Matthias & Andreas Tschopp

Matthias, 1983, Baritonsax
Andreas, 1979, Posaune

Selfies: zVg

Hanspeter Künzler: Wie seid ihr aufgewachsen?
ANDREAS Musik war im Haushalt nicht so riesig präsent. Die Eltern haben zwar Instrumente gespielt, aber sehr unregelmässig. Die Mutter etwas Flöte, der Vater etwas Klavier.

Andreas, wie bist du auf die Posaune gekommen?
ANDREAS Ganz genau weiss ich es nicht mehr. Anscheinend, gemäss Mutter, als wir noch in Zürich wohnten, da war ich 5, 6, sind wir an ein Dixieland-Konzert herangelaufen, irgendwo, open air, seit dann hätte ich gesagt, ich wolle Posaune lernen. Irgendwie war ich beeindruckt, ohne dass ich noch weiss, warum. In Rapperswil, wo wir dann hingezogen sind, gab es gar keinen Posaunenlehrer. Und weil der Wunsch halt blieb und intensiv war, hat die Musikschule einen Posaunenlehrer eingestellt, bei dem ich jahrelang der einzige Schüler war. Ich habe das Gefühl, es hat mit dem Klang zu tun, er ist so formbar, nahe bei der Stimme. Man kann mega viel mit dem Timbre spielen. Als Teenie habe ich angefangen, in Bands zu spielen. Als ich überlegte, ein Musikstudium zu machen, habe ich zuerst aufs Konservatorium und klassisch tendiert. Nach der Matur bin ich im Sommer acht Wochen nach Kalifornien gegangen und habe mich nur so aus Neugier für einen Kurs in Berkeley eingeschrieben. Das war super, und so habe ich den ganzen Plan geändert. Es war mega cool, in die Welt von Improv und Jazz einzutauchen – die Freiheit zu spüren, was man auf dem Instrument machen kann.

Bei dir, Matthias, steht als erster Satz auf der Homepage: It is widely known that baritone saxophone is the most beautiful of all instruments. Wie war der Werdegang bei dir?
MATTHIAS In der 5. oder 6. Klasse hatte ich zuerst Klavierunterricht. Dann habe ich es mit dem Lehrer nicht mehr so gut gekonnt und in der Klasse hatte es einen, der Sax spielte, den fand ich sehr cool, so hatte ich dann entweder Sax oder E-Gitarre auf der Liste. Es waren die 90er-Jahre, da herrschte fürs Sax eine regelrechte Hausse. Wir hatten Schüler-Ensembles und dort hatte es immer relativ viele Sax-Spieler, und nachher in der Kanti sogar mehr als genug. Heute nicht mehr so. In meiner Erinnerung gab es damals in jedem zweiten Song entweder ein Sax- oder ein E-Gitarrensolo. Heute ist das gar nicht mehr so. Man findet kaum mehr ein Sax in der Hitparade.

Woher das Interesse an Jazz?
MATTHIAS Jazz war damals viel präsenter im Alltag. Das kam auch von Andreas. Aber wir waren auch immer etwas zeitverschoben. Wenn ich in ein neues Schulhaus kam, war er gerade weitergezogen. Aber ich kann mich erinnern, am Abend, wenn ich ins Bett musste, da hörte ich ihn nebenan Posaune üben. Die Zeit in der Kanti-Bigband in Wattwil habe ich sehr prägend gefunden. Als ich dort anfing, war Andreas schon abgegangen. Er hat mich mit spannender Musik versorgt, arbeitete auch eine Zeitlang im Musik Hug. Seine CDs habe ich dann für mich auf Mini-Discs kopiert. Das Gymi Wattwil hatte ein grosses Einzugsgebiet von Wil bis Rapperswil. Mit den vielen Schülerinnen und Schülern war es möglich, ein fantastisches Orchester und eine Big Band zu führen. Musikalisch ist dort sehr viel gelaufen, und läuft immer noch.

Abseits von einem Zentrum wie Zürich oder gar London, seid ihr da vielleicht ein bisschen freier gewesen von den Trendzwängen, denen man dort ausgesetzt ist?
ANDREAS Das könnte schon sein, ja. Es ging mehr um die Gemeinschaft der Leute, die man dort getroffen hat, und um den Austausch. Ausseneinflüsse waren daher weniger wichtig, habe ich im Nachhinein das Gefühl.

