Laura & Luzius Schuler

Laura, 1987, Geige
Luzius, 1989, Klavier

Hanspeter Künzler: Ihr habt bald ein Konzert zusammen. Anfang März. Der Anfang eines neuen Projektes?
LUZIUS Das Konzert ist in Poschiavo, Puschlav, in einer Kirche. Laura war viel dort in letzter Zeit und wir haben mal gefunden es wäre spannend mit Orgel und Geige in einer Kirche etwas zu machen. Es hat sich angeboten. Die Kirche wird kaum genutzt, und es hat sich herausgestellt, dass es megaspannend ist, dort zu arbeiten. Wir haben uns zweimal dort getroffen ein paar Tage und haben improvisierend etwas Neues entdeckt für uns. In einem so riesigen Raum zu spielen mit einem so riesigen Instrument, der Orgel, das ist spannend.

Wir haben einen Prozess angefangen, machten uns viele Gedanken, dass wir nicht komponieren wollten, weil es etwas wegnehmen würde vom Direkten, das es hat, wenn man zusammen interagiert, und dass wir uns auch direkt auf den Klang einlassen oder eingreifen. Dann haben wir quasi Improvisationen zu üben begonnen und daraus sind dann eine Art Stücke geworden. Jetzt geht’s daran, sie aufzunehmen. Das passiert dann in dieser Märzwoche, wo wir auch gleich noch ein Konzert spielen. Es ist eine Zusammenarbeit von uns zu zweit, die wir jetzt zum ersten Mal so machen. Wir hatten relativ lang eine Band noch mit einer Bassistin, das ist nun aber etwas eingeschlafen.

LAURA Wir haben nie gesagt, wir hören auf. Es gab einfach andere Prioritäten.

Als Geschwister Musik zu machen – ist das irgendwie anders als mit anderen Leuten, mit denen man vielleicht 2, 3 Jahre in einer Band gewesen ist?
LAURA So wie ich es erlebt habe – wahrscheinlich ist es bei allen Geschwistern anders –, würde ich sagen, war es am Anfang fast ein bisschen hinderlich. Natürlich waren wir uns sehr vertraut, aber es waren viele Geschwisterdynamiken da, die manchmal hinderlich sein können. Aber in den guten Momenten kann es sehr toll sein. Im Moment haben wir eigentlich nur noch gute Momente. Wir sind älter geworden, haben unsere Hörner abgestossen und gewisse Ego-Sachen hinter uns lassen können.

LUZIUS Ich sehe es ähnlich. Wir haben beide so viele Projekte hinter uns, Bands sind gekommen und gegangen, wir haben sehr viel Erfahrung gesammelt, haben gemerkt, es sind zwischenmenschliche Komponenten, die man aufs Geschwistersein anwenden kann. Dort habe ich gemerkt, dass es sich lohnt, Sachen anzusprechen. Wenn man merkt, etwas ist im Raum, das uns daran hindert, ganz befreit Musik zu machen, ist es wichtig, dass man die Sachen anspricht. Oder dass man ein Umfeld schafft, wo das Zwischenmenschliche die Musik wie tangiert. Dann habe ich das Gefühl, dass sich enge persönliche Beziehungen sehr befruchtend und positiv auswirken können auf den kreativen Prozess.

LAURA Ich glaube auch, die Komponente bei uns, wir sind halt viele Jahre mit der gleichen Musik aufgewachsen…

 

Und das war?
LAURA Grob gefasst, Frühbarock-Renaissance-Musik und osteuropäische Volksmusik.

Die Eltern haben das gespielt? Und der Vater hat auch noch die Instrumente gebaut, wenn ich richtig gelesen habe.
LAURA Genau. So haben wir einen Common Ground, wenn wir improvisieren. Wir versuchen uns sicher auch zu emanzipieren. Wie Luzi schon gesagt hat, wir wollen für dieses neue Projekt wie eine neue Musik entwickeln. Vielleicht besteht auch die Gefahr, dass man in Klischees verfällt, wenn man zu viel gemeinsamen Background hat. Aber es ist auf jeden Fall schon mal ein gutes Fundament.

Wie alt wart ihr, als ihr zum ersten Mal zusammengespielt habt?
LAURA Als Kind, von Anfang an.

Wann hast du mit der Geige angefangen?
LAURA Ich war sieben.

