Radiogeschichte(n)
Eine Sammlung von 42 Quellentexten von der Frühzeit bis zu heutigen Ausprägungen des Radios.

Ist es Nostalgie, dass derzeit so manche Publikation erscheint, die sich mit der (heroischen) Vergangenheit des Rundfunks beschäftigt, mit den elektronischen Studios, den Hörspielen oder hier mit den Grundlagen des Mediums? Vielleicht ist es in Krisen- und Abbauzeiten auch eine Selbstvergewisserung, denn das Radio hat vieles verändert, in technischer und künstlerischer Hinsicht, aber auch in unseren Hörgewohnheiten.
Das wird an dieser Sammlung von 42 Quellentexten deutlich, die von den frühen Anfängen bis in die jüngste Gegenwart reicht. Es ist der zweite Band von Radiophonic, herausgegeben von den in Basel wirkenden Medienwissenschaftlern Ute Holl und Jan Philip Müller sowie Tobias Gerber; der erste Band präsentierte 2019 den aktuellen Stand der Diskussion um das Medium. Nun folgen historische Materialien dazu: Ein wichtiges Kompendium ist so herausgekommen.
Durch die Zeiten
Eingangs geht’s gleichsam in die Medienarchäologie, zu den Experimenten eines Nikola Tesla etwa, der 1893 eine Telegrafie ohne Drähte beschrieb. Daneben steht sofort die pointierte Reflexion eines Robert Walser, der schon 1926 meinte, es wäre «unhöflich, den Siegeszug des technischen Erfindungsgeistes nicht schlankweg zuzugeben», wenngleich er einwandte, «die Kunst, Gesellschaft zu machen», werde dadurch ein wenig vernachlässigt. So ist der Rundfunk in seiner manchmal widersprüchlichen Vielfalt auch ein Symbol für die Moderne.
Künstlerische Manifeste von der Frühzeit an (von Brecht und Marinetti bis Adorno) schliessen sich an: Das Radio wird dabei auch als Kunstform, als Hörkunst verstanden. Von den Experimenten mit Tonband und Mikrofon berichten etwa Pierre Schaeffer, John Cage und Karlheinz Stockhausen. Und auf fast schon vergessene Formen verweist Hans Werner Henze mit seinen Funkopern. Was davon geblieben ist bzw. wie es in den letzten Jahrzehnten kreativ genutzt wird, darüber erzählen die jüngsten Texte: Der Diskurs erscheint dabei allerdings weniger utopiebegeistert als eher zerfleddert, gelenkt von einem Trotz in bedrängten Zeiten. Dennoch: Das Medium ist aktuell geblieben und enthält immer noch Potenzial. Wie wird es das 21. Jahrhundert nutzen?
Radiophonic, Materials, Bd. 2, hg. von Ute Holl, Jan Philip Müller und Tobias Gerber, 448 S., € 29.80, Kehrer-Verlag, Heidelberg 2024, ISBN 978-3-86828-863-6