War es für dich von Anfang an das Baritonsax?
MATTHIAS Nein, am Anfang habe ich Alt-Sax gespielt. Aber in der Kanti-Band waren alle Plätze schon besetzt, so musste ich «unten» anfangen. Im ersten Jahr an der Jazz-Schule habe ich dann gewechselt, weil ich merkte, dass es mir viel mehr Spass machte. Lange hatte ich geglaubt, dass das Instrument für mich vom Gewicht her zu schwer sei. Durch das Herumschleppen hatte ich tatsächlich Rückenprobleme, aber das hat sich dann irgendwie gelegt. Sowieso, zu Hause habe ich fast nie Alt-Sax gehört, immer nur Tenor-Sax. Aber ich hatte keine Lust, das zu spielen. In meinen Augen war das immer mit einer Art Macho-Gehabe verbunden, das hat mich überhaupt nicht angesprochen. Heute spiele ich sehr gern Tenor. Andererseits wusste ich beim Alt-Sax nie recht, wohin ich mit dem Sound gehen sollte. Mein Bruder hat mich auf die Spur gebracht: Als ich ihm wieder einmal meine Soundkrise schilderte, hat er gesagt, warum nicht Bari-Sax? Das sei doch so geil, und niemand mache es? Ich bin in die Mediathek gegangen und habe alle Bari-Sax-CDs zusammengetragen, die es dort hatte, etwa zehn, und habe sie daheim alle toll gefunden. Daraufhin habe ich sofort gewechselt. Und war damit auch mit Alt-Sax wieder im Frieden.

Welches waren die ersten Sax-Sachen, die du als 12-Jähriger geschätzt hast?
MATTHIAS Maceo (Parker) und so. Andreas war 16, hatte eine Funkband, sie spielten Sachen in dem Stil, Parliament auch, dazu eigene Stücke. Wir Kleinen fanden das natürlich sehr cool, dass der Bruder so eine Band hatte, und haben auch diese Musik gehört. Mit 16, 17 habe ich dann sehr viel Miles gehört, Coltrane, Cannonball. In dem Zeitraum habe ich ein Austauschjahr gemacht, in Guatemala. Dort war musikalische Wüste, gar niemand war da, mit dem ich mich hätte austauschen können – ausser einem deutschen Austauschschüler, den ich zum Glück jedes Wochenende treffen konnte. Über ihn habe ich guatemaltekische Musiker kennengelernt, mit denen haben wir jedes Wochenende Musik gemacht. Der hatte etwa 15 Kopien aus der Real Book-Serie (von Hal Leonard) dabei, und die Stücke haben wir hinauf und hinunter gespielt. Ich selber hatte 20 Minidiscs dabei. Gerade letzthin habe ich mich wieder daran erinnert. John Coltrane, The Night With a Thousand Eyes, das habe ich etwa hundert Mal gehört. In der Zeit in Guatemala habe ich aus purer Langeweile endlos geübt. Ich kam dort an, und nach einem Monat hatte die Schule drei Monate Ferien. In der Gastfamilie gab es sechs Geschwister, die sassen alle den ganzen Tag vor dem TV. Ich war dann halt im Zimmer und habe gespielt. Es gab schon Momente, wo ich staunte, dass sie nicht sagten: Hör endlich auf!

Haben die Eltern nicht protestiert, als es sich abzeichnete, dass ihr auf eine Zukunft in einem brotlosen Job, nämlich eben Bari-Sax und Posaune, zusteuert?
ANDREAS Im Gegenteil. Unser Job war ja noch normal. Der dritte Bruder macht komische Sachen, der ist Paläontologe. Die Eltern haben uns stark unterstützt. Der Vater war schon sehr musikaffin. Er hat vielleicht nicht so viel selber gespielt, aber viel Musik gehört. Sie haben es sehr unterstützt, dass wir Instrumente lernten. Eine Zeitlang hat jeder von uns zwei verschiedene Instrumente gelernt. Sie müssen unglaublich viel Geld darauf verwendet haben.

MATTHIAS Und uns auch an jede Probe gefahren! Wir waren die grössten Beitragszahler an unserer Musikschule. Ich glaube, Emanuel hat eine Zeitlang sogar drei Instrumente gespielt. Gewisse Stunden haben sie uns schon gar nicht mehr verrechnet. Auch unsere Mutter, sie war Kindergärtnerin, war sehr musisch und kreativ. Wir durften viele Hobbies haben. Musik und Pfadi sind geblieben. Meine besten Freunde waren fast alle in der Pfadi und haben Musik gemacht.

Habt ihr als Brüder schon zusammengespielt?
MATTHIAS In der Kanti-Big Band zum ersten Mal eigentlich. Du warst schon weg, aber ab und zu bist du aushelfen gekommen, weil sie zu wenig Posaunen hatten.

