Prädestiniert für ein europäisches Musikzentrum

Das Anwesen, auf dem Turgenjew und das Ehepaar Viardot die Sommer verbrachten, soll zu einer Gedenkstätte der romantischen Musik mit Potenzial für die Zukunft werden.

Sommerresidenz der Sängerin Pauline Viardot (1821–1910). Foto: Eva-Regina Bodemann

Bougival ist eine kleine Stadt westlich von Paris an der Seine gelegen. Viele Künstler sind dem Charme dieser hügligen Landschaft erlegen: Impressionisten haben sie verewigt. Das Pariser 9. Arrondissement – auch «Nouvelle-Athène» genannt — erkor sie in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts zur Sommerfrische.

Am 15. September dieses Jahres, am Tag des französischen Kulturerbes, besuchte Präsident Emmanuel Macron zusammen mit seiner Frau und Persönlichkeiten aus Politik und Kultur den Ort: Er überreichte den 1. Preis des neu ins Leben gerufenen «Patrimoine-Loto» zur Restauration französischer Denkmäler, durchgeführt von der staatlichen Lotto-Gesellschaft Frankreichs «Française des Jeux». Unter 18 bevorzugten von 2000 gefährdeten Objekten wurde die Villa Viardot ausgewählt und mit einer Unterstützung von 600 000 Euro ausgezeichnet. Die Überraschung und die Freude sind gross. Die Restaurationskosten der Villa Viardot werden auf 3 Millionen Euro geschätzt; kommunale Behörden, Stiftungen und die Europäische Union werden sich daran beteiligen. Ein europäisches Musikzentrum (CEM) ist geplant.
 

Iwan Turgenjews Liegenschaft

Die Villa Viardot steht in einem 5,5 Hektar grossen Park mit altem Baumbestand. Mit weissem Gemäuer und harmonischen Proportionen erhebt sie sich zweistöckig in neo-palladianischem Stil. Ihr Grundriss beträgt 180 m²; auf der östlichen Seite ist eine Terrasse zu erkennen. Leicht erhöht und nur wenige Schritte entfernt steht die später erbaute Datscha des russischen Dichters IwanTurgenjew (1818–1883), das heutige Museum Tourguéniev, Viardot, Malibran. IwanTurgenjew erwirbt das ganze Anwesen 1874 zusammen mit dem Ehepaar Louis und Pauline Viardot und nennt es «Les Frêles», die Eichen. Fortan verbringen sie ihre Sommer dort. Am 5. Mai 1883 entschläft Louis Viardot; wenige Monate später, am 3. September desselben Jahres, erliegt Turgenjew in Bougival seinem Krebsleiden. Pauline Viardot gibt das gemeinsame Domizil auf und zieht 1884 an den Boulevard Saint-Germain 243 in Paris.

Pauline Viardots Wirken

Wenige kennen heute den Namen der aussergewöhnlichen Sängerin und Musikerin (1821–1910). Georges Sand, Chopin, Clara Schumann, Brahms, Saint-Saëns, Fauré, Delacroix zählten zu ihren Freunden; ihr Klavierlehrer Franz Liszt und Robert Schumann waren ihre Bewunderer; sie inspirierte Berlioz, Meyerbeer, Gounod und Massenet zu Kompositionen, deren Hauptrollen sie selbst auf den Bühnen der wichtigen europäischen Opernhäuser verkörperte. Die Liebe und Freundschaft zu Iwan Turgenjew begleiteten sie seit ihrer Premiere als Rosina in Rossinis Barbiere di Siviglia in der grossen Oper in St. Petersburg (1843). Das «Trio» Louis und Pauline Viardot und Iwan Turgenjew hat seitdem viel Tinte fliessen lassen – davon zeugen auch Artikel anlässlich der Verleihung des Kulturerbe-Preises an die Villa Viardot. Berühmt im 19. Jahrhundert, fast vergessen im 20., kehren Pauline Viardot und ihr künstlerisches Umfeld im 21.Jahrhundert zurück in das europäische Bewusstsein. Franz Liszt schrieb über Pauline Viardot: «Mit ihrem spanischen Naturell, ihrer französischen Erziehung und ihren deutschen Sympathien vereinigt sie die Eigenheiten verschiedener Nationalitäten derart in sich, dass man keinem bestimmten Boden einen ausschliesslichen Anspruch an sie zugestehen, sondern die Kunst das Vaterland ihrer freien Wahl und Liebe nennen möchte.»

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