Beschreiten alter Wege

Beiträge aus dem gemeinsamen Doktoratsprogramm der Philosophisch-historischen Fakultät der Universität Bern und der Hochschule der Künste Bern.

Der sogenannte Bologna-Prozess begann 1999 – und er hatte Konsequenzen, die in ihrer Tragweite damals kaum absehbar waren. Im Kern ging es um eine länderübergreifende Wandlung von Kunst- und Musikakademien in Universitäten oder Hochschulen. Das klingt erstmal nach institutionellen Fördergeschichten, hatte aber gravierende Konsequenzen auch für Forschungsfragen. «Kunst als Forschung» heisst es nun: Musiker wie Künstler erforschen selbst etwas. Oder ihre praktische Arbeit oder ihr Arbeitsprozess dient als Mittel eines Erkenntnisgewinns.

Studies in the Arts bietet Einblicke in Form von 13 Beiträgen des gemeinsamen Doktoratsprogramms der Philosophisch-historischen Fakultät der Universität Bern und der Hochschule der Künste Bern: Was kann künstlerische Forschung leisten? Welche Impulse kann sie geben? Leider muss man sagen: Ernüchternd ist die Lektüre des Sammelbandes, fast durchwegs enttäuschend sind die Aufsätze. Kritik an behäbigen musikwissenschaftlichen Fakultäten geht in Ordnung. Schlimm ist es aber, wenn manche Standards schlicht ignoriert werden. Beschäftigt sich Bettina Ruchti mit den Kalendarien des 10. und 11. Jahrhunderts aus dem Kloster Einsiedeln, so ist das nicht mehr und nicht weniger als eine Quellenstudie, die nun mal seit geraumer Zeit gang und gäbe sind. Ähnliches betrifft Manuel Bärtschs – sicherlich akkurate – Betrachtung der Wagner-Interpretationen aus dem frühen 20. Jahrhundert. Interpretationsforschung gehört in einer ernst zu nehmenden Musikwissenschaft mittlerweile selbstverständlich dazu. Zu nennen wäre Hermann Gottschewskis bereits 1993 erschienene Dissertation: Die Interpretation als Kunstwerk: musikalische Zeitgestaltung und ihre Analyse am Beispiel von Welte-Mignon-Klavieraufnahmen aus dem Jahre 1905.

Mit den Worten des grossen Musikwissenschaftlers Carl Dahlhaus muss man sagen: Was «Kunst als Forschung» bedeutet, steht nicht fest. Vielleicht kann man einer jungen Disziplin ein fehlendes Profil nicht vorwerfen. Aber auch das Reflexionsniveau ist bedenklich. Gaudenz Badrutts Erörterung über Die Einmaligkeit der Wiederholung beim Hören improvisierter und komponierter elektroakustischer Musik wirkt schon im Titel kühn gedacht. Was folgt, sind oberflächliche Betrachtungen über die Rezeption von Luc Ferraris Tonbandwerken garniert mit einigen Wörtern zum Hören von Tonträgern und über den Perspektivenwechsel von Schrift- und Höranalyse. Nun ja.

Es bleibt die Einschätzung, dass es doch primär um institutionelle Fragen geht und weniger um inhaltliche. Sicher dient Kunst als Weltbereicherung, die durch eine verbale Reflexion vertieft werden kann. Zumindest vorläufig muss man die Arbeit der musikalischen Forschungsabteilung der Hochschule der Künste Bern aber als Ergänzung musikwissenschaftlicher Forschung sehen. Einen Aufbruchsgedanken, den man sich erhoffen darf, vermisst man. Von den im Untertitel des Bandes erwähnten «neuen Perspektiven auf Forschung über, in und durch Kunst und Design» ist jedenfalls wenig zu sehen.

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Studies in the Arts – Neue Perspektiven auf Forschung über, in und durch Kunst und Design, hg. von Thomas Gartmann und Michaela Schäuble, 212 S., € 39.00, Transcript, Bielefeld 2021, ISBN 978-3-8376-5736-4,
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