Offener Brief im Hinblick auf die Abstimmung zur «Halbierungsinitiative» im März 2026
130 Personen insbesondere aus dem Bereich der Musik haben einen offenen Brief im Hinblick auf die Abstimmung zur «Halbierungsinitiative» im März 2026 unterschrieben.
Zürich, im Dezember 2025
Sehr geehrte Musikerinnen, Musiker, Kulturschaffende, Nutzerinnen und Nutzer der Angebote der SRG
Sehr geehrte Frau Susanne Wille
Im März 2026 werden wir über die Halbierungsinitiative abstimmen. Wir können nicht früh genug in Stellung gehen, um uns gegen diesen Angriff auf unsere öffentlich-rechtliche Sendeanstalt zu wehren. Die SRG ist unter anderem der unabhängigen Information, der Repräsentation der Vielfalt der Kulturen in unserem Land, dem Brückenschlag zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit und der Veröffentlichung der Anliegen von Minderheiten verpflichtet. Sie kommt in allen Landesteilen und Landessprachen ihrer Aufgabe nach. In Erfüllung ihres Auftrages ist sie für unser Land im Hinblick auf die Aufrechterhaltung demokratischer Verhältnisse und die Stärkung des Zusammengehörigkeitsgefühls unverzichtbar. Keine kommerziell ausgerichtete und von Partikularinteressen gesteuerte private Sendeanstalt kann auch nur in Ansätzen der genannten Aufgabenstellung gerecht werden. Wir sind aufgerufen, in der kommenden Zeit in Gesprächen und anlässlich allfälliger öffentlicher Auftritte unsere Solidarität mit der SRG kundzutun und für eine Ablehnung der erwähnten Initiative zu sorgen.
Diese Verpflichtung ist bindend, ungeachtet dessen, dass in aller Schärfe gegen Massnahmen, die in der Chefetage der SRG in den letzten Monaten beschlossen wurden, protestiert werden muss. Die Strategie der Rechtspopulisten, die auf die Aushöhlung der demokratischen Verhältnisse abzielt, beinhaltet unter anderem Angriffe auf unabhängige Medien und die Freiheit der Wissenschaften und der Künste. Die Streichung von Formaten beispielsweise in den Fachbereichen Literatur und Wissenschaft und zuletzt im Bereich Musik – «Musik unserer Zeit» – bedeutet ein vorauseilendes Entgegenkommen den genannten rechtsradikalen Tendenzen gegenüber und eine Abkehr von zentralen Punkten, die im Pflichtenheft des Service Public verzeichnet sind.
Die grossen Kulturverbände der Schweiz haben bislang von einer öffentlich wirksamen Stellungnahme zu diesen Streichungen Abstand genommen – vermutlich in der Absicht, den Abstimmungskampf gegen die Halbierungsinitiative nicht durch Kritik an der SRG zu schwächen. Dezidiertes Einstehen für eine weitere ausreichende Finanzierung der SRG und Kritik an Entscheiden der Chefetage gehören aber im Hinblick auf die aktuelle Lage und zukünftige Entwicklungen zusammen. Die SRG verdient unsere Unterstützung um ihrer Alleinstellungsmerkmale willen. Ihre gegenwärtige Strategie der Anpassung an das Marktgängige bedeutet eine Missachtung des Auftrags, der eine ausreichende Finanzierung durch die Öffentlichkeit erst rechtfertigt. Als Strategie des Managements im Abstimmungskampf wären beispielsweise statt der Tilgung von Sendungen wie «Wissenschaftsmagazin» und «Musik unserer Zeit» die dezidierte Fortsetzung des Dialoges zwischen Wissenschaft und Gesellschaft und die sorgfältige Pflege profunder journalistischer Arbeit im kulturellen Sektor angesagt.
Die Marktforschung mag die Zuhörerinnen und Zuhörer der musikalisch-literarischen Feuilletons von Espace deux als Quantité négligeable betrachten, ebenso wie die eingeschworenen Fans des «Klassiktelefon» oder das treue Auditorium des «Echo der Zeit» – um beim Beispiel der Radiosendungen zu bleiben. Im Hinblick auf die kommende Abstimmung soll nicht vergessen werden, dass dieses Stammpublikum bereit ist, mobilisierend für die SRG einzustehen.
