Angst um und vor dem Musikunterricht

Im Kanton Zürich findet das Fach Musik an der Volksschule vielerorts kaum mehr statt. In einer Diskussion kamen Ursachen und Lösungen zur Sprache.

Wenn niemand da ist, der Musikunterricht erteilen kann oder will, nützt auch ein guter Lehrplan nichts. Foto: uatp12/depositphotos.com

Um den Musikunterricht an der Volksschule steht es schlecht. Woran liegt das? Wie kann das Schulfach Musik passend belebt werden? Die Gewerkschaft für den Service Public VPOD Zürich/Musik veranstaltete dazu am 23. September eine öffentliche und gut besuchte Podiumsdiskussion, die von Esther Girsberger moderiert wurde.

Zum Stand der Dinge meinte Maja De Luca vom Vorstand des VPOD Zürich.Musik zu Beginn, dass sich Bund und Kantone für einen hochwertigen Musikunterricht einsetzten. Es gibt das Musikschulgesetz des Kantons Zürich, und dank der Volksinitiative jugend + musik ist die musikalische Breitenförderung im Artikel 67a der Bundesverfassung verankert. Im Lehrplan 21 wurde der Musikunterricht an der Volksschule stark aufgewertet. Darin sind von der 1. bis 6. Klasse zwei Wochenlektionen Musik vorgeschrieben.

Woran liegt es?

Doch heute, zehn Jahre nach der Einführung des Verfassungsartikels, ist die Realität im Kanton Zürich ernüchternd. In der Unterstufe der Primarschule gibt es zwar eine «Musikalische Grundbildung». Die wird jedoch von einer Fachlehrperson erteilt und ist freiwillig, sie ist nicht im Lehrplan 21 enthalten. Später ist der Musikunterricht abhängig von der Lehrperson. Den einen ist das Fach Musik wichtig, entsprechend engagiert unterrichten sie es. Den anderen nicht, ihr Musikunterricht findet kaum mehr statt. Kontrolliert wird das von niemandem. Kommt dazu, dass an der Pädagogischen Fachhochschule Musik kein Pflichtfach mehr ist, es wird freiwillig angeboten. Nur sehr wenige Studierende wählen Musik als Kunstfach.

Auf Esther Girsbergers Frage, wie schlimm es wirklich sei, meinte die Lehrerin für Musikalische Grundausbildung Sibylle Dubs: «Es steht schlecht. Der Grund dafür ist meist individuell: Die Lehrpersonen haben oft Angst vor dem Musikunterricht. Sie trauen ihn sich nicht zu, vor allem nicht das Singen. Das hat oft mit einem Kindheitstrauma zu tun. Vielen wurde eingebläut, sie könnten nicht singen und hätten keine Stimme.»

Gibt es Auswege?

Für Simone Kramer, Volksschulleiterin in der Stadt Zürich, steht und fällt die Qualität des Musikunterrichts mit der Schulleitung. Da sie selber eine musische Kindheit hatte, ist für sie Musik ein wichtiger Teil der Bildung. So entstand in Zusammenarbeit mit der Musikschule eine Tagesschule mit musischem Profil. Das heisst konkret, die Kinder sollen auf jeder Stufe intensiv Kontakt haben mit Musik: Musikalische Grundbildung, Chorsingen und Klassenmusizieren. Dafür gibt es zwei Wochenlektionen. In der 5. und 6. Klasse können sie in einem Chor oder einer Band mitmachen. Und wenn einem Kind sein Instrument gefällt, kann es damit weiterfahren.

Interessant ist die Idee, dass die Lehrpersonen der Volksschule an diesem Musikunterricht teilnehmen, ihn mitmachen. Da Kramers Volksschule vis-à-vis vom Toni-Areal liegt, behilft sie sich mit Musikstudentinnen und -studenten. Dass man eher musische Menschen für den Musikunterricht beiziehen sollte, war bald klar. An der ZHdK gibt es eine entsprechende Ausbildung, den BA Musik und Bewegung. Doch dieser Studiengang hat kein gesichertes Arbeitsfeld. Es gäbe zwar Jobs, doch die Gemeinden entscheiden über die Finanzierung, ob solche Stellen auch besetzt werden. Könnten nicht diese an der ZHdK ausgebildeten Fachlehrpersonen an der Volksschule unterrichten?

Was in anderen Kantonen bereits möglich ist, scheint im Kanton Zürich in weiter Ferne. Myriam Ziegler, die Chefin des Volksschulamts, stellte die politische Situation klar: «Als sich vor rund 20 Jahren die Fachhochschulen entwickelten, wurde diskutiert, ob an Volksschulen Fachlehrerinnen und -lehrer zugelassen werden sollen oder nicht. Man kam zum Schluss, dass man das nicht wolle, um die Klassenlehrkraft als Bezugsperson beizubehalten.» Auf der Primarstufe sind heute maximal 3 Fachlehrpersonen zugelassen.

Was bremst? Die Finanzen!

Wo gibt es Lösungsansätze? An der ZHdK diskutiert man zurzeit über ein Weiterbildungsangebot «Klassenmusizieren» für Volksschullehrkräfte. Auch wäre laut Bernhard Suter, Fachdidaktik-Dozent an der PH Zürich, eine bessere Zusammenarbeit zwischen Musik- und Volksschulen wichtig, doch dafür braucht es mehr Finanzen. Seiner Meinung nach wäre die folgende Möglichkeit vielversprechend: «Man könnte doch in einem Schulhaus eine musikverantwortliche Person einstellen. Diese könnte dann von den Klassenlehrerinnen und -lehrern für den Musikunterricht beigezogen werden.» Das klingt doch vernünftig, man müsste es nur tun und anständig honorieren.

Unter der Leitung von Esther Girsberger (links)  diskutieren hier Simone Kramer, Olivier Scurio und Sibylle Dubs. Foto: zVg

 

Version vom 23. Oktober 2023

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