Wehmut, aber keine Traurigkeit

Am 18. Juni 2016 hat Pierre-Alain Monot sein Abschiedskonzert als Leiter des Nouvel Ensemble Contemporain in La Chaux-de-Fonds gegeben. Im Gespräch mit Gianluigi Bocelli spricht er über diesen wichtigen Moment des Aufhörens, seinen Werdegang und seine Pläne.

Foto: Pablo Fernandez

Über zwanzig Jahre hat Pierre-Alain Monot mit seinen musikalischen Grenzgängen die Geschicke des Nouvel Ensemble Contemporain (NEC) geprägt. In dieser Zeit ist das Ensemble zu einer der wichtigsten Formationen im Bereich der zeitgenössischen Musik in der Schweiz und im Ausland herangewachsen.

Pierre-Alain Monot, erzählen Sie uns etwas über diesen Abschied?

Ein Kreis schliesst sich. Was irgendwann anfängt, muss auch irgendwann wieder enden. Und in der Kunst ist es am besten, wenn das auf dem Höhepunkt geschieht, mitten im kreativen Fieber. Die Bedingungen für eine Stabübergabe sind günstig: Im vergangenen Jahr hat das NEC sein zwanzigjähriges Jubiläum gefeiert, das wollte ich nicht verpassen. In der Saison 2015/2016 konnten wir diesen Übergang dann reifen lassen. Die Farbgebung der Programme wird sich ändern, das ist normal. Aber es sind alle Elemente vorhanden, damit sich das NEC natürlich und kontinuierlich weiterentwickeln kann. Antoine Françoise, einer der Pianisten des Ensembles, wird neuer künstlerischer Leiter. Einen Chefdirigenten wird es nicht mehr geben.

Mit welchen Gefühlen machen Sie diesen Schritt?

Natürlich kommt Wehmut auf, Melancholie, denn ich habe hier langjährige Freunde. Ich wohne im Kanton Zürich, die örtliche Distanz wird sich also bemerkbar machen. Aber ich bin nicht traurig. Ich wäre es, wenn ich das Ensemble in einer schlechten Phase oder mit Problemen verlassen würden, aber es geht alles so gut!

Und was haben Sie nun für musikalische Pläne?

Oft wird man nur als Dirigent gesehen, ich bin aber Musiker. Ich werde weiterhin als Solo-Trompeter beim Musikkollegium Winterthur tätig sein und dort auch ab und zu zeitgenössische Stücke – mein Spezialgebiet — auswählen und dirigieren können. Ebenfalls in Winterthur bin ich künstlerischer Leiter einer Konzertreihe mit einer multimedialen, fesselnden Ausrichtung. Ich werde weiterhin als Gastdirigent auftreten, etwa beim Nouvel Ensemble Moderne in Montreal. Und ich werde mich wieder ans Komponieren machen, wozu mir bislang keine Zeit blieb.

Würden Sie Ihren breitgefächerten künstlerischen Werdegang kurz umreissen?

Mit zwölf habe ich mein erstes Stück geschrieben. Und seither habe ich immer wieder komponiert, gänzlich autodidaktisch. Ich bedaure das, denn die Methode fehlt mir ein bisschen, aber vielleicht war es doch richtig, Interpret zu werden. Als Trompeter habe ich lange in einem Blechbläserquartett gespielt, dem Quatuor Novus, mit dem ich Aufnahmen zwischen Alt und Modern gemacht habe. Wir waren anachronistisch in unserer Suche nach schwierigem Repertoire, aber wir haben einen Stil und einen Klang gefunden, der historisierend war und die Musik zum Leuchten brachte.
Zum Dirigieren bin ich zufällig gekommen. Schon als Kind hätte mir das gefallen, aber ich hatte keine Gelegenheit dazu – bis zur Gründung des Nouvel Ensemble Contemporain. Das Ensemble wollte eines meiner Werke aufführen, und plötzlich haben sie mich gefragt, ob ich nicht die Leitung übernehmen wolle. Ich habe einfach mal angefangen, ohne mir allzu viele Fragen zu stellen, und es wurde, was ich am liebsten mache. Mir gefällt vor allem, eine Idee ins Auge zu fassen und sie mit anderen gemeinsam weiterzuentwickeln. Das finde ich toll.

Und warum widmen Sie sich so sehr der zeitgenössischen Musik?

Die Nischen, das Alte und das Moderne, haben mich seit jeher besonders interessiert. Dann habe ich mich auf das Zeitgenössische konzentriert und daraus ging die Zusammenarbeit mit den NEC hervor. Leider trägt man immer schnell eine Etikette und wird dann auch nur noch in diesem Bereich angefragt. An der zeitgenössischen Musik liebe ich das Abenteuer. Man kann dort noch den Fuss auf unbekanntes Terrain setzen. Das ist in der heutigen Welt ein seltenes Privileg.

Gibt es Momente oder Werke, die Ihnen auf diesem abenteuerlichen Weg besonders nahegegangen sind?

Das Gefühl, wenn man die Partitur von Boulez’ Marteau sans maître auf das Pult legt, bevor man sich in diese Dreiviertelstunde mit unglaublicher Musik begibt, die mit der grössten Präzision ausgeführt werden muss. Und Maître Zacharius ou l’horloger qui avait perdu son âme von Leo Dick, ein Musiktheaterstück. Da hatten wir eine ausserordentliche Inszenierung des Komponisten über die Beziehung von Mensch und Maschine. Ein seltenes Glück ist auch, wenn ein zeitgenössisches Stück zum Repertoire wird, etwa bei Gérard Griseys Quatre chants pour franchir le seuil, das zum Monument geworden ist, oder die Turm-Musik von Heinz Holliger.
Allgemeiner gehört es zu den schönsten Momenten, wenn der Komponist eines Werks im Konzert sitzt und den Interpreten am Schluss für ihre Texttreue dankt. Das bedeutet dann, dass der Austausch, der die Grundlage unseres Berufes ist, zustande gekommen ist, dass Musiker, Komponist und ich selbst an einem Stang gezogen haben.

Nochmals zu Ihrem Abschiedskonzert mit dem NEC. Hatten Sie etwas Spezielles vorgesehen, ein besonderes Programm?

Die Vorbereitung war dieselbe wir für alle Konzerte: Man muss das Programm perfekt beherrschen, das ist alles. Wir hatten nichts Besonderes gewählt, schon gar nichts Sentimentales. Es war ein ganz normales Konzert für unser ausserordentliches Publikum in La Chaux-de-Fonds. Parts von Hanspeter Kiburz, ein grosses Werk, das man kennen muss, das dem Publikum im Gedächtnis bleibt und das jedes Ensemble einmal gespielt haben sollte. Und mit Garden of earthly desire von Liza Lim haben wir die Linie von Romitelli fortgesetzt, der im Januar auf dem Programm stand. Sie gehören zur gleichen Generation. Ich wollte schon länger etwas von Liza Lim spielen.
Ich bin sehr zufrieden, denn beide Werke sind überaus orchestral und so geschrieben, dass sie das Können des Ensembles ins beste Licht rücken.

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