Die SRG muss auf Widerstand statt Anpassung setzen, auf ihre Einzigartigkeit – wenn sie nicht ihr eigenes Grab schaufeln will. Sie muss sich dringend daran erinnern, welche Kernbereiche ihres Auftrags sie beschützen muss und wer in der Zivilgesellschaft ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter, ihre Verbündeten im Kampf gegen die Halbierungsinitiative sind.
Die Unterzeichnenden in alphabetischer Reihenfolge
Heinrich Aerni, Ingrid Alexandre, Dieter Ammann
Ulrike Andersen, Monika Baer, Nik Bärtsch
Werner Bärtschi, André Baltensperger, Philip Bartels
Felix Baumann, Peter Baur, André Bellmont
Elisabeth Berger, Marino Bernasconi, Ramon Bischoff
William Blank, Dominik Blum, Bettina Boller
Hugo Bollschweiler, Thüring Bräm, Esther de Bros
Albin Brun, Catriona Bühler, Christiane Bult
Peggy Chew, Jessie Cox, Flurin Cuonz
Reto Cuonz, Therese Cuonz-Räz, Jürg Dähler
Claudio Danuser, Daniela Dolci, Mariana Doughty
Alfred Felder, Adrian Frey, Daniel Fueter
Thomas Gartmann, Bettina Ginsberg, Roger Girod
Katharina Gohl, Anna-Katharina Graf, Kathrin Graf
Ivo Haag, Jonas C. Haefeli, Viviane Hasler
Edu Haubensak, Doris Hauser, Fritz Hauser
Ruedi Häusermann, Hanna Helfenstein, Horst Hildebrandt
Christian Hilz, Jeannine Hirzel, Beat Hofstetter
Christoph Homberger, Raphael Immoos, Markus Jans
Mischa Kaeser, Eriko Kagawa, Vera Kappeler
Christoph Keller, Max E. Keller, Simone Keller
Burkhard Kinzler, Michael Kleiser, Christian Kobi
Canan Kocaay, Tamriko Kordzaia, Niklaus Kost
Herbert Kramis, Hanspeter Kriesi, Anne-May Krüger
Jojo Kunz, Annette Labusch, Matías Lanz
Leslie Leon, Heinrich Mätzener, Delia Mayer
Thomas Meyer, Roland Moser, Moritz Müllenbach
Marie-Louise Müller Choquard, Martin Neukom, Lucas Niggli
Anne-Catherine de Perrot, Stefka Perifanova, Peter Reidemeister
Felix Renggli, Nicola Romanò, Petra Ronner
Michel Roth, Johannes Rühl, Bettina Ruf
Edward Rushton, Nina Sahdeva, Claudine Saner
Urs Saner, Evangelos Sarafianos, Tobias Schabenberger
Sir András Schiff, Isabelle Schnöller, Oliver Schnyder
Muriel Schwarz, Meinrad Schweizer, Yuuko Shiokawa
Peter Siegwart, Rahel Sohn, Peter R. Solomon
Bruno Spoerri, Eleonor Stähli, Jacques Stähli
Urs Stäuble, Egidius Streiff, Monica Thommy
Germán Toro Pérez, Balz Trümpy, Saadet Türköz
Nina Ulli, Christoph Ullmann, Petra Vahle
Katharina Weber, Urs Weibel, Andreas Werner
Peter Wettstein, Maki Wiederkehr, Helena Winkelmann
René Wohlhauser, Maria Wolff, Alfred Zimmerlin, Samuel Zünd
PDF-Download des Originalbriefs
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PS
«Wenn 100 000 Menschen James Last hören wollen und 1 Mensch Anton Webern, muss man nicht 100 000 Stunden James Last senden und 1 Stunde Webern, sondern 1 Stunde James Last und 1 Stunde Anton Webern. Da nämlich alle 100 000 gleichzeitig hören können, kommen alle 100 000 Last-Freunde auf ihre Rechnung und der Webern-Freund auch. Das ist Demokratie.»
Urs Frauchiger (1936–2023)
Cellist und Autor, betreute von 1970 bis 1977 die Musikabteilung im Studio Bern des Deutschschweizer Radios; 1992 bis 1997 leitete er die Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia.