ANDREAS Das war relativ spät, da war ich 20. 4 ½ Jahre Altersunterschied zu dem Zeitpunkt ist halt schon recht viel. Schon vom unterschiedlichen technischen Niveau her.

Wann kam die erste gemeinsame Band?
ANDREAS Wir kamen immer wieder zusammen, auch professionell dann. Das erste Projekt als kleine Band war das Trio mit Rainer Tempel, dem langjährigen Leiter vom Zurich Jazz Orchestra, ein Pianist und Komponist, der hat die Band zusammengestellt. Sie hiess Ersatzbrüder. Er hatte zwei Brüder, älter und jünger, die waren nicht Musiker, und bei uns war es genau umgekehrt. Daher der Name. Er hat aber das ganze Repertoire durchkomponiert. Es gab viel zum Lesen.

Im Text zur Band Sparks and Tides auf Bandcamp heisst es, das sei eine Band, die Yin und Yang vereine. Da drängt sich natürlich die Frage auf – seid ihr Yin und Yang?
MATTHIAS Es gibt schon Bereiche, wo wir uns so ergänzen. Aber in sehr vielen Bereichen ticken wir sehr ähnlich. Es gibt vielleicht Sachen, die der eine besser kann, und Sachen, die der andere besser kann. Aber ich glaube, wenn wir nicht sehr viele ähnliche Interessen und Gemeinsamkeiten hätten, hätten wir keine Band zusammen gemacht. Wir sind zusammengehockt und haben überlegt, in welche Richtung der Sound, die Leute gehen sollten, und sind uns sehr schnell einig geworden. Wenn unsere Interessen zu unterschiedlich wären oder zu gegensätzlich, hätten wir weiterhin beide separate Bands gehabt.

Bei Diskussionen kommt nicht dann und wann Familienballast dazwischen?
ANDREAS Ich würde nicht sagen. Man merkt, dass die Ausgangslage schon recht ähnlich ist, wo wir Zugang finden und wo eher nicht. Ich habe es noch nie als verkomplizierend empfunden.

Das Zeichen eines positiven, konstruktiven Familienlebens?
MATTHIAS Das haben wir schon sehr gehabt. Es war ein sehr zufriedenes, positives Umfeld Nicht nur die Familie, sondern auch unsere Peer Group und das musikalische Umfeld. Kompetitive Haltungen, die ins Negative tendierten, habe ich erst im Studium ein bisschen gesehen.

Wetteifern, dass Andreas im Porsche daherkommt und du neidisch bist, sowas ist nie passiert?
BEIDE: (lachen vergnügt)

MATTHIAS Nein, ich mag Andreas seinen Porsche total gönnen. Ich habe dafür meinen Camper, es ist alles in Ordnung, haha! Etwas anderes noch zu Yin und Yang, wir reden jetzt ja vom Bandnamen. Ich bin vielleicht eher der, der im Moment vor Ideen sprudelt, und Andreas mehr der, der etwas länger studiert. Ich mache grad blablabla, er wartet 5 Sekunden und kommt dann vielleicht mit etwas, das etwas mehr Bestand hat. Beim Komponieren finde ich das sehr bereichernd. Sparks, das flackernde Elektronische, und Tides, die weiten Bögen und akustischen Gezeiten, darum geht es in dem Namen auch. In dem Sinn ist es schon Yin und Yang. Charaktereigenheiten, aus denen wir versuchen, möglichst Synergien zusammenzubringen, dass jeder aus seiner besten Zone heraus agieren und sich einbringen kann.

Hat sich eure Zielsetzung oder Motivation oder Interessensrichtung in den letzten fünfzehn Jahren verändert oder ist das, was ihr jetzt macht, die Verwirklichung von etwas, was ihr schon immer gewollt habt?
ANDREAS Etwas von beidem. Es ist in dem Sinn Verwirklichung, als ich es immer schon faszinierend fand, wenn Leute, die eigene Projekte umsetzen, die eigene musikalische Vision so entwickeln, dass sie auf die Bühne kommen und von anderen Musikern mitgestaltet werden kann. Eine Art musikalischer Motor sein und nicht «nur», sagen wir, Musik zu interpretieren von anderen. Ich habe spät angefangen damit, vorher viel mitgespielt, aber erst später eigene Sachen geschrieben. Ich habe es immer gewollt, aber erst kurz nach 30 angefangen, das umzusetzen. Jetzt geht es immer mehr in die Breite und die Tiefe. Es interessieren mich unterschiedliche Projekte mit unterschiedlichen Klanglichkeiten. Immer etwas, was aus einer gewissen Konstanz der Beschäftigung herauswächst. Wir haben nicht die Welt neu erfunden oder über den Haufen geworfen. Aber man braucht das ja, das Gefühl von Neuentdecken – dass man dieses kultivieren kann.

