Energiegeladen durch den Aargau

Das Jugend-Sinfonieorchester Aargau (JSAG) und die Klezmer-Band Otrava sind mit dem Konzertprogramm «Karma» unterwegs. Sie eröffnen damit auch die Musikalischen Begegnungen Lenzburg.

Mal lockt es mit «Treibstoff», mal mit «Nacht» oder wie in diesem Jahr mit «Karma». Welches Motto das Jugend-Sinfonieorchester Aargau (JSAG) auch immer wählt für seine Tournee-Programme, es mutet stets etwas verwegen an, verheisst Ungewöhnliches. Unter der künstlerischen Co-Leitung von Dirigent Hugo Bollschweiler und Projektleiterin Stefanie Braun befindet sich dieser Klangkörper mit seinen 70 Musikerinnen und Musikern im Alter von 16 bis 26 Jahren auf einem Höhenflug. Beide setzen die Ziele hoch; beide haben in der jüngeren Vergangenheit durch eine kluge, motivierende Programmdramaturgie Zeichen gesetzt, die auch im Ausland wahrgenommen werden und die den Kulturkanton Aargau aufs Schönste bestätigen. Jahr um Jahr zu erleben, wie sehr die jungen Orchestermitglieder am klassisch-romantischen Konzertrepertoire sowie an neuerer und aargauischer Musik wachsen, ist deshalb eine Freude.

Doch von nichts kommt nichts. Gehegt und gepflegt im Rahmen eines einzigartigen Vermittlungs- und Bildungsprojekts werden das JSAG sowie das Jugendorchester Freiamt (JOF) unter Anne-Cécile Gross vom Künstlerhaus Boswil, dem «Ort der Musik», von dem auch ein weiteres, renommiertes Eigengewächs ausgeht: der von Andreas Fleck initiierte Boswiler Sommer. Zieht man den Kreis von Boswil weiter nach Brugg, landet man unweigerlich beim Siggenthaler Jugendorchester (SJO) und dessen unermüdlichem Leiter Marc Urech. Weshalb ist das wichtig? Ohne Urechs Ansporn gäbe es die sechsköpfige Klezmer-Band Otrava – von der einige Mitglieder auch im JSAG spielen – vermutlich nicht. Und 2022 trägt diese Verbindung besondere Früchte: Das JSAG hat Otrava eine Uraufführung anvertraut – ein Konzert für Klezmer-Band und Orchester.

Ein zukunftstaugliches Markenzeichen?

Selbst für ein gewieftes Ensemble wie Otrava, das nach eigenen Worten einen «balkanösen Eintopf mit einer Prise Pavarotti» spielt, ist das keine leichte Sache. Doch es stemmt sie bravourös, lässt – umrahmt von Franz Schuberts Ouvertüre zur Zauberharfe und Igor Strawinskys selten aufgeführter Sinfonie in Es-Dur op. 1 – diese besondere Musik in vielen Schattierungen erklingen. Mischa Tapernoux, Komposition/Violine, Salome Etter, Klarinette, Lukas Eugster, Gitarre, Romain Nussbaumer, Posaune, Yves Ehrsam, Perkussion, und Caspar Streich, Kontrabass, stellen sich mitten ins Orchester und führen dieses zu den jüdischen Gemeinden Osteuropas, für die Klezmer der musikalische Ausdruck ihrer Sehnsucht nach Identität, nach einer emotionalen, spirituellen und geografischen Heimat war, ihre Hoffnung auf «Good Karma». Exemplarisch mischen sich Klage, Freude, Ekstase, Tanz und Liebe etwa in A Glezele Vayn, Misirlou oder in Geamparalele lui Miša, einem rumänischen Tanz im 7/8-tel Takt, der auf der Tanzabfolge kurz-kurz-lang oder 2-2-3 basiert. Schnell und immer schneller, vor allem aber virtuos soll die Musik sein, ganz nach der Devise «mehr ist mehr». Genauso wird sie vom Solistensextett sowie vom Orchester gespielt: Der peitschende Rhythmus wird mit überschäumender, dank Hugo Bollschweilers umsichtiger Leitung jedoch nie ausser Kontrolle geratender Spiellust vorangetrieben.

Das reisst mit und lässt flugs den Gedanken aufkommen: Könnte dieses Konzert für Klezmer-Band und Orchester nicht zu einem Markenzeichen des JSAG werden? Allerdings: Die derzeitigen Mitglieder von Otrava setzen ihre Studien teils in der Schweiz, teils im Ausland fort. Ob sie da noch Zeit für gemeinsame Auftritte haben? Falls nicht: Wer könnte ihnen nachfolgen? Jedenfalls wäre es schade, wenn das fesselnde Werk ausser in Boswil, Lindau, Rheinfelden und Lenzburg, den Stationen der Karma-Tournee, nicht mehr zu hören sein würde.

Vernetzte Anlässe

Eine weitere musikalische Erfolgsgeschichte in der Gegend sind die 1984 gegründeten Musikalischen Begegnungen Lenzburg, MBL. Ob auf dem Schloss Lenzburg, im Alten Gemeindesaal, in der Alten Bleiche, der Stadtkirche oder dem Kraftreaktor: Dieses Festival setzt während zweier Wochen auf einen Mix aus Orchesterkonzert, Kammer- und Vokalmusik, elektronischer Musik (mit Ondes Martenot) sowie Orgel- und Brasskonzert. Wie das JSAG mit «Karma» locken die MBL mit einem spannenden Motto: «Klangstrom – Stromklang». Inspiriert wurden sie von den Städtischen Werken, die dieses Jahr ihr 100-Jahr-Jubiläum mit dem Slogan «Erleben Sie ein Jahr voller Energie» feiern. «Unser Festival», erklären Andrea Hofstetter und Daniel Schaerer, die die künstlerische Leitung innehaben, «will eine Brücke von der elektrischen Energie aus der Steckdose zur Musik schlagen.» Jedes der Konzerte steht deshalb für eine bestimmte Form von Energie. Darüber verfügt das JSAG in verschwenderischer Fülle, weshalb es auch bei der Eröffnung am 19. August in Lenzburg spielen und bestimmt punkten wird mit der für dieses Ensemble so typischen Verbindung von Emotion, Leidenschaft und Dynamik.


Die Autorin besuchte das Konzert vom 7. August in Boswil.
«Karma» ist nochmals zu hören am 19. August 2022, 19.15 Uhr, auf Schloss Lenzburg:
https://www.kuenstlerhausboswil.ch/show-item/karma/

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