Von der Sub- zur Volkskultur

Migros-Kulturprozent setzt sich seit Langem für den Schweizer Pop ein. Nur dank diesen Anstrengungen konnte es 1998 überhaupt zur Gründung des Musikfestivals m4music kommen. Mit der 2016 erschienenen Publikation Time Is Now will man nun auch erstmals in Buchform über den Status quo der Schweizer Popmusikszene sinnieren und berichten.

Das von Migros-Kulturprozent getragene und geförderte Musikfestival m4music feiert in diesem Jahr seinen 20. Geburtstag. Sinn und Zweck des in Zürich und Lausanne durchgeführten Events ist die Förderung und Vernetzung der Schweizer Musikszene. Jetzt verspürt Migros-Kulturprozent Lust auf mehr: In seinem Auftrag präsentieren die Herausgeber Hedy Graber, Dominik Landwehr und Philipp Schnyder von Wartensee eine Buchreihe zur «Popmusik in der Schweiz heute». Die zwölf Autorinnen und Autoren des ersten Bandes mit dem Titel Time Is Now hatten den Auftrag, einzelne Aspekte der hiesigen Popszene unter die Lupe zu nehmen.

Auf 192 Seiten werden so unterschiedliche Themen wie das Konzertland Schweiz, die Monetarisierung von Musikvideos oder die Musikszene der Romandie behandelt. Eine breite Themenpalette. Wer sich durch den Sammelband liest, wird nicht selten an einen m4music-Besuch erinnert: Manches wirkt beliebig, vieles jedoch dringlich und spannend. Das Problem des Buches: Time Is Now mag sich nicht entscheiden, ob das Gebotene bloss als Momentaufnahme der Musikszene dienen oder insbesondere auch als Handbuch für Jungmusiker mit weitreichenden Aspirationen genutzt werden soll.

Unterschiedliche Qualität

Augenfällig ist die unterschiedliche Qualität der Beiträge. So beschränkt sich der Artikel Kaufst du noch? der Journalistin Martina Kammermann beispielsweise darauf, Altbekanntes zum Thema Streaming darzustellen. In ihrem Text bleiben leider aktuelle Strömungen – wie der überraschende Vinyl-Boom – unerwähnt. Noch weniger zu packen vermag Sophies Liebling hebt ab von Autorin Carole Gröflin. Ihre Reportage über den Sänger Faber begnügt sich mit einer blossen Betrachtung, die nichts hinterfragt oder auch nicht versucht, mehr über die Motivation des 23-jährigen Schützlings von Sophie Hunger zu erfahren.

Andere Beiträge bieten der Leserschaft weitaus mehr und schürfen tiefer. Christoph Fellmann, Musikredaktor des Tages-Anzeigers, argumentiert in seinem Beitrag, Die neue Folklore, Pop sei seit den 1990er-Jahren hierzulande nicht mehr Sub-, sondern Volkskultur. Fellmann hofft, der Schweizer Pop finde künftig wieder aus dieser hinaus, um unwegsameres Gelände zu erforschen. Ganz nach der Maxime: Um Spannung zu erzeugen, ist Reibung notwendig. Aufschlussreiches und Anregendes gibt es auch aus den Federn von Musikjournalist Adrian Schräder, der sich im Rahmen einer Reportage in der Schweizer Hip-Hop-Szene umgesehen hat, sowie von Bund-Redaktor Ane Hebeisen, der zu einer kurzen, aber fesselnden Geschichte des Pops im Radio ansetzt.

Obgleich man Time Is Now einiges vorwerfen kann und muss – von sprachlichen Leerläufen bis hin zu einer mangelnden inhaltlichen Fokussierung –, bereitet die Veröffentlichung des Bandes auch Freude. Denn wie die Herausgeber festhalten, «existieren zum Thema erstaunlich wenige Publikationen mit hiesigem Absender». Das mag sich mit der Sammelreihe zusehends ändern. Time Is Now ist ein noch etwas verhaltener erster Schritt. Aber einer in die richtige Richtung.

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Time Is Now – Popmusik in der Schweiz heute, hg. von Hedy Graber, Dominik Landwehr, Philipp Schnyder von Wartensee im Auftrag des Migros-Kulturprozent,
192 Seiten, Fr. 19.50, Limmat-Verlag, Zürich 2016,
ISBN 978-3-85791-817-9

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