzten in Meiringen. Rund 9000 Teilnehmende repräsentierten die vielfältige heimische Chorlandschaft.

Unmittelbar beim Bahnhof betritt der Gast die Festmeile durch ein grosses, beschriftetes Tor; als «Festival der kurzen Wege» wird dieser Anlass angekündigt. Es fühlt sich an, als beträte man das Gelände irgendeines Volksfests, eines Schwing- oder Jodelfests zum Beispiel. Es gibt Wurst- und Getränkebuden, Glace und andere bodenständige Kost.

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Ältere Herren sitzen bei Weisswein oder Bier beisammen und stimmen ein Volkslied an. Ein grosses Festzelt wartet auf Musikbegeisterte, und mitten auf der Festwiese erhebt sich ein veritables Zirkuszelt. Weitere Konzertlocations sind um das Gelände herum gruppiert. Am Nachmittag des ersten Tages ist noch nicht viel los. Die Maisonne brütet stärker als zu dieser Jahreszeit üblich und die Schweissperlen glitzern auf den Stirnen der Chorherren.

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Von Puzzle-Konzerten bis Obertonsingen

Das Auffahrtswochenende ist traditionell ein festivalintensives Datum. Nachdem das zweijährlich stattfindende Europäische Jugendchorfestival im vergangenen Jahr – wenngleich in verkleinerter Form – stattfinden konnte, war dieser Zeitraum heuer für das Festival der Chöre und das Schweizer Kinder- und Jugendchorfestival (Skjf) frei. Beide Veranstaltungen fanden somit gleichzeitig statt, das Skjf unter dem Motto «Save the singing planet» vom 26. bis 29. Mai in Winterthur. Das Schweizer Gesangsfestival machte aus der Not eine Tugend. Es stellte buchstäblich eine Verbindung zwischen den Festivalorten her und erfand mit dem generationenübergreifenden Singen kurzerhand ein neues Format: Am Freitag, 27. Mai, brachte ein Singzug diverse Kinder- und Jugendchöre von Winterthur nach Gossau; diese führten zusammen mit Erwachsenenchören sogenannte Puzzle-Konzerte auf.

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Ein breites, viele Aspekte des Singens umfassendes Angebot ist inzwischen bei grossen Chorfestivals üblich. Das Wochenende vom Freitag, 20., bis Sonntag, 22. Mai, sowie das Auffahrtswochenende gehörten in Gossau den rund 340 Chören, 9000 Sängerinnen und Sängern und Chorverbänden aus allen Kantonen. Es gab 125 Konzerte an 9 Veranstaltungsorten zu geniessen, darunter Festkonzerte und Gottesdienste. Auf den Singinseln konnten sich Ensembles spontan im Freien zeigen und hören lassen. Dazu kamen ab halb zehn jeweils die sehr beliebten Konzerte vor Expertinnen und Experten. Hier liessen sich die Chöre von Fachleuten objektiv beurteilen und holten sich Ratschläge zur Verbesserung ihres sängerischen Tuns. Zeitgleich gab es täglich «Begegnungskonzerte», in denen das Miteinander von Chören im Zentrum stand – Begegnung ist eines der Grundprinzipien des Festivals. Das gemeinsame Singen mit dem Publikum wurde in den Nachmittagskonzerten gepflegt.

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Rund 1500 Schülerinnen und Schüler der Gossauer Schulen beteiligten sich am SGS – eine Premiere in der Geschichte des Schweizer Chorwesens.

Auch die pädagogische Schiene kam nicht zu kurz. In Schnupperateliers konnte man sich von Marcello Wick in die Geheimnisse des Obertonsingens einweihen oder von Nadja Räss die Jodeltechnik beibringen lassen. Unter Anleitung von Bliss, der erfolgreichen Schweizer A-cappella-Band, konnten Ensembles an der musikalischen Umsetzung eines Songs, der Performance, dem Ausdruck und der Bühnenpräsenz arbeiten.
Montag bis Mittwoch waren «Gossauer Schülertage». Die lokalen Schulen veranstalteten ihr eigenes Festival mit Proben und Konzerten.

Vom Auftakt bis zur Heimreise

Zum Festivalstart war viel Show und Hochklassiges zu erleben. Die Latte der Singkultur wurde gleich am ersten Tag hoch angelegt. Im Festkonzert in der Andreaskirche gaben sich die beiden Formationen Singfrauen Winterthur (Leitung Franziska Welti) und Cantaurora (Peter Appenzeller) ein Stelldichein. Der Frauenchor überzeugte unter Weltis suggestiver Zeichengebung mit eingängigen Arrangements und einer untadeligen Intonation. Mit einem Liederblock aus der Ukraine setzten sie ein Zeichen der Solidarität. Peter Appenzeller und sein Spitzenchor legten den Schwerpunkt auf Bündner Lieder. Was hier an Feinheiten, Piani und Dynamik geboten wurde, war zum Staunen. Ein Lied interpretierten die beiden Chöre gemeinsam und das Publikum wurde auf humorvolle Art zum Mitsingen animiert.

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In der abendlichen Aufzeichnung für die Musikwelle SRF im Zirkuszelt waren vier Spitzenchöre zu erleben. Nach dem gemeinsam gesungenen Festivalsong (Komposition Guido Helbling) traten abwechslungsweise der bezaubernde Kinder- und Jugendchor Coro Calicantus aus Locarno, der Chœur des Armaillis de la Gruyère mit berührenden Volkslied-Arrangements, das ambitionierte Consonus Vocalensemble und der hochmusikalische Bündner Jugendchor auf (nachzuhören auf: https://www.srf.ch/audio/so-toents).
Hoher Besuch war am Samstag an der Eröffnung zu verzeichnen. Im Beisein von Bundesrätin Karin Keller-Sutter und viel Lokalprominenz moderierte Beni Thurnheer im Festzelt eine abwechslungsreiche Show.

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Was dieses schweizerische Gesangsfest aber ausmacht, sind die unzähligen Sängerbünde, Männer- und Frauenchöre, die jahraus, jahrein eine tolle Basisarbeit leisten. Abends um acht warteten die Mitglieder des Männerchors Sängerbund Meiringen am Bahnhof auf den Zug nach Hause. Müde, aber glücklich berichteten sie von ihrem Singen vor Experten: «Es lief sehr gut, fast zu gut. Es hat alles so geklappt, wie wir es uns vorgenommen hatten», sagte voller Stolz einer der Sänger.

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