Und du, Luzius?
LUZIUS Wohl auch so in dem Alter. Sieben oder acht, sowas. Klavier. Als Kinder haben wir vielleicht schon ab und zu Musik gemacht. Aber dann gab es glaub ich eine eher schwierige Zeit. Ich fing mit dem Berufsstudium an, da ist man extrem mit sich selber beschäftigt. Ich für mich hatte meinen eigenen Struggle zwischen Ehrgeiz und dem Gefühl, nicht gut genug zu sein. Das hat relativ lang gebraucht. So macht man das Studium, dann die ersten professionellen Erfahrungen.

Es hat dann wieder relativ lang gedauert, bis ich mich darauf einlassen konnte, im familiären Kontext mit Laura Musik zu machen. Ich habe das Gefühl, dass es zum ersten Mal mit der Band Esche richtig passierte, dass wir uns dort als musikalische Individuen und Persönlichkeiten begegnen konnten. Vorher hat es sich wie nicht ergeben, weil Laura relativ lang im Ausland war, ihren Master gemacht hat und mit der Szene verlinkt war. Und ich hatte meine eigenen Sachen. Es war ein relativ langer Bogen bis zu diesem Punkt.

Mit dem Trio Esche, war die Bassistin Lisa Hoppe so etwas wie eine Schiedsrichterin oder eine Brücke zwischen euch?
LAURA Hmmm. In gewissen Situationen ja, manchmal war es auch Luzi, manchmal auch ich. Wir hatten eine relativ ausgeglichene Dreierdynamik. Wir sagten jeweils: Es gibt die Geschwisterfront, die Frauenfront und die Rhythm-Section-Front. Das konnte recht dynamisch wechseln. Und, ja, wenn ich an Esche denke, das, was Luzius und ich jetzt machen, uns zusammen Zeit nehmen, um zusammen die Musik zu entwickeln, auch kompositorisch, das hätte ich mir immer ein bisschen gewünscht für Esche.

Das Eintauchen. Das wünsche ich mir heute eigentlich für alle Bands, aber es ist halt nicht immer realistisch. Es ist toll, wenn man Zeit hat und nicht jeder im Stüblein sich etwas ausdenkt. Sowas kommt für mich musikalisch nie so an die Kraft heran wie etwas, das man als Kollektiv entwickelt hat. Dass ich die Band ein bisschen losgelassen habe, Esche, hing wohl ein bisschen damit zusammen, dass es musikalisch nicht mehr so erfüllend war – ausser wir haben improvisiert. Improvisieren hat immer gut funktioniert.

Bei deinen Kompositionen, wie ich den diversen Bandcamp-Texten zu entnehmen können glaube, nimmt Improvisation eine wichtige Position ein. Ich nehme an, dass genau dies der Grund dafür ist: dass man Platz hat, sich zusammenzufinden.
LAURA Genau. Bei meinem Quartett ist das sehr stark der Fall.

In einem Interview mit dir habe ich gelesen, dass du so mit 15 die Geige sattgehabt hättest und dann im Jugendklub auf andere Sachen gestossen seist, nicht zuletzt die Improvisation.
LAURA Das ist schon so. Wir haben eine Band gegründet, mit osteuropäischer Volksmusik angefangen und dann auch eigene Stücke gemacht. Danach hatte ich eine Phase, wo ich viel gereist bin. Ich habe eine Gitarre gekauft und bin nach Südamerika gegangen, habe auch Djembe gespielt und spanische Songtexte geschrieben. Ich glaube, wenn ich damals nicht angefangen hätte, Jazz zu studieren, wäre ich nicht da gelandet, wo ich jetzt bin.

Hattest du irgendwelche Vorbilder an der Jazz-Geige?
LAURA Ich habe das Studium sehr ernst genommen. Eigentlich habe ich erst während des Studiums wirklich angefangen, Jazz zu hören. Ich habe das sehr stark über mich selber gestellt. Heute höre ich sehr gern Coltrane oder so, spüre die Energie immer noch total, aber es ist nicht das, was mich ausmacht. Aber das ist eine andere Diskussion, das Dafür und Dawider vom Musikstudium. Ich würde sagen, wenn das Studium breiter gefasst gewesen wäre, hätte ich mir ein paar Umwege ersparen können. Aber vielleicht stimmt das auch gar nicht. Jetzt bin ich einfach da, wo ich bin.