Ein Quintett mit zwei Posaunen und Gamelan-Einflüssen (die Band Andreas Tschopp Bubaran) ist ja auch nicht unbedingt etwas, was einem sofort einfällt.
ANDREAS Genau, mich interessieren so unterschiedliche Klangwelten. Gamelan finde ich extrem faszinierend. Und die Band habe ich gegründet, um eine Möglichkeit zu haben, Elemente von diesen anderen Klanglichkeiten, von anderen Stimmungen über andere Arten von Intervallen, irgendwie in mein musikalisches Leben zu integrieren. Meine Projekte gehen immer sehr stark über den Klang. Sparks and Tides sind auch so entstanden, eigentlich. Die Frage war: Wie soll die gemeinsame Band tönen? Akustisch? Elektronisch? Ein Mix? Welche Instrumente? Wer hat so einen Sound, wie wir hier hören.

Wie steht es bei dir mit Zielsetzung und Motivation, Matthias?
MATTHIAS Bei mir ist es schon immer der Drang, die Kreativität irgendwo herauszulassen, etwas auf die Beine zu stellen, das hat sich in verschiedensten Projekten immer wieder gezeigt. Das erste grössere Projekt war das Miró-Projekt. Später auch andere Sachen, bis dann der Punkt kam, wo ich dachte: Ich möchte eigentlich lieber mal etwas machen, wo ich nicht allein bin. Bei den vorherigen Bands musste ich immer alles allein reissen. Ich fand: Wenn neue Projekte, dann nur noch mit Leuten, mit denen es mega Spass macht, nur schon zusammenzuhocken. Das war auch der Antrieb, sich mit Andreas hinzusetzen und zu schauen, können wir etwas machen?

Bei welchen Projekten seid ihr heute involviert?
ANDREAS Sparks and Tides, das gemeinsame Ding, damit sind wir momentan immer aktiv. Zum Spielen geht es ein paar Monate, bis wir wieder Sachen haben, aber der kreative Prozess ist immer am Laufen. Sonst: mit meiner südafrikanisch-schweizerischen Band Skyjack, die gibt es nun auch schon seit 10 Jahren, in einer Woche erscheint das dritte Album, im Februar sind wir auf Tour in Deutschland und der Schweiz, im Mai in Südafrika. In der Band kommen die beiden Kontinente zusammen. Es ist das erste Album, wo ich Kudu-Horn spiele. Das ist ein Antilopenhorn, ein traditionelles Instrument für Signale eigentlich, man kann nur 2, 3 Tonhöhen spielen. Ich habe sechs gekauft und bei einigen Fingerlöcher gebohrt, so dass ich Riffs spielen kann. Es ist eine neue Klangquelle, die mir Spass macht. Das – und dann von den eigenen Sachen ist das Vertigo Trombone Quartet, auch ein Kollektiv mit drei Posaunen und einer Bassposaune. Ein Album ist fertig, im Herbst sind wir auf Tour. Hier komponieren alle beteiligten Musiker eigene Stücke. Und eine weitere Band, die es seit Ewigkeiten gibt, seit 15 Jahren, Le Rex. Vier Bläser und Schlagzeug. Einen Tag pro Woche arbeite ich auch noch an der Luzerner Musikhochschule.

MATTHIAS Sparks and Tides! Dann ist aus dem multimedialen Trio mit Elena Morena Weber und Jürg Zimmermann das Duo It’s Me? mit Jürg entstanden, wo wir beide auch Modularsynthesizer spielen. Mit meinem Quartet würde ich sehr gern wieder einmal etwas machen, habe aber keine Zeit. Letztes Jahr ein Konzert, nachdem wir vier Jahre nicht mehr gespielt hatten … (Miró-Projekt, auf Anfrage von Paul Klee-Zentrum in Bern …). Ich unterrichte zwei Tage an der Musikschule Zug.

Fällt euch noch etwas anderes ein über das brüderliche Musikschaffen?
ANDREAS Wir werden oft miteinander verwechselt …

MATTHIAS Ich habe sogar mal einen Posaunen-Job angeboten bekommen in einer Big Band …

Das könnte Sie auch interessieren