Schalltrichter an Instrumenten und Mündern

Thilo Hirsch und das Ensemble Arcimboldo taten sich für das Projekt «rau-sch-end 2025–1898» mit einer Schulklasse zusammen, die daduch übte, genauer zu hören und sich Gehör zu verschaffen.

Die Kinder lauschen Klängen und verstärken ihre Stimme mit Schalltrichtern im Museum Tinguely.                           Foto: Susanna Drescher

«Hallo» rufen drei Kinder und winken dabei ins Publikum. Sie stehen mitten in einer Musikmaschine im Basler Tinguely-Museum. Ihre hellen Stimmen heben sich ab von den dunklen, tastenden, metallisch gefärbten Klängen, mit denen das zehnköpfige Ensemble Arcimboldo Mauricio Kagels Komposition 1898 für Kinderstimmen und Instrumente begonnen hat. Mit Trompeten, Posaune und Tuba sind gleich drei Blechblasinstrumente dabei. Auch die Streichinstrumente haben statt eines Resonanzkörpers einen Metalltrichter. Es sind sogenannte Strohinstrumente, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts für Orchesteraufnahmen verwendet wurden.

Maurizio Kagel hatte 1898 zum 75-jährigen Bestehen der Gesellschaft Deutsche Grammophon im Jahr 1973 komponiert. Er wollte bei diesem Werk eine «stimmlich ungeschulten Schulklasse» dabeihaben. Die Kinder sollten ein spontanes, auch ein wenig anarchistisches Element in die Erwachsenenwelt hineinbringen. Für die Konzerte in Basel fiel die Wahl auf die Klasse 5a der Primarschule Niederholz in Riehen, die nun in kompletter Grösse an der Bühnenrampe steht und auf die Musik mit Lachen reagiert, gurrt und auch mal zischt. Ein Schüler klebt dem Dirigenten Thilo Hirsch eine freche Zeichnung an den Rücken.

Strohinstrumente

Der musikalische Leiter des Basler Ensembles Arcimboldo hatte die Idee zu diesem ungewöhnlichen Projekt mit dem Titel rau-sch-end 2025–1898, das von der Ernst-von-Siemens-Stiftung gefördert wird. Von den Strohinstrumenten, benannt nach ihrem Erfinder Johannes Matthias Augustus Stroh, war Hirsch schon lange fasziniert. Bei verschiedenen Online-Auktionen konnte er mehrere Schalltrichterinstrumente erwerben, die alle eingesetzt werden, darunter eine Geige, ein Cello, eine Stroviol, eine Fonofiedel und eine Fonoukulele. Die von Kagel für die Uraufführung von 1898 gebauten Instrumente sind inzwischen im Besitz der Paul-Sacher-Stiftung, aber nicht mehr spielbar.

Da die Kinder nur in kurzen Passagen zum Zuge kommen, gab Hirsch bei der Komponistin Abril Padilla ein weiteres Werk in Auftrag. Sie leitete auch gemeinsam mit Naja Parejas die Workshops, die über einen Zeitraum von zweieinhalb Monaten mit den Schülerinnen und Schülern durchgeführt wurden. Inklusive Endproben für die drei Konzerte vom 25. und 26. Oktober im Basler Tinguely-Museum betrug der Zeitaufwand rund 40 Stunden.

Basteln und lauschen

Padilla hat schon in früheren Projekten wie der Resonanzbox mit Hirsch zusammengearbeitet. «Am Anfang ging es in unserem Workshop um konzentriertes Zuhören. Kagels Musik war für die Kinder zunächst recht fremd.» Man übte Unterschiede zwischen aufrichtigem und künstlichem Lachen, wie es Kagel in der Partitur beschreibt. Die Kinder entdeckten spielerisch ihre Stimme. Für ihre neu geschriebene Komposition DEMO wurden Schalltrichter gebastelt. «Diese Verstärker haben einzelnen geholfen, mutiger zu werden», sagt Padilla. Die Kinderrechte, die in ihrem Werk zur Sprache kommen, wurden gemeinsam ausgewählt.

Am Konzertabend beginnt DEMO direkt nach Mauricio Kagels Old/New für Solotrompete. Ein paar Kinder setzen ihren Schalltrichter ans Ohr, um noch besser den abgerissenen Klangfiguren von Jonathan Romana lauschen zu können. Dann ahmen sie Klänge der Trompete nach – es entsteht ein Dialog zwischen dem Musiker und den Kindern. Aus den Tönen werden Worte: «Sauberes Wasser», «Feuer», «Kein Rassismus mehr». In rhythmischem Sprechen skandieren sie: «Umweltschutz ist wichtig, Umweltschutz ist gut.» Maria Luisa Pizzighella verleiht den Worten am Schlagzeug noch mehr Wucht. DEMO ist mehr gestalteter Text als Musik, aber eine kurze Gesangseinlage eines Jungen ist auch Teil des Werks.

Lachen und rauschen

Das abwechslungsreiche, dramaturgisch eng verklammerte Programm beinhaltet noch Kagels von Lanet Flores virtuos gespielte Schattenklänge für Bassklarinette solo, einen Tango für Strohvioline (Juan María Braceras) und Klavier (Helena Bugallo) von Igor Strawinsky sowie zwei weitere Uraufführungen für Fonofiedel (Thilo Hirsch) und Grammofon: Charlotte Torresʼ Jungle Jazz Suite und Abril Padillas 78 RPM. Das Konzert endet in einer von den Kindern mit Schildern angeleiteten Gruppenimprovisation, an der neben den im Raum verteilten Musikerinnen und Musikern auch das Publikum teilnimmt. Die Programmbroschüre wird zum Schalltrichter gefaltet. Dann geht es los mit Lachen und Rauschen, Glissando nach oben und nach unten – und alles durcheinander. Sogar die grosse Tinguely-Maschine hinter der Bühne wird dafür in Gang gesetzt.

Beim Gespräch nach dem Konzert sprudeln die Kinder nur so vor Mitteilungsbedürfnis. Sie finden es toll, auf der Bühne gewesen zu sein und die Instrumente aus der Nähe mitbekommen zu haben. «In den Proben gab es schon lange Wartezeiten, aber am Ende hat sich der ganze Aufwand gelohnt», sagt ein Mädchen. «Wir mussten immer genau zuhören und uns merken, wann wir auf die Bühne kommen», erzählt ein Junge. Auch das Basteln der Schalltrichter und deren Verwendung auf der Bühne hätten viel Spass gemacht. Die beiden Lehrpersonen Manon Siebenhaar und Fabian Leuenberger zeigen sich ebenfalls zufrieden mit dem Projekt: «Die Schülerinnen und Schüler konnten sich aufeinander verlassen. Das hat auch die Klassengemeinschaft gestärkt.»

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