Luzius, hattest du eine ähnliche Phase mit dem Klavier, quasi eine Punkphase?
LUZIUS Wahrscheinlich weniger. Wobei es bei mir die Phase gab, wo ich in die alternative Jugendkultur in Langenthal eingetaucht bin, zwischen 15 und 19. Ich bin dort Laura nachgefolgt. Aber das Klavier war für mich eigentlich schon immer ein Begleiter. Im Gymi habe ich dann einen Lehrerwechsel gemacht und bin zu einem gekommen, der damals Jazz-Piano studierte in Bern. Daran habe ich mega prägende Erinnerungen, bei ihm in einem Dachzimmer hat er mir die Schätze des Jazz-Piano gespielt, die Harmonien. Jede Woche habe ich etwas Neues gelernt.

Ich bin wohl ein mega angenehmer Schüler gewesen, denn ich habe tatsächlich auch geübt. Ich war motiviert. Aber mit dem Gedanken, das beruflich zu machen spielte ich noch nicht. Bis nach der Matur hatte ich das Gefühl, ich studiere Bio oder Chemie oder sowas. Eines Tages sagte der Lehrer: Jetzt wäre gerade ein Fenster für das Berufsstudium in Bern offen, da habe mich einfach so mal angemeldet und zu meinem Erstaunen gleich einen Platz bekommen. Dann habe ich aber mindestens einen Bachelor lang gebraucht, um eine Vorstellung davon zu bekommen, was das sein könnte, ein Musiker zu sein, der sich ein Leben lang entwickelt. Wenn ich zurückblicke, hätte ich mir nie vorstellen können, einmal da zu sein, wo ich jetzt bin. Trotzdem ist mir die Idee, an einer Solo-Vision zu arbeiten, erst vor zwei, drei Jahren gekommen.

Mit 20, habt ihr beiden euch ausgetauscht über eure musikalischen Entdeckungen?
LAURA Wir waren wie an einem anderen Punkt. Bei mir ist es nicht so eingeflutscht wie Luzi vom Gymi zum Studium. Ich habe zuerst eine Lehre gemacht als Krankenpflegerin im Altersheim. Musste mich nachher recht emanzipieren, um das Studium zu machen. Zuerst machte ich einen zweijährigen Vorkurs. Zu der Zeit habe ich schon in Bands gespielt, viele Gigs. Ausserhalb der Schule lief für mich schon mega viel, aber nicht Jazz. Fürs Studium habe ich mich fast zwingen müssen, und das ging, weil ich sehr fleissig bin, diszipliniert, und die Sache über mich selber gestellt habe. Dadurch gab es, glaub ich, ein bisschen ein Gefälle zwischen Luzi und mir.

Auf mich hat es so gewirkt, als würde Luzi alles immer so einfach fallen, und ich war recht am Kämpfen. Es hatte vielleicht auch noch damit zu tun, dass ich eine Frau bin und Luzi ein Mann und all die auf Gender basierenden Unterschiede, und dann noch Geige und all die blöden Kommentare von den Lehrern. Deswegen war für mich immer klar, wenn ich einen Master mache, gehe ich weg ins Ausland. So kam ich nach Skandinavien, zwei Jahre. Das war super. Vor allem habe ich dort frei improvisiert. In die Zeit fiel dann aber auch der Anfang von Esche. Ich habe das Gefühl, dass der musikalische Austausch von uns beiden erst damit begonnen hat. Vorher haben wir unterschiedliche Realitäten gehabt.

Was war das für eine Konstellation, die zur Gründung von Esche führte?
LAURA Es begann damit, dass mir ein Friedl-Wald-Stipendium zugesprochen wurde. Pro Jahr werden ein paar Studenten ausgewählt, die im letzten Bachelor-Jahr stehen. Sie können vorspielen und kriegen 15 000 Franken. Ich war nominiert, brauchte fürs Vorspielen eine Band und fragte Luzi und Lisa. Ich habe mir dabei nicht viel überlegt Ich brauchte einfach gute Musiker.

LUZIUS Ich war ja selber noch unerfahren, wie man sowas angeht. Zum ersten Mal miteinander spielen. Die weiteren Jahre mit der Band waren spannend. Es war zu der Zeit die einzige Working Band für mich, wo man über längere Zeit hinweg so einen kreativen Austausch hatte, wo alle sich einbrachten. Es ging mega viel um das Finden von Kompromissen und das Abgleichen von Bedürfnissen, was unsere musikalischen Vorstellungen anbelangte. Ich habe das als einen sehr bereichernden Prozess empfunden im Nachhinein, weil ich mit anderen Sichtweisen, wie man Musik denken kann, konfrontiert wurde.

