Danke, Peter Hagmann

Der bedeutende Musikkritiker prägte jahrelang das Feuilleton der NZZ. Es ging ihm um die Fülle des Lebens in der Musik. Am 5. Juni ist er verstorben.

Porträt von Peter Hagmann von seiner Website

«Und das Finale türmt sich in der Passacaglia zu erschütternder Grösse auf und verglimmt dann in der Coda wahrhaft ‹morendo›. Das wirkt alles auch darum so bedrängend, weil das Zürcher Tonhalle-Orchester sein Bestes gibt, und das ist bekanntlich nicht wenig. Ein Abend von Weltformat; danke, Bernard Haitink.» So schrieb Peter Hagmann 2008 in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) über einen Abend mit Schostakowitschs 15. Sinfonie unter Haitinks Leitung. Titel Alles gelebtes Leben; die Wortwahl sorgfältig und genau, die Sicht mitempfindend, nachvollziehend, das Urteil klar, der Gestus bedeutsam. Und vielleicht zeigt sich gerade in einer solchen Rezension die Vielschichtigkeit der leider niedergehenden Institution «Musikkritik» auf schönste Weise.

Peter Hagmann war unter den Kritikern der Deutschschweiz jener, der die weiteste Ausstrahlung erreichte und er war sich durchaus seiner Position bei der NZZ bewusst und ihr verpflichtet. Als einziger von uns hatte er das Zeug zum Grosskritiker, und er versah dieses Amt mit Würde und Traditionsbewusstsein, dabei freilich alles andere als steif, denn sehr wohl konnte er mit Leidenschaft und Gefühl, ja selten auch mit Wut reagieren. Er schrieb darüber ebenso eigenwillig wie elegant, unabhängig in der Meinungsäusserung. Lächelnd erzählte er, wie ihm einst deutsche Kollegen vorgehalten hätten: «Ihr Schweizer habt immer eine so andere Meinung.»

Begonnen hatte er in Basel. Dort kam er am 13. April 1950 zur Welt, dort wuchs er auf, dort studierte er Musikwissenschaft und promovierte mit einer Arbeit über die Welte-Mignon-Reproduktionsklaviere und -orgeln. Schliesslich hatte er sich auch ein Orgeldiplom erworben, kannte das Thema also aus der Praxis. In Basel begann er 1972 als Konzert- und Opernkritiker bei der National-Zeitung und der daraus hervorgehenden Basler Zeitung. 1986 wechselte er zur NZZ, seiner Lebensstelle, wo er ab 1989 als Redaktor wirkte. Zahllos sind die Konzert- und Opernbesprechungen aus Zürich, aus dem In- und Ausland, seine Reportagen und Interviews.

Nach der Pensionierung 2015 setzte er seine Tätigkeit mit Mittwochs um zwölf auf seiner Website fort – einem «Blog für klassische Musik. Für Kunst-Musik im emphatischen Sinn. Für alte Musik, für die klassisch-romantische Musik des grossen Repertoires, für neue Musik». Mit Stolz und auch einem gewissen Trotz schrieb er dazu, er verstehe diesen Blog «als Kontrapunkt zu Tendenzen bei den gedruckten Medien, in denen die Musikkritik als Fossil gehandelt, für obsolet gehalten und vielerorts an den Rand gedrängt, wenn nicht abgeschafft wird. Wer Musikkritik sucht, auf dieser Website kann er, kann sie fündig werden.» Denn weiterhin blieb er neugierig und interessiert, wenngleich er die Entwicklungen in der Medienlandschaft mit Skepsis beobachtete. Oft sassen die Zürcher Musikkritiker kollegial zusammen und besprachen, was da geschah, offen und ohne Konkurrenz. Peter erlebten wir dabei immer als zugewandten und aufmerksam nachfragenden Gesprächspartner.

Daneben unterrichtete der mehrfach Ausgezeichnete an Musikhochschulen, arbeitete als Experte und sass in Jurys ein. Zusammen mit Erich Singer gab er 2019 das Buch Dirigieren ist ein Rätsel über Bernard Haitink heraus. Dieser Band mit Gesprächen und Essays über einen Musiker, dem er sich verbunden fühlte, war seine letzte grosse Publikation: «Dem niederländischen Dirigenten ging es jederzeit einzig und allein um die Musik, um die Verlebendigung des in der Partitur niedergelegten Kunstwerks durch den Akt der Interpretation», hatte Peter Hagmann in seinem Nachruf über Haitink geschrieben. Und darum ging es doch auch ihm, jenseits aller Anerkennung: eine Tradition fortzuschreiben, nicht einer Ideologie gemäss, sondern energievoll aus dem Leben heraus. Deshalb jener emphatische Titel Alles gelebtes Leben, der so typisch für ihn ist. Bis zuletzt. Noch im März besprach er die Uraufführung von Beat Furrers Das grosse Feuer. Nun ist Peter Hagmann nach schwerer Krankheit im Alter von 75 Jahren gestorben.

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