Kämpferischer Idealist

Nicht nur mit der Gründung des Kammerorchesters Zürich hat Alexander Schaichet die Schweizer Musikszene in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bereichert. Die von Irene Forster und Esther Girsberger herausgegebene Biografie beeindruckt auch durch die Zeugnisse ehemaliger Schülerinnen und Schüler.

Eine Biografie ist immer heikel: Hier die Person, die natürlich im Mittelpunkt stehen sollte. Dort die gesellschaftlichen, damit auch kulturellen Verhältnisse, die Handlungsmöglichkeiten eröffnen, aber auch einschränken. Alexander Schaichet (1887–1964) war eine starke Persönlichkeit. Aber selbst dem herausragenden Dirigenten, Geiger und Bratschisten waren so manches Mal die Hände gebunden, wenn die harte Realität zuschlug.

Der kurzweilige Sammelband Zivilstand Musiker – Alexander Schaichet und das erste Kammerorchester der Schweiz liest sich wie der kämpferische Weg eines unermüdlichen Idealisten. Schaichet «strandete» 1914 in Zürich. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges verhinderte die Rückkehr nach Jena, wo er schon mit 25 Jahren eine Stelle als Konzertmeister hatte. Für die Musikszene Zürichs wurde Schaichet zum Glücksfall, vor allem durch die Gründung des Kammerorchesters Zürich im Jahr 1920.

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Fröhliche Feier des Kammerorchesters Zürich nach einer Aufführung vom 29.November 1928 mit dem Wunderkind Annie Fischer im Zunfthaus zur Waag. Vorne sitzend in der Mitte, zwischen Irma und Alexander Schaichet Annie Fischer

Unter widrigen Bedingungen spielte das kleine Orchester selbst sperrige Werke der damaligen Avantgarde. Dass Schaichet aufgrund ständiger Finanzierungsprobleme mit Amateuren Vorlieb nehmen musste, war für damalige Kritiker kein Grund, ihre Verrisse zu relativieren. Ernst Isler, ein Rezensent der NZZ, ging 1925 offenbar so weit, die Existenzberechtigung des Kammerorchesters in Frage zu stellen. Völlig zu Recht wehrte sich Schaichet gegen solche Übergriffe. In seinem Brief an Isler stellte er eine beredte Frage, die auch sein eigenes Engagement pointiert: «Glauben Sie, dass ein Erlebnis sich von der technisch vollkommenen Beherrschung leiten lässt?»

Trotz einer unbändigen Energie ihres Gründers war es 1943 vorbei mit dem Kammerorchester. Der auch gegen Schaichet gerichtete Antisemitismus sowie die Konkurrenz mit dem ungleich reicheren Collegium Musicum liessen in Zürich im wahrsten Sinne kaum noch Spielräume.

Der gründlich lektorierte und reich atmosphärisch bebilderte Sammelband besticht durch einen persönlichen Ton. Nicht nur die abgedruckten Erinnerungen ehemaliger Schüler und Schülerinnen tragen dazu bei; auch die Texte von Verena Naegele, Michael Eidenbenz, Dieter Ulrich und Peter Hagmann sind sehr anschaulich, bieten Musikgeschichte als Kulturgeschichte und weben die Person Schaichet geschickt ein. Neben weiteren Informationen sind sämtliche Konzertprogramme aus den 23 Jahren des Bestehens des Zürcher Kammerorchesters auf der Website https://schaichet.ch/de/ einzusehen.

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Zivilstand Musiker – Alexander Schaichet und das erste Kammerorchester der Schweiz, hg. von Esther Girsberger und Irene Forster, 216 S., 60 Abb., Fr. 39.00,
Verlag Hier und Jetzt, Zürich 2020,
ISBN Druckausgabe 978-3-03919-481-0

Foto oben: Zentralbibliothek Zürich, Musikabteilung, Mus NL 38

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