Es gab aber auch viel Energieverlust durch das Abreiben. Das Finden von Konsens ist manchmal schon nicht einfach. Es hat immer zu der Band gehört, dass es leicht knorzig war, aber dass man viele schöne Momente teilte. Wir sind viel gereist, absolute DIY-Tourneen, mehrmals Deutschland, Skandinavien, irgendwelche Orte. Sowas zusammen zu machen, sich zu behaupten, da habe ich viel gelernt. Vor allem auch dann, wenn nicht so viele Leute kommen, oder wenn wir den Leuten suspekt sind. Mit Esche konnte ich ein experimentelles Bedürfnis befriedigen, was ich in den anderen Projekten nicht konnte.

Esche war also quasi nicht nur ein musikalisches Experiment, sondern auch ein Experiment in Kommunikation? Und weil ihr euch vom Aufwachsen her so gut kanntet, war das gleichzeitig einfacher und schwieriger …
LAURA Genau. Es war emotionell sehr intensiv. Hat manchmal Tränen gegeben. Aber auch Euphorie. Ich muss sagen, ich habe sehr viel gelernt in Sachen Kommunikation von Lisa. Eingefahrene Familienmechanismen, die ihr aufgefallen sind. Zum Beispiel, sie sagte immer, ich würde ihr ins Wort fallen, was ich, glaube ich, immer weniger machte. Manchmal Sachen, die einem nicht so bewusst sind …

Wie viel Zeit liegt zwischen Esche und diesen Duo-Konzerten?
LAURA Das letzte Esche-Konzert war Mai 2021 beim Jazz-Festival Schaffhausen …

Was ihr beide macht, ist unglaublich weit gespannt. Verliert man sich da nicht manchmal ein bisschen? Weiss nicht mehr, wo der Kopf steht?
LUZIUS Ich glaube, ich habe meine Schubladen. Ich merke, wenn ich Musik kreiere, zum Beispiel jetzt mit Laura, dass man am Anfang viel Zeit investiert, einen Rahmen zu schaffen. Viele Gespräche, wie und was die Musik sein könnte. Dieses Projekt zum Beispiel verbinde ich ganz stark mit dem Ort Poschiavo, mit etwas Archaischem, mit der Bergwelt. Ich sehe Texturen, mit denen ich den Klang der Orgel oder der Bergwelt assoziiere, und schaffe mir dort so etwas wie einen emotionellen Rahmen. Danach kann ich relativ gut entscheiden, was dort hineinpasst und was nicht. Momentan bin ich an mehreren Produktionen beteiligt, die parallel laufen. Da kommt man nicht darum herum, eine abstrakte Zwischenstufe zu finden.

LAURA Mir geht es ähnlich. Wir haben auch verschiedenen Projekte. Sie haben alle eine klare eigene Sprache, visuell, künstlerisch, musikalisch. Beim Duo jetzt finde ich sehr schön, dass wir am Anfang improvisiert haben, viel aufgenommen, viel angefangen, diskutiert was gefällt, was nicht. Und waren uns eigentlich immer einig, wo wir hinwollen. Das Projekt ist sehr organisch entstanden. Muss auch so sein. Nicht etwas Erdachtes im Stil von «ich könnte eigentlich doch noch das machen». Darum hat es auch die Kraft, den Ausdruck.

Eine Frage für Laura. Im «Bund» habe ich ein Zitat von dir gefunden: «Ich würde gern mal unvernünftig sein, aber das bin ich einfach nicht.» Ist nicht Musik ein Mittel, die Vernunft auszuhebeln?
LAURA Mit Vernunft habe ich dort nicht unbedingt den Verstand gemeint. Mehr die Vernunft, brav zu sein, möglichst gut sein zu wollen. Nicht am Morgen im Bett liegenbleiben, bis 12 Uhr im Pyjama hängen, Kaffeetrinken bis 14 Uhr und um 15 Uhr noch kurz die Zeitung lesen. Das Interview liegt zwei Jahre zurück. Ich habe das Gefühl, dass ich das inzwischen auch ziemlich gut kann.

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