Pflaumenweiche Schlüsse

Achtzehn Beiträge zur Schlussgestaltung zeigen, wie unterschiedlich Musik enden kann, wie zeit- und genregebunden Schlüsse sind.

Wie endet eine Musik bzw. ein Musikstück? Schliesst es oder hört es einfach auf? Ist es ein starker Schluss, applausheischend? Oder leise, fading out? Entspricht er einer Konvention? Oder will er uns etwas Besonderes sagen? Tragisches, Lustiges? Fragen solcher Art werden in diesem Band aufgeworfen und untersucht, wenn auch nicht abschliessend beantwortet. Denn das Schliessen – Enden – Aufhören der Musik ist zu vielgestaltig und zu sehr historisch bedingt, als dass es sich auf einen Nenner bringen liesse. Ein Amen in einem Gloria erfordert andere Lösungen als das lieto fine einer Barockoper, und ob eine Sinfonie in ein leichtes Rondo oder eine triumphale Überhöhung mündet, hat sehr viel mit dem Zeitgeist zu tun. Ja, manchmal ist das Schliessen gar nicht so «musikalisch», und wir merken erst, wenn der Dirigent Schultern und Arme sinken lässt, dass ein Stück fertig ist.

Da ist sie also: die «musikalische Schlussgestaltung als Problem in der Musikgeschichte», die der Untertitel etwas gar akademisch ankündigt. Der Band, der auf einem Symposium 2016 in Mainz beruht, ist glücklicherweise so trocken nicht, er demonstriert vielmehr (ein schöner Nebeneffekt), wie sehr sich die Musikwissenschaftler von diesem grundlegenden Thema inspirieren lassen. Und den meisten von ihnen gelingt es, das Interesse zu wecken und einen beim Lesen reinzuziehen. So erschliessen sich auch die dissonant-konsonanten Kadenzbildungen des 14. Jahrhunderts oder die tragischen bzw. heiteren Opernfinali oder die Morendo-Schlüsse der späten Romantik – «pflaumenweich» nannte sie Richard Strauss. Die Beispiele werden jeweils so erläutert, dass sie, auch wenn wir das Stück nicht kennen, vor dem inneren Ohr erklingen.

Die achtzehn Beiträge sind in vier Abteilungen gegliedert: Unter «Ordnungen» werden allgemeinere (auch philosophische, rhetorische und literarische) Aspekte beleuchtet. Bei den «Theoriebildungen» zeigt sich sogleich die Schwierigkeit einer verbindlichen musikalischen Finale-Regulierung; die Vergleichsebenen sind auch zu verschieden: Sprechen wir nun vom Schluss einer Melodie, einer Exposition, eines Satzes oder eines ganzen Werks, ja eines Zyklus? Aufschlussreich sind unter «Erscheinungen» die Fallbeispiele von spätmittelalterlichen Spruchmelodien bis zu Mahlers «Lied von der Erde». Und in «Öffnungen – (Auf)Lösungen» wird deutlich, welche Schwierigkeiten sich die (Post-)Moderne im Umgang mit bzw. im Umgehen von Schlusskonventionen eingehandelt hat. Und damit öffnet sich nochmals ein weites Feld. Zu schliessen ist mit der Feststellung der Herausgeber, dass das letzte Wort zum Enden damit nicht gesprochen ist.

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Schliessen – Enden – Aufhören. Musikalische Schlussgestaltung als Problem in der Musikgeschichte, hg. von Sascha Wegner und Florian Kraemer, 467 S., zahlr. Notenbeispiele, € 59.00, edition text+kritik, München 2019, ISBN 978-3-86916-